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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Ihr Herz nicht fähig ist, und er lebt in dem Glauben und der festen Ueber¬
zeugung, von Ihnen erkannt zu sein. Sie sind ihm und blieben ihm. was
Sie ihm von dem Augenblicke des Anerkennens Ihres Innern waren: eine
liebliche Erscheinung, die ihn freundlich durch das Leben geleitet.

Mit Freude und Vergnügen habe ich gelesen und von dem Herrn Baron
von Beaulieu gehört, daß Ihre Gesundheit sich immer zum Bessern neiget,
ich wünsche von Herzen Dauer und Zunahme. Von mir -habe ich nichts zu
sagen, als daß meine Leiden, mein hohes Alter zu einer Art von Märthr-
thum machen und immer mehr zu machen drohen, indessen ist das Innere
in mir immer noch gleich wach und jung, zum Kampfe gerüstet, kräftig stre¬
bend, die Obermacht zu erhalten, die es bisher ausgeübt hat.

Mit Schrecken und tiefem Schmerz habe ich die Nachricht von der ge¬
fährlichen Krankheit unseres Goethe in den öffentlichen Blättern gelesen und
mit Angst die besseren Nachrichten, die Sie mir auch gegeben, erwartet: er
lebt und wird uns leben. Ich, dem die Sonne des Lebens, mit dem gleichen
Verluste*), für immer untergegangen ist, und der in dem Dunkel noch fort¬
leben muß, mußte als treuer Freund und unglücklicher, verlassener Vater am
tiefsten von allen, die Goethe lieben, gerührt und betroffen werden. Nach
diesem vermag ich nicht weiter zu gehen, ich blicke nach Ihnen, sehe Sie,
rede mit Ihnen, gehe an Ihrer Seite nach dem Pavillon der Rosen, spreche
mit Ihnen von Goethe, von allem Guten und Trefflicher und fühle den Ab¬
glanz Ihres Geistes und Herzens in mir.

Se. Petersburg, 12. Dec. 1830.


Ihr treuer Verehrer und Freund
Klinger.
16.

Brief des Kanzlers von Müller an die Gräfin Caroline
von Egloffstein.

Wenn Sie diese Zeilen öffnen, Theuerste! so wissen Sie schon unser aller
unersetzlichen Verlust, den Ihrigen ganz besonders. --

Er schied so sanft, so heiter, so vollkräftig bis zur letzten Stunde, daß
es nicht möglich wird zu denken, daß er uns verloren sei. Nein, er
lebt für immer und er lebt für immer in uns allen, seinen Getreuen, fort!

Vor wenig Wochen schloß er den S ten und letzten Act des neuen Faust
also ab:


"Es wird die Spur von meinen Erdentagen
Nicht in Aeonen untergehn!"


") August von Goethe, des Dichters Sohn, war am 27. October 1830 in Nom verstorben.

Ihr Herz nicht fähig ist, und er lebt in dem Glauben und der festen Ueber¬
zeugung, von Ihnen erkannt zu sein. Sie sind ihm und blieben ihm. was
Sie ihm von dem Augenblicke des Anerkennens Ihres Innern waren: eine
liebliche Erscheinung, die ihn freundlich durch das Leben geleitet.

Mit Freude und Vergnügen habe ich gelesen und von dem Herrn Baron
von Beaulieu gehört, daß Ihre Gesundheit sich immer zum Bessern neiget,
ich wünsche von Herzen Dauer und Zunahme. Von mir -habe ich nichts zu
sagen, als daß meine Leiden, mein hohes Alter zu einer Art von Märthr-
thum machen und immer mehr zu machen drohen, indessen ist das Innere
in mir immer noch gleich wach und jung, zum Kampfe gerüstet, kräftig stre¬
bend, die Obermacht zu erhalten, die es bisher ausgeübt hat.

Mit Schrecken und tiefem Schmerz habe ich die Nachricht von der ge¬
fährlichen Krankheit unseres Goethe in den öffentlichen Blättern gelesen und
mit Angst die besseren Nachrichten, die Sie mir auch gegeben, erwartet: er
lebt und wird uns leben. Ich, dem die Sonne des Lebens, mit dem gleichen
Verluste*), für immer untergegangen ist, und der in dem Dunkel noch fort¬
leben muß, mußte als treuer Freund und unglücklicher, verlassener Vater am
tiefsten von allen, die Goethe lieben, gerührt und betroffen werden. Nach
diesem vermag ich nicht weiter zu gehen, ich blicke nach Ihnen, sehe Sie,
rede mit Ihnen, gehe an Ihrer Seite nach dem Pavillon der Rosen, spreche
mit Ihnen von Goethe, von allem Guten und Trefflicher und fühle den Ab¬
glanz Ihres Geistes und Herzens in mir.

Se. Petersburg, 12. Dec. 1830.


Ihr treuer Verehrer und Freund
Klinger.
16.

Brief des Kanzlers von Müller an die Gräfin Caroline
von Egloffstein.

Wenn Sie diese Zeilen öffnen, Theuerste! so wissen Sie schon unser aller
unersetzlichen Verlust, den Ihrigen ganz besonders. —

Er schied so sanft, so heiter, so vollkräftig bis zur letzten Stunde, daß
es nicht möglich wird zu denken, daß er uns verloren sei. Nein, er
lebt für immer und er lebt für immer in uns allen, seinen Getreuen, fort!

Vor wenig Wochen schloß er den S ten und letzten Act des neuen Faust
also ab:


„Es wird die Spur von meinen Erdentagen
Nicht in Aeonen untergehn!"


") August von Goethe, des Dichters Sohn, war am 27. October 1830 in Nom verstorben.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/220>, abgerufen am 22.07.2024.