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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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zulegen, sondern das relativ oder absolut Interessante daraus hervorzuheben.
Und da der Franzose daheim einen unverhältnißmäßigen Werth auf das
Glänzende der äußern Erscheinung und der geistigen Verkehrsformen legt, so
ist es natürlich, daß er bei fremden Nationen mit Vorliebe sich dem Glanz¬
vollen und Pikanten zuwendet. Wie sehr hiergegen das blos innerlich
Werthvolle zurückstehen muß, davon kann man sich überzeugen, wenn man
z. B. die Citate aus deutschen Klassikern bei den geistreichsten französischen
Autoren überblickt (eine Aufgabe, deren umfassendere Bearbeitung sich, bei¬
läufig gesagt, lohnen würde), oder noch einfacher, wenn man bedenkt, in
welchen Verkleidungen "Faust" und "Mignon" den Parisern zum ersten
Male genußrecht geworden sind. Und da er gern auch in seinen wissen¬
schaftlichen Arbeiten auf Leserinnen rechnet und so gut wie unser Dichter
weiß, "was ein weiblich Herz erfreue in der groß'Fnd kleinen Welt", so
liebt er es, dg.ut.es nouvsÄutss, wo er sie findet, in bunten schimmernden
Musterproben vorzulegen. Es ist, um es kurz zu sagen, in dem Bewußtsein,
nur daheim das ächt und tadellos Geschmackvolle zu haben, immer mehr oder
weniger unter dem Gesichtspunkte des Curiositätensammlers, daß er das
Fremde den Seinigen darbietet, weshalb seine ausgedehnteren Studien aus¬
ländischer schöner Literatur von Chateaubriand's "Mills du LKristiainsmö"
bis zu Victor Hugo's "Shakespeare" mehr lose aneinander gereihte, zier¬
lich ausgelegte Einzelheiten oder elegante Gedankenpromenaden, die mit
Grazie aus dem Hundertsten ins Tausendste sich verlieren, als organische
Schöpfungen sind.

Das vorliegende Werk geht, wie erwähnt, in seinen Absichten über diese
Traditionen hinaus, ohne sie jedoch in der Ausführung gänzlich zu verleug¬
nen. Hat doch Herr Royer in früheren Jahren mit Vorliebe fremdländische
Stoffe zu Novellen verarbeitet, namentlich in pikanten Zügen ein Bild des
Orients zu geben gesucht; lockt doch auch er sein Publicum damit, daß er
interessante Details. Entdeckungsreisen in Gebiete verspricht, die zum Theil
ganz unbekannt und unzugänglich waren, -- sein Publicum, das nicht nur
aus Gelehrten, sondern aus allen, die das Theater nur als einen angenehmen
Zeitvertreib betrachten, bestehen müßte. Ein solches Publicum dürfte denn doch
wohl in Deutschland selbst für einen Verfasser populärster Vorlesungen zu gemischt
gelten; irgend etwas von ästhetischen und idealen Principien würde er ihnen
doch anmuthen oder als Grundlage darbieten, und daß auch solche sich po¬
pulär und zierlich geben lassen, zeigt die Einleitung zu A. W. Schlegels
sonst ja oft hinlänglich französtrenden Vorträgen. Aber die Voraussetzung
oder Mittheilung von ästhetischen Principien weist Herr Royer auch noch
ganz ausdrücklich zurück, wie uns dünkt, nicht ohne ein gewisses Hohnlächeln
für unseren deutschen Brauch. Es ist jedoch unausbleiblich, daß sich dies in


Grenzboten III. 186S. 20

zulegen, sondern das relativ oder absolut Interessante daraus hervorzuheben.
Und da der Franzose daheim einen unverhältnißmäßigen Werth auf das
Glänzende der äußern Erscheinung und der geistigen Verkehrsformen legt, so
ist es natürlich, daß er bei fremden Nationen mit Vorliebe sich dem Glanz¬
vollen und Pikanten zuwendet. Wie sehr hiergegen das blos innerlich
Werthvolle zurückstehen muß, davon kann man sich überzeugen, wenn man
z. B. die Citate aus deutschen Klassikern bei den geistreichsten französischen
Autoren überblickt (eine Aufgabe, deren umfassendere Bearbeitung sich, bei¬
läufig gesagt, lohnen würde), oder noch einfacher, wenn man bedenkt, in
welchen Verkleidungen „Faust" und „Mignon" den Parisern zum ersten
Male genußrecht geworden sind. Und da er gern auch in seinen wissen¬
schaftlichen Arbeiten auf Leserinnen rechnet und so gut wie unser Dichter
weiß, „was ein weiblich Herz erfreue in der groß'Fnd kleinen Welt", so
liebt er es, dg.ut.es nouvsÄutss, wo er sie findet, in bunten schimmernden
Musterproben vorzulegen. Es ist, um es kurz zu sagen, in dem Bewußtsein,
nur daheim das ächt und tadellos Geschmackvolle zu haben, immer mehr oder
weniger unter dem Gesichtspunkte des Curiositätensammlers, daß er das
Fremde den Seinigen darbietet, weshalb seine ausgedehnteren Studien aus¬
ländischer schöner Literatur von Chateaubriand's „Mills du LKristiainsmö"
bis zu Victor Hugo's „Shakespeare" mehr lose aneinander gereihte, zier¬
lich ausgelegte Einzelheiten oder elegante Gedankenpromenaden, die mit
Grazie aus dem Hundertsten ins Tausendste sich verlieren, als organische
Schöpfungen sind.

Das vorliegende Werk geht, wie erwähnt, in seinen Absichten über diese
Traditionen hinaus, ohne sie jedoch in der Ausführung gänzlich zu verleug¬
nen. Hat doch Herr Royer in früheren Jahren mit Vorliebe fremdländische
Stoffe zu Novellen verarbeitet, namentlich in pikanten Zügen ein Bild des
Orients zu geben gesucht; lockt doch auch er sein Publicum damit, daß er
interessante Details. Entdeckungsreisen in Gebiete verspricht, die zum Theil
ganz unbekannt und unzugänglich waren, — sein Publicum, das nicht nur
aus Gelehrten, sondern aus allen, die das Theater nur als einen angenehmen
Zeitvertreib betrachten, bestehen müßte. Ein solches Publicum dürfte denn doch
wohl in Deutschland selbst für einen Verfasser populärster Vorlesungen zu gemischt
gelten; irgend etwas von ästhetischen und idealen Principien würde er ihnen
doch anmuthen oder als Grundlage darbieten, und daß auch solche sich po¬
pulär und zierlich geben lassen, zeigt die Einleitung zu A. W. Schlegels
sonst ja oft hinlänglich französtrenden Vorträgen. Aber die Voraussetzung
oder Mittheilung von ästhetischen Principien weist Herr Royer auch noch
ganz ausdrücklich zurück, wie uns dünkt, nicht ohne ein gewisses Hohnlächeln
für unseren deutschen Brauch. Es ist jedoch unausbleiblich, daß sich dies in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/161>, abgerufen am 25.08.2024.