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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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vereinigt; aus dem herben Spott, mit dem Eugen seinem plötzlich mit der
Welt versöhnten Freunde Lebewohl sagt, spricht zugleich der feine Humor
des Dichters, der ebenso die Wandlung des nur künstlich zum Nihilisten
aufgebauschten jungen Lebemanns, wie die Anstrengungslosigkeit zu belächeln
scheint, mit der leicht aufgesetzte Naturen den Kampf um liebendes Nehmen
und Geben auszufechten pflegen. Eugen Basarow kehrt in das verlassene
Aelternhaus zurück, sucht die Oede seines Herzens durch eifrige Studien zu
übertäuben und stirbt wenig später an der Leichenvergiftung, die er sich bei
einer Section zugezogen.

Wie bei fast allen Turgenjewschen Dichtungen ist auch bei den "Vätern
und Söhnen" der Hauptwerth nicht in der Komposition, sondern in der fei¬
nen, geistvollen und zugleich naturwahren Charakteristik der handelnden Per¬
sonen und der meisterhaften Schilderung der diese umgebenden äußeren und
inneren Verhältnisse zu suchen. Obgleich man es dem Dichter nachfühlt, für
welche der beiden geschilderten Richtungen er im Grunde seines Herzens
Partei genommen und daß es ihm wesentlich darauf angekommen, der Un-
schönheit des nihilistischen Titanenthums den Spiegel vorzuhalten, ist die
Zeichnung mit gewissenhafter Objectivität ausgeführt, streift sie nirgend auch
nur an die Grenze der Carricatur. Im Gegentheil wird der Unterschied zwischen
einer Natur von dem Korn Basarow's und den kleinen Seelen, die die revo-
lutionaire Modephase aus Gedankensosigkeit oder, um ihre sittliche Verlumpt-
heit zu bemänteln, mitmachen, durch eine Reihe ergötzlicher Nebenfiguren deut¬
lich bezeichnet und das milde versöhnende Schlußcapitel sagt uns, auch das
Geschlecht der "Söhne", die Allem, was das Leben an Schönheit und Jdea-
lismus geboten, rücksichtslose Fehde erklärten, habe als Humus sür künftige
Culturbildungen eine Mission gehabt.

Es fragt sich, ob der Leser, der nicht bei der Theilnahme sür den Roman
selbst stehen bleibt, die Empfindung theilen wird, zu der Turgenjew am Schluß
seines Buchs gelangt. Dieses Dichters Sache ist es sonst nicht, mit der Harmonie
zuschließen; im Gegentheil sind es herbe Dissonanzen, die grade aus seinen
schönsten Schöpfungen herausklingen, und wenn er selbst das Bedürfniß einer
Versöhnung mit seinem unglücklichen Helden fühlt, so hat er die Präsumtion
für sich. Aber schwer wird es un" doch fallen, mit dem Geschlecht, das
Basarow repräsentirt, Frieden zu schließen. Als Resultat einer überschraubten
Bildung kann man sich die absolute Negation gefallen lassen -- tritt sie am
Anfang einer Entwickelung auf, die noch mit den elementarsten Forderun¬
gen zu kämpfen hat, so macht sie den Eindruck aus leerem Kopf und leerem
Herzen zu kommen.




vereinigt; aus dem herben Spott, mit dem Eugen seinem plötzlich mit der
Welt versöhnten Freunde Lebewohl sagt, spricht zugleich der feine Humor
des Dichters, der ebenso die Wandlung des nur künstlich zum Nihilisten
aufgebauschten jungen Lebemanns, wie die Anstrengungslosigkeit zu belächeln
scheint, mit der leicht aufgesetzte Naturen den Kampf um liebendes Nehmen
und Geben auszufechten pflegen. Eugen Basarow kehrt in das verlassene
Aelternhaus zurück, sucht die Oede seines Herzens durch eifrige Studien zu
übertäuben und stirbt wenig später an der Leichenvergiftung, die er sich bei
einer Section zugezogen.

Wie bei fast allen Turgenjewschen Dichtungen ist auch bei den „Vätern
und Söhnen" der Hauptwerth nicht in der Komposition, sondern in der fei¬
nen, geistvollen und zugleich naturwahren Charakteristik der handelnden Per¬
sonen und der meisterhaften Schilderung der diese umgebenden äußeren und
inneren Verhältnisse zu suchen. Obgleich man es dem Dichter nachfühlt, für
welche der beiden geschilderten Richtungen er im Grunde seines Herzens
Partei genommen und daß es ihm wesentlich darauf angekommen, der Un-
schönheit des nihilistischen Titanenthums den Spiegel vorzuhalten, ist die
Zeichnung mit gewissenhafter Objectivität ausgeführt, streift sie nirgend auch
nur an die Grenze der Carricatur. Im Gegentheil wird der Unterschied zwischen
einer Natur von dem Korn Basarow's und den kleinen Seelen, die die revo-
lutionaire Modephase aus Gedankensosigkeit oder, um ihre sittliche Verlumpt-
heit zu bemänteln, mitmachen, durch eine Reihe ergötzlicher Nebenfiguren deut¬
lich bezeichnet und das milde versöhnende Schlußcapitel sagt uns, auch das
Geschlecht der „Söhne", die Allem, was das Leben an Schönheit und Jdea-
lismus geboten, rücksichtslose Fehde erklärten, habe als Humus sür künftige
Culturbildungen eine Mission gehabt.

Es fragt sich, ob der Leser, der nicht bei der Theilnahme sür den Roman
selbst stehen bleibt, die Empfindung theilen wird, zu der Turgenjew am Schluß
seines Buchs gelangt. Dieses Dichters Sache ist es sonst nicht, mit der Harmonie
zuschließen; im Gegentheil sind es herbe Dissonanzen, die grade aus seinen
schönsten Schöpfungen herausklingen, und wenn er selbst das Bedürfniß einer
Versöhnung mit seinem unglücklichen Helden fühlt, so hat er die Präsumtion
für sich. Aber schwer wird es un« doch fallen, mit dem Geschlecht, das
Basarow repräsentirt, Frieden zu schließen. Als Resultat einer überschraubten
Bildung kann man sich die absolute Negation gefallen lassen — tritt sie am
Anfang einer Entwickelung auf, die noch mit den elementarsten Forderun¬
gen zu kämpfen hat, so macht sie den Eindruck aus leerem Kopf und leerem
Herzen zu kommen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/16>, abgerufen am 02.10.2024.