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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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die übrigen Großmächte derselben nicht kräftig widersetzen würden. Aber
Wilhelm weigerte sich hartnäckig, diese Trennung anzuerkennen und blieb
noch Jahre lang gewaffnet. Hätten ihm die indischen Ueberschüsse nicht
damals die Mittel zu einer solchen Handlungsweise verschafft, die sich häufen¬
den Staatsschulden würden den eigensinnigen Fürsten beträchtlich früher
zur Einsicht gebracht haben.

So ist es immer derselbe Refrain, bei welchem man bei Besprechung un¬
seres holländischen Colonialsystems ankommt: Womit sollen wir unser Deficit
decken, wenn Indien uns nickt zu Hilfe kommt? Wesentlich aus diesem
Grunde ist eine Lösung dieses Problems bis jetzt nicht erfolgt. -- Ganz un¬
thätig sind wir darum doch nicht geblieben. Seit mehreren Jahren hat man sich
damit beschäftigt, vorläufig einigen besonders krassen Uebelständen abzuhelfen.
Die Tendenz, welche seit 1848 bei unserer Regierung mehr und mehr zur
Geltung gekommen ist und deren Einfluß sich selbst die conservativen Mi¬
nisterien nicht entziehen konnten, ist dahin gerichtet, den Javanen die schwere
Last, welche sie tragen, mindestens erträglicher zu machen. Es herrscht auch
nicht mehr so viel Willkür und Maßlosigkeit als früher, es ist eine Wendung
zum Bessern in die indischen Zustände gekommen. Wir nähern uns mehr und
mehr der Ueberzeugung, daß mit dem Princip, Indien auf orientalische Weise
zu regieren, nicht weiter zu kommen sei und daß die Gesetze gesunder europäischer
Staatsöconomie auch im Osten die richtigen sind. Aber das Grundprincip, auf
welchem das "Cultursystem" beruht, ist bis jetzt nicht angetastet wo-rden; noch
immer ist der Arbeitszwang in voller Blüthe" der Verwaltungsveamte zugleich
Richter. Und was das Schlimmste ist: wir eignen uns den sauer verdienten Lohn
der Javanen an, ohne sür ihre Entwickelung Etwas zu thun. Haben wir doch
noch vor einigen Wochen erleben müssen, daß die Kammern nur höchst ungern in
eine Zinsengarantie für eine indische Eisenbahn willigten. Der Holländer ist
bedächtig und langsam, und es scheint auch bet ihm der Zeit zu bedürfen,
ehe er mit einem System wirklich bricht, das er zwar verurtheilen muß, das
aber doch ein Mal Früchte getragen hat. Die sogenannte radicale Partei,
d. h. die Partei, welche eine gänzliche Veränderung unserer Colonialpolitik
verlangte -- hat zur Zeit so wenig Einfluß in den Kammern und bei der
Regierung, daß zunächst eine Entscheidung noch nicht zu erwarten steht.
Unter den gegenwärtigen Umständen würde kein Colonialminister mit einem
radicalen Programm vor die Kammern zu treten wagen. Die Conservativen
haben eine einflußreiche Stütze an den vielen aus Indien zurückgekehrten Be¬
amten und an den Zuckerunternehmern, die drüben ihr Glück gemacht haben
und deshalb das alte System mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln
vertheidigen. Sie besitzen eine ansehnliche Minorität in den Kammern. Die
Liberalen, die bis zum zweiten Ministerium Thoibecke (1862) unter der Lei-


die übrigen Großmächte derselben nicht kräftig widersetzen würden. Aber
Wilhelm weigerte sich hartnäckig, diese Trennung anzuerkennen und blieb
noch Jahre lang gewaffnet. Hätten ihm die indischen Ueberschüsse nicht
damals die Mittel zu einer solchen Handlungsweise verschafft, die sich häufen¬
den Staatsschulden würden den eigensinnigen Fürsten beträchtlich früher
zur Einsicht gebracht haben.

So ist es immer derselbe Refrain, bei welchem man bei Besprechung un¬
seres holländischen Colonialsystems ankommt: Womit sollen wir unser Deficit
decken, wenn Indien uns nickt zu Hilfe kommt? Wesentlich aus diesem
Grunde ist eine Lösung dieses Problems bis jetzt nicht erfolgt. — Ganz un¬
thätig sind wir darum doch nicht geblieben. Seit mehreren Jahren hat man sich
damit beschäftigt, vorläufig einigen besonders krassen Uebelständen abzuhelfen.
Die Tendenz, welche seit 1848 bei unserer Regierung mehr und mehr zur
Geltung gekommen ist und deren Einfluß sich selbst die conservativen Mi¬
nisterien nicht entziehen konnten, ist dahin gerichtet, den Javanen die schwere
Last, welche sie tragen, mindestens erträglicher zu machen. Es herrscht auch
nicht mehr so viel Willkür und Maßlosigkeit als früher, es ist eine Wendung
zum Bessern in die indischen Zustände gekommen. Wir nähern uns mehr und
mehr der Ueberzeugung, daß mit dem Princip, Indien auf orientalische Weise
zu regieren, nicht weiter zu kommen sei und daß die Gesetze gesunder europäischer
Staatsöconomie auch im Osten die richtigen sind. Aber das Grundprincip, auf
welchem das „Cultursystem" beruht, ist bis jetzt nicht angetastet wo-rden; noch
immer ist der Arbeitszwang in voller Blüthe" der Verwaltungsveamte zugleich
Richter. Und was das Schlimmