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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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zwar verblühten, aber doch noch immer anmuthigen Gesichtszüge, und vor
allen die erhabene Würde, die sich in ihrem ganzen Wesen aussprach, riefen
mir jenes Ideal edelster Weiblichkeit, so wie es Goethe darstellte, unwillkür¬
lich vor die Seele -- sonderbar genug, da keine Ideenverbindung stattfinden
konnte, indem ich nicht die leiseste Ahnung davon hatte, daß Frau v. Türk¬
heim und der große Dichter jemals in vertrauter Beziehung standen. Ich
sollte aber bald erkennen, wie richtig mich meine Gefühle geleitet, denn die
vortreffliche Frau gestand mir mit rührender Offenheit, sie habe erfahren, in
welcher engen Verbindung ich mit Weimar stünde und bloß deshalb meine
Bekanntschaft gewünscht, um etwas Näheres von Goethens Leben und Schick¬
salen zu vernehmen, den sie den Schöpfer ihrer moralischen Existenz nannte.
Die Innigkeit, ja, ich darf sagen, die Begeisterung, womit sie von ihm sprach,
rührte mich unaussprechlich und vermehrte meine hohe Meinung von dem
verehrten Manne, den ich damals leider! noch nicht persönlich kannte.

Dieser Umstand verhinderte mich, dem Wunsche seiner Jugendfreundin
Genüge zu leisten, allein die theure Frau ließ es mich nicht entgelten, und
von jenem Augenblicke an entspann sich das herzlichste Freundschaftsverhält¬
niß zwischen uns Beiden. So lange ich lebe, werde ich an die genuß- und
lehrreichen Stunden mit tief bewegter Seele denken, die ich bei Frau von
Türkheim zubrachte, und ihre Tugenden zum Vorbild nehmen.

Im Laufe unserer traulichen Unterhaltungen erzählte sie mir die Ge¬
schichte ihres Herzens, woraus ich deutlich ersah, daß sie. wenn auch nicht
vollkommen glücklich, doch mit ihrem Schicksal zufrieden war, weil -- Goethe
es ihr vorgezeichnet hatte. Mit seltener Aufrichtigkeit gestand mir Frau von
Türkheim, ihre Leidenschaft für denselben sei mächtiger als Pflicht und
Tugendgesühl in ihr gewesen, und wenn seine Großmuth die Opfer, welche
sie ihm bringen wollte, nicht standhaft zurückgewiesen hätte, so würde sie
späterhin, ihrer Selbstachtung und der bürgerlichen Ehre beraubt, auf die
Vergangenheit zurückgeschaut haben, welche ihr im Gegentheil jetzt nur be¬
seligende Erinnerungen darböte. -- Seinem Edelsinne verdanke sie einzig und
allein ihre geistige Ausbildung an der Seite eines würdigen Gatten und den
Kreis hoffnungsvoller Kinder, in welchem sie Ersatz für alle Leiden fände,
die der Himmel ihr auferlegt. Sie müsse sich daher als sein Geschöpf
betrachten und bis zum letzten Hauch ihres Lebens ' mit religiöser
Verehrung an seinem Bilde hangen. Da ihr aller Wahrscheinlichkeit nach
nicht vergönnt sein würde, Goethen wieder zu sehen, so bäte sie mich, dem
unvergeßlichen Freunde, wenn ich ihn einst von Angesicht zu Angesicht
schaute und sich eine schickliche. Gelegenheit fände, dasjenige mitzutheilen, was
sie mir in dieser Absicht vertraut habe. --

Ihre Worte hatte ich treu bewahrt, aber eine solche Gelegenheit fand


zwar verblühten, aber doch noch immer anmuthigen Gesichtszüge, und vor
allen die erhabene Würde, die sich in ihrem ganzen Wesen aussprach, riefen
mir jenes Ideal edelster Weiblichkeit, so wie es Goethe darstellte, unwillkür¬
lich vor die Seele — sonderbar genug, da keine Ideenverbindung stattfinden
konnte, indem ich nicht die leiseste Ahnung davon hatte, daß Frau v. Türk¬
heim und der große Dichter jemals in vertrauter Beziehung standen. Ich
sollte aber bald erkennen, wie richtig mich meine Gefühle geleitet, denn die
vortreffliche Frau gestand mir mit rührender Offenheit, sie habe erfahren, in
welcher engen Verbindung ich mit Weimar stünde und bloß deshalb meine
Bekanntschaft gewünscht, um etwas Näheres von Goethens Leben und Schick¬
salen zu vernehmen, den sie den Schöpfer ihrer moralischen Existenz nannte.
Die Innigkeit, ja, ich darf sagen, die Begeisterung, womit sie von ihm sprach,
rührte mich unaussprechlich und vermehrte meine hohe Meinung von dem
verehrten Manne, den ich damals leider! noch nicht persönlich kannte.

Dieser Umstand verhinderte mich, dem Wunsche seiner Jugendfreundin
Genüge zu leisten, allein die theure Frau ließ es mich nicht entgelten, und
von jenem Augenblicke an entspann sich das herzlichste Freundschaftsverhält¬
niß zwischen uns Beiden. So lange ich lebe, werde ich an die genuß- und
lehrreichen Stunden mit tief bewegter Seele denken, die ich bei Frau von
Türkheim zubrachte, und ihre Tugenden zum Vorbild nehmen.

Im Laufe unserer traulichen Unterhaltungen erzählte sie mir die Ge¬
schichte ihres Herzens, woraus ich deutlich ersah, daß sie. wenn auch nicht
vollkommen glücklich, doch mit ihrem Schicksal zufrieden war, weil — Goethe
es ihr vorgezeichnet hatte. Mit seltener Aufrichtigkeit gestand mir Frau von
Türkheim, ihre Leidenschaft für denselben sei mächtiger als Pflicht und
Tugendgesühl in ihr gewesen, und wenn seine Großmuth die Opfer, welche
sie ihm bringen wollte, nicht standhaft zurückgewiesen hätte, so würde sie
späterhin, ihrer Selbstachtung und der bürgerlichen Ehre beraubt, auf die
Vergangenheit zurückgeschaut haben, welche ihr im Gegentheil jetzt nur be¬
seligende Erinnerungen darböte. — Seinem Edelsinne verdanke sie einzig und
allein ihre geistige Ausbildung an der Seite eines würdigen Gatten und den
Kreis hoffnungsvoller Kinder, in welchem sie Ersatz für alle Leiden fände,
die der Himmel ihr auferlegt. Sie müsse sich daher als sein Geschöpf
betrachten und bis zum letzten Hauch ihres Lebens ' mit religiöser
Verehrung an seinem Bilde hangen. Da ihr aller Wahrscheinlichkeit nach
nicht vergönnt sein würde, Goethen wieder zu sehen, so bäte sie mich, dem
unvergeßlichen Freunde, wenn ich ihn einst von Angesicht zu Angesicht
schaute und sich eine schickliche. Gelegenheit fände, dasjenige mitzutheilen, was
sie mir in dieser Absicht vertraut habe. —

Ihre Worte hatte ich treu bewahrt, aber eine solche Gelegenheit fand


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/218>, abgerufen am 01.07.2024.