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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Die vorstehenden Zahlen beweisen bis zur Evidenz, welch enormer Unter¬
schied zwischen den noch bestehenden Eisenbahnfrachten und dem Einpfennig¬
tarif liegt und wie drückend, ja lähmend die Ersteren auf aller Eisenfabrica-
tion lasten, ohne daß sie auch nur für die Eisenbahngesellschaften eine wirk¬
liche Nothwendigkeit wären.

Es ist nur das Gebot einer dringenden Nothwendigkeit, daß sich unsere
Eisenindustrie, die des billigen Bezugs von Rohproducten und Hilfsstoffen nicht
entbehren kann, wenn sie bei der stetig wachsenden ausländischen Concurrenz
siegreich bleiben will, immer wieder an diejenige Macht wendet, welche durch ihre
Gesetzgebung allein das factische Monopol der Eisenbahnen ermöglicht hat,
-- an den Staat. Weil dieser nicht mehr der engherzige Territorialstaat
ist, der er zur Zeit der Begründung unseres Eisenbahnwesens war, sondern
der aus dem Bedürfniß der Nation hervorgegangene große deutsche Staat,
liegt die Hoffnung auf Abhilfe näher, als jemals früher, zumal der §. 45 der
Verfassung des norddeutschen Bundes das Verkehrsleben und dessen Regelung
direct unter die Aufsicht des neuen Bundes stellt.

Ein wichtiger Fortschritt ist im Laufe der letzten zwei Jahre bereits ge¬
macht worden. Seit dem 16. Octbr. 1867 haben die Verwaltungen der Kö¬
niglichen Ostbahn, der Warschau-Wiener und Warschau-Bromberger Bahnen
die Vereinbarung getroffen, für Eisen und Blech einen Specialtarif gelten zu
lassen, nach welchem -- 63V2 Meile -- mit S^/z Sgr. incl. Expeditions¬
gebühr, mithin zu Einem Pfennig pro Centner und Meile zur Berechnung
gebracht werden. Da die gedachten Verwaltungen, bevor sie sich zur Ein¬
führung des Einpfennigsatzes entschlossen, die Rentabilitätsfrage reiflich in
Erwägung gezogen, und vorhandene Erfahrungen ihrem Entschlüsse zum
Grunde gelegt haben, so liegt der Anspruch nahe, ihr Beispiel demnächst auch
von anderen Bahnen nachgeahmt zu sehen. Neuerdings sind diese Erfah¬
rungen durch den Bericht bestätigt worden, welchen der Präsident Geheimer
Gommerzienrath Mevitten in der Generalversammlung der Rheinischen Eisen¬
bahn am 29. Mai dieses Jahres erstattete und in welchem es u. A. heißt:
"Die Erfahrung des letzten Jahrzehnts hat dargethan, daß der
Transport der Massengüter sehr wesentlich durch die Höhe der Fracht be¬
dingt und bei niedrigen Tarifen in den meisten Fällen einer Steigerung
auf das Doppelte und mehr fähig ist. Ist auch der Nettoertrag bei
einem Transport des doppelten Quantums Massengut zum Einpfennig¬
tarif schwerlich höher, ja wahrscheinlich ansehnlich geringer, als bei einem
Transport des einfachen Quantums Massengut zu IV2 Pfennig, so ist doch
die niedrige Tarifirung der Massengüter vom erheblichsten und sehr oft
absolut maßgebenden Einfluß für die Entwickelung der Industrie im
Bahngebiete, und dadurch für die Entwickelung des Gütertransports über-


Grenzbotm 111. 1869., 25

Die vorstehenden Zahlen beweisen bis zur Evidenz, welch enormer Unter¬
schied zwischen den noch bestehenden Eisenbahnfrachten und dem Einpfennig¬
tarif liegt und wie drückend, ja lähmend die Ersteren auf aller Eisenfabrica-
tion lasten, ohne daß sie auch nur für die Eisenbahngesellschaften eine wirk¬
liche Nothwendigkeit wären.

Es ist nur das Gebot einer dringenden Nothwendigkeit, daß sich unsere
Eisenindustrie, die des billigen Bezugs von Rohproducten und Hilfsstoffen nicht
entbehren kann, wenn sie bei der stetig wachsenden ausländischen Concurrenz
siegreich bleiben will, immer wieder an diejenige Macht wendet, welche durch ihre
Gesetzgebung allein das factische Monopol der Eisenbahnen ermöglicht hat,
— an den Staat. Weil dieser nicht mehr der engherzige Territorialstaat
ist, der er zur Zeit der Begründung unseres Eisenbahnwesens war, sondern
der aus dem Bedürfniß der Nation hervorgegangene große deutsche Staat,
liegt die Hoffnung auf Abhilfe näher, als jemals früher, zumal der §. 45 der
Verfassung des norddeutschen Bundes das Verkehrsleben und dessen Regelung
direct unter die Aufsicht des neuen Bundes stellt.

