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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Baron Prokesch habe den ganzen Conflikt angezettelt aus der Luft gegriffen,
glauben wir gern. Aber eine unparteiische Darstellung hätte in der den
Aktenstücken vorausgehenden Uebersicht erwähnen müssen, daß die Beseitigung
der Gefahr diesmal vor allem Preußen zu danken war. Graf Bismarck nahm
die Initiative zur Conferenz, der preußische Geschäftsträger in Paris Graf
Solms hat die Hauptrolle bei derselben im Sinne der Ausgleichung gespielt
und es ist dies um so höher zu veranschlagen, als Preußen damit in Peters¬
burg sehr mißfiel: es bewies, daß ihm die Erhaltung des Friedens höher steht
als die russische Allianz. Von einer Anerkennung dieser unbestreitbaren
Thatsache finden wir in dem Rothbuche nichts, Graf Beust benutzt den
Conflikt nur um immer wieder darauf hinzuweisen, wie man Unrecht gehabt,
sein orientalisches Programm von 1867 nicht anzunehmen. Er betont, daß
dasselbe der Türkei umfassende Reformen an gerathen, üvergeht aber mit Still¬
schweigen, daß gerade von ihm der unglückliche Vorschlag ausging, durch den
er damals hoffte, die Gunst Rußlands zu erwerben, nämlich die Bestimmung
des Pariser Friedens aufzuheben, durch die das Schwarze Meer neutralisirt ward.

Mit großer Ostentation wird die Bedeutung des neusten Austausches
von Höflichkeiten zwischen Oesterreich und Italien hervorgehoben; auch ohne
die Depesche vom 19. April an Baron Kübeck wußte man, daß das Wiener
Cabinet eifrigst in Florenz um eine Annäherung bemüht ist, welche schwerlich
nur den Character einer Pflege gemeinsamer materieller Interessen hatte.
Zum Glück ist Oestreich hier ohne Frankreich ohnmächtig und die Bedeutung
der römischen Frage sür die innere Politik Napoleons stellt einer aggressiven
Tripelallianz zwischen Wien, Florenz und Paris starke Hindernisse entgegen.

Lehrreicher für die letzten Absichten des Reichskanzlers sind die Akten¬
stücke, welche sich auf die deutschen Angelegenheiten beziehen. Die Depesche
vom 2. Dec. 1868 an Graf Wimpffen den Übeln Eindruck betreffend, den
das vorige Rothbuch in Berlin gemacht, ist schon zur Genüge in der Presse
besprochen. Sie war mindestens unnöthig und nur ein Ausfluß der oben¬
gedachten Schreibeseligkeit. Das Circular vom 6. Mai, welches die Ver¬
öffentlichung der preußischen Telegramme von 1866 in dem bekannten östreichi¬
schen Generalstabswerke bespricht, läßt den Hauptpunkt unerörtert, wie man
nämlich in Wien in Besitz des Chifferschlüssels gekommen ist. Wenn übrigens
eine Veröffentlichung von so entschieden politischer Bedeutung ohne vorherige
Wissenschaft des Grasen Beust statthaben konnte, so ist dies nur ein Beweis, daß
er obwohl erster Minister nicht ausschließlich die auswärtige Politik macht, son¬
dern daß daneben die Strömungen einer kaiserlichen Cabinetspolitik herziehen,
denn niemand wird glauben, daß der Chef des Generalstabes gewagt habe
derartige Depeschen zu veröffentlichen ohne zuvor an allerhöchster Stelle an¬
gefragt zu haben.


Grenzboten III. 1869. 29

Baron Prokesch habe den ganzen Conflikt angezettelt aus der Luft gegriffen,
glauben wir gern. Aber eine unparteiische Darstellung hätte in der den
Aktenstücken vorausgehenden Uebersicht erwähnen müssen, daß die Beseitigung
der Gefahr diesmal vor allem Preußen zu danken war. Graf Bismarck nahm
die Initiative zur Conferenz, der preußische Geschäftsträger in Paris Graf
Solms hat die Hauptrolle bei derselben im Sinne der Ausgleichung gespielt
und es ist dies um so höher zu veranschlagen, als Preußen damit in Peters¬
burg sehr mißfiel: es bewies, daß ihm die Erhaltung des Friedens höher steht
als die russische Allianz. Von einer Anerkennung dieser unbestreitbaren
Thatsache finden wir in dem Rothbuche nichts, Graf Beust benutzt den
Conflikt nur um immer wieder darauf hinzuweisen, wie man Unrecht gehabt,
sein orientalisches Programm von 1867 nicht anzunehmen. Er betont, daß
dasselbe der Türkei umfassende Reformen an gerathen, üvergeht aber mit Still¬
schweigen, daß gerade von ihm der unglückliche Vorschlag ausging, durch den
er damals hoffte, die Gunst Rußlands zu erwerben, nämlich die Bestimmung
des Pariser Friedens aufzuheben, durch die das Schwarze Meer neutralisirt ward.

Mit großer Ostentation wird die Bedeutung des neusten Austausches
von Höflichkeiten zwischen Oesterreich und Italien hervorgehoben; auch ohne
die Depesche vom 19. April an Baron Kübeck wußte man, daß das Wiener
Cabinet eifrigst in Florenz um eine Annäherung bemüht ist, welche schwerlich
nur den Character einer Pflege gemeinsamer materieller Interessen hatte.
Zum Glück ist Oestreich hier ohne Frankreich ohnmächtig und die Bedeutung
der römischen Frage sür die innere Politik Napoleons stellt einer aggressiven
Tripelallianz zwischen Wien, Florenz und Paris starke Hindernisse entgegen.

Lehrreicher für die letzten Absichten des Reichskanzlers sind die Akten¬
stücke, welche sich auf die deutschen Angelegenheiten beziehen. Die Depesche
vom 2. Dec. 1868 an Graf Wimpffen den Übeln Eindruck betreffend, den
das vorige Rothbuch in Berlin gemacht, ist schon zur Genüge in der Presse
besprochen. Sie war mindestens unnöthig und nur ein Ausfluß der oben¬
gedachten Schreibeseligkeit. Das Circular vom 6. Mai, welches die Ver¬
öffentlichung der preußischen Telegramme von 1866 in dem bekannten östreichi¬
schen Generalstabswerke bespricht, läßt den Hauptpunkt unerörtert, wie man
nämlich in Wien in Besitz des Chifferschlüssels gekommen ist. Wenn übrigens
eine Veröffentlichung von so entschieden politischer Bedeutung ohne vorherige
Wissenschaft des Grasen Beust statthaben konnte, so ist dies nur ein Beweis, daß
er obwohl erster Minister nicht ausschließlich die auswärtige Politik macht, son¬
dern daß daneben die Strömungen einer kaiserlichen Cabinetspolitik herziehen,
denn niemand wird glauben, daß der Chef des Generalstabes gewagt habe
derartige Depeschen zu veröffentlichen ohne zuvor an allerhöchster Stelle an¬
gefragt zu haben.


Grenzboten III. 1869. 29
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[0233] Baron Prokesch habe den ganzen Conflikt angezettelt aus der Luft gegriffen, glauben wir gern. Aber eine unparteiische Darstellung hätte in der den Aktenstücken vorausgehenden Uebersicht erwähnen müssen, daß die Beseitigung der Gefahr diesmal vor allem Preußen zu danken war. Graf Bismarck nahm die Initiative zur Conferenz, der preußische Geschäftsträger in Paris Graf Solms hat die Hauptrolle bei derselben im Sinne der Ausgleichung gespielt und es ist dies um so höher zu veranschlagen, als Preußen damit in Peters¬ burg sehr mißfiel: es bewies, daß ihm die Erhaltung des Friedens höher steht als die russische Allianz. Von einer Anerkennung dieser unbestreitbaren Thatsache finden wir in dem Rothbuche nichts, Graf Beust benutzt den Conflikt nur um immer wieder darauf hinzuweisen, wie man Unrecht gehabt, sein orientalisches Programm von 1867 nicht anzunehmen. Er betont, daß dasselbe der Türkei umfassende Reformen an gerathen, üvergeht aber mit Still¬ schweigen, daß gerade von ihm der unglückliche Vorschlag ausging, durch den er damals hoffte, die Gunst Rußlands zu erwerben, nämlich die Bestimmung des Pariser Friedens aufzuheben, durch die das Schwarze Meer neutralisirt ward. Mit großer Ostentation wird die Bedeutung des neusten Austausches von Höflichkeiten zwischen Oesterreich und Italien hervorgehoben; auch ohne die Depesche vom 19. April an Baron Kübeck wußte man, daß das Wiener Cabinet eifrigst in Florenz um eine Annäherung bemüht ist, welche schwerlich nur den Character einer Pflege gemeinsamer materieller Interessen hatte. Zum Glück ist Oestreich hier ohne Frankreich ohnmächtig und die Bedeutung der römischen Frage sür die innere Politik Napoleons stellt einer aggressiven Tripelallianz zwischen Wien, Florenz und Paris starke Hindernisse entgegen. Lehrreicher für die letzten Absichten des Reichskanzlers sind die Akten¬ stücke, welche sich auf die deutschen Angelegenheiten beziehen. Die Depesche vom 2. Dec. 1868 an Graf Wimpffen den Übeln Eindruck betreffend, den das vorige Rothbuch in Berlin gemacht, ist schon zur Genüge in der Presse besprochen. Sie war mindestens unnöthig und nur ein Ausfluß der oben¬ gedachten Schreibeseligkeit. Das Circular vom 6. Mai, welches die Ver¬ öffentlichung der preußischen Telegramme von 1866 in dem bekannten östreichi¬ schen Generalstabswerke bespricht, läßt den Hauptpunkt unerörtert, wie man nämlich in Wien in Besitz des Chifferschlüssels gekommen ist. Wenn übrigens eine Veröffentlichung von so entschieden politischer Bedeutung ohne vorherige Wissenschaft des Grasen Beust statthaben konnte, so ist dies nur ein Beweis, daß er obwohl erster Minister nicht ausschließlich die auswärtige Politik macht, son¬ dern daß daneben die Strömungen einer kaiserlichen Cabinetspolitik herziehen, denn niemand wird glauben, daß der Chef des Generalstabes gewagt habe derartige Depeschen zu veröffentlichen ohne zuvor an allerhöchster Stelle an¬ gefragt zu haben. Grenzboten III. 1869. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/233>, abgerufen am 26.08.2024.