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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Das neueste Nothbuch.

Wir haben früher Graf Beust gegen die Anschuldigungen der officiösen
preußischen Presse vertheidigt, welche ihn bei jeder Gelegenheit als Stören¬
fried und Ränkeschmied hinstellte, aber es fällt uns schwer zu Gunsten seiner
neuesten Publikationen etwas zu sagen, mit Ausnahme der Depeschen, welche
sich auf den Conflikt mit der Curie beziehen. Es ist als ob er die sarkastischen
Bemerkungen rechtfertigen wollte, mit denen Gras Bismarck die Aufforderung
beantwortete: auch seinerseits Blaubücher zu veröffentlichen. Dan Rochbuch
enthält diesmal wirklich viel "Anschauliches", während man zufällig weiß, daß
daneben der österreichische Reichskanzler so höchst Schädliches in die Welt
hat gehen lassen, wie die Depesche vom 1. Mai d. I. in der belgischen An¬
gelegenheit, von der wohlweislich nichts gesagt ist. Graf Beust ist unzweifel-
haft ein sehr gescheidter Mann, er hat auf seinem schwierigen Posten Großes
geleistet, (eher er hat eine unglückliche Sucht, von sich reden zu machen und
über alles seine Meinung abzugeben. Diese Neigung zeigte sich schon als er
nur sächsischer Minister war und sich als solcher bewogen fand, über alle
Ereignisse der großen Politik Depeschen abzufassen, die von den europäischen
Cabinetten mit unverhohlener Geringschätzung behandelt wurden. "Ur.
liLULt est un liullLur" hieß es in den Kanzleien, zumal seine Auslassungen
meist von unerträglicher Breite waren. "Norcis-x" nannte sich Herr von
Beust in Dresden selber, -- "Leribax" wäre richtiger gewesen. Der jetzige
Reichskanzler hat nun allerdings den Beruf, sich über die meisten Fragen der
europäischen Politik auszujprechen, aber er sehlt unserer An>>ehe nach, von der
Sache abgesehen, noch ost in der Form; er schreibt, wo es nicht nöthig ist,
widerlegt Einwände oder Beschwerden, die niemand erhoben hat, und zieht seine
Argumentationen zu ungebührlicher Länge aus. Aus allem, was er schreibt,
leuchtet nicht der feste klare Sinn des Staatsmannes, der unbeirrt ein großes
Ziel verfolgt, sondern der unruhige Geist eines begabten Mannes, dem vor
allem daran liegt, daß er bei allem mitspreche.

Was die einzelnen Fragen betrifft, auf welche die Depeschen des Roth¬
buchs Bezug haben, so ist hinsichtlich des JncioentpunklS, welcher im Beginn
d. I. am ernstlichsten den europäischen Frieden bedrohte, wenig aus der
Sammlung zu lernen. Gras Beust bekennten einem Erlaß an den östreichijchen
Geschäftsträger in Constantinopel ziemlich naiv, durch den Anspruch des
Conflicts zwischen der Türkei und Griechenland überrascht zu sein; andere
Fragen von größerer Wichtigkeit hätten ihn absorturt gehabt. Daß er im
Sinne des Friedens gewirkt, daß die Anschuldigung der russischen Presse,


Das neueste Nothbuch.

Wir haben früher Graf Beust gegen die Anschuldigungen der officiösen
preußischen Presse vertheidigt, welche ihn bei jeder Gelegenheit als Stören¬
fried und Ränkeschmied hinstellte, aber es fällt uns schwer zu Gunsten seiner
neuesten Publikationen etwas zu sagen, mit Ausnahme der Depeschen, welche
sich auf den Conflikt mit der Curie beziehen. Es ist als ob er die sarkastischen
Bemerkungen rechtfertigen wollte, mit denen Gras Bismarck die Aufforderung
beantwortete: auch seinerseits Blaubücher zu veröffentlichen. Dan Rochbuch
enthält diesmal wirklich viel „Anschauliches", während man zufällig weiß, daß
daneben der österreichische Reichskanzler so höchst Schädliches in die Welt
hat gehen lassen, wie die Depesche vom 1. Mai d. I. in der belgischen An¬
gelegenheit, von der wohlweislich nichts gesagt ist. Graf Beust ist unzweifel-
haft ein sehr gescheidter Mann, er hat auf seinem schwierigen Posten Großes
geleistet, (eher er hat eine unglückliche Sucht, von sich reden zu machen und
über alles seine Meinung abzugeben. Diese Neigung zeigte sich schon als er
nur sächsischer Minister war und sich als solcher bewogen fand, über alle
Ereignisse der großen Politik Depeschen abzufassen, die von den europäischen
Cabinetten mit unverhohlener Geringschätzung behandelt wurden. „Ur.
liLULt est un liullLur" hieß es in den Kanzleien, zumal seine Auslassungen
meist von unerträglicher Breite waren. „Norcis-x" nannte sich Herr von
Beust in Dresden selber, — „Leribax" wäre richtiger gewesen. Der jetzige
Reichskanzler hat nun allerdings den Beruf, sich über die meisten Fragen der
europäischen Politik auszujprechen, aber er sehlt unserer An>>ehe nach, von der
Sache abgesehen, noch ost in der Form; er schreibt, wo es nicht nöthig ist,
widerlegt Einwände oder Beschwerden, die niemand erhoben hat, und zieht seine
Argumentationen zu ungebührlicher Länge aus. Aus allem, was er schreibt,
leuchtet nicht der feste klare Sinn des Staatsmannes, der unbeirrt ein großes
Ziel verfolgt, sondern der unruhige Geist eines begabten Mannes, dem vor
allem daran liegt, daß er bei allem mitspreche.

Was die einzelnen Fragen betrifft, auf welche die Depeschen des Roth¬
buchs Bezug haben, so ist hinsichtlich des JncioentpunklS, welcher im Beginn
d. I. am ernstlichsten den europäischen Frieden bedrohte, wenig aus der
Sammlung zu lernen. Gras Beust bekennten einem Erlaß an den östreichijchen
Geschäftsträger in Constantinopel ziemlich naiv, durch den Anspruch des
Conflicts zwischen der Türkei und Griechenland überrascht zu sein; andere
Fragen von größerer Wichtigkeit hätten ihn absorturt gehabt. Daß er im
Sinne des Friedens gewirkt, daß die Anschuldigung der russischen Presse,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/232>, abgerufen am 25.08.2024.