Ein wichtiger Fortschritt ist im Laufe der letzten zwei Jahre bereits ge¬
macht worden. Seit dem 16. Octbr. 1867 haben die Verwaltungen der Kö¬
niglichen Ostbahn, der Warschau-Wiener und Warschau-Bromberger Bahnen
die Vereinbarung getroffen, für Eisen und Blech einen Specialtarif gelten zu
lassen, nach welchem — 63V2 Meile — mit S^/z Sgr. incl. Expeditions¬
gebühr, mithin zu Einem Pfennig pro Centner und Meile zur Berechnung
gebracht werden. Da die gedachten Verwaltungen, bevor sie sich zur Ein¬
führung des Einpfennigsatzes entschlossen, die Rentabilitätsfrage reiflich in
Erwägung gezogen, und vorhandene Erfahrungen ihrem Entschlüsse zum
Grunde gelegt haben, so liegt der Anspruch nahe, ihr Beispiel demnächst auch
von anderen Bahnen nachgeahmt zu sehen. Neuerdings sind diese Erfah¬
rungen durch den Bericht bestätigt worden, welchen der Präsident Geheimer
Gommerzienrath Mevitten in der Generalversammlung der Rheinischen Eisen¬
bahn am 29. Mai dieses Jahres erstattete und in welchem es u. A. heißt:
„Die Erfahrung des letzten Jahrzehnts hat dargethan, daß der
Transport der Massengüter sehr wesentlich durch die Höhe der Fracht be¬
dingt und bei niedrigen Tarifen in den meisten Fällen einer Steigerung
auf das Doppelte und mehr fähig ist. Ist auch der Nettoertrag bei
einem Transport des doppelten Quantums Massengut zum Einpfennig¬
tarif schwerlich höher, ja wahrscheinlich ansehnlich geringer, als bei einem
Transport des einfachen Quantums Massengut zu IV2 Pfennig, so ist doch
die niedrige Tarifirung der Massengüter vom erheblichsten und sehr oft
absolut maßgebenden Einfluß für die Entwickelung der Industrie im
Bahngebiete, und dadurch für die Entwickelung des Gütertransports über-


Grenzbotm 111. 1869., 25
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[0201] Die vorstehenden Zahlen beweisen bis zur Evidenz, welch enormer Unter¬ schied zwischen den noch bestehenden Eisenbahnfrachten und dem Einpfennig¬ tarif liegt und wie drückend, ja lähmend die Ersteren auf aller Eisenfabrica- tion lasten, ohne daß sie auch nur für die Eisenbahngesellschaften eine wirk¬ liche Nothwendigkeit wären. Es ist nur das Gebot einer dringenden Nothwendigkeit, daß sich unsere Eisenindustrie, die des billigen Bezugs von Rohproducten und Hilfsstoffen nicht entbehren kann, wenn sie bei der stetig wachsenden ausländischen Concurrenz siegreich bleiben will, immer wieder an diejenige Macht wendet, welche durch ihre Gesetzgebung allein das factische Monopol der Eisenbahnen ermöglicht hat, — an den Staat. Weil dieser nicht mehr der engherzige Territorialstaat ist, der er zur Zeit der Begründung unseres Eisenbahnwesens war, sondern der aus dem Bedürfniß der Nation hervorgegangene große deutsche Staat, liegt die Hoffnung auf Abhilfe näher, als jemals früher, zumal der §. 45 der Verfassung des norddeutschen Bundes das Verkehrsleben und dessen Regelung direct unter die Aufsicht des neuen Bundes stellt. Ein wichtiger Fortschritt ist im Laufe der letzten zwei Jahre bereits ge¬ macht worden. Seit dem 16. Octbr. 1867 haben die Verwaltungen der Kö¬ niglichen Ostbahn, der Warschau-Wiener und Warschau-Bromberger Bahnen die Vereinbarung getroffen, für Eisen und Blech einen Specialtarif gelten zu lassen, nach welchem — 63V2 Meile — mit S^/z Sgr. incl. Expeditions¬ gebühr, mithin zu Einem Pfennig pro Centner und Meile zur Berechnung gebracht werden. Da die gedachten Verwaltungen, bevor sie sich zur Ein¬ führung des Einpfennigsatzes entschlossen, die Rentabilitätsfrage reiflich in Erwägung gezogen, und vorhandene Erfahrungen ihrem Entschlüsse zum Grunde gelegt haben, so liegt der Anspruch nahe, ihr Beispiel demnächst auch von anderen Bahnen nachgeahmt zu sehen. Neuerdings sind diese Erfah¬ rungen durch den Bericht bestätigt worden, welchen der Präsident Geheimer Gommerzienrath Mevitten in der Generalversammlung der Rheinischen Eisen¬ bahn am 29. Mai dieses Jahres erstattete und in welchem es u. A. heißt: „Die Erfahrung des letzten Jahrzehnts hat dargethan, daß der Transport der Massengüter sehr wesentlich durch die Höhe der Fracht be¬ dingt und bei niedrigen Tarifen in den meisten Fällen einer Steigerung auf das Doppelte und mehr fähig ist. Ist auch der Nettoertrag bei einem Transport des doppelten Quantums Massengut zum Einpfennig¬ tarif schwerlich höher, ja wahrscheinlich ansehnlich geringer, als bei einem Transport des einfachen Quantums Massengut zu IV2 Pfennig, so ist doch die niedrige Tarifirung der Massengüter vom erheblichsten und sehr oft absolut maßgebenden Einfluß für die Entwickelung der Industrie im Bahngebiete, und dadurch für die Entwickelung des Gütertransports über- Grenzbotm 111. 1869., 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/201>, abgerufen am 26.06.2024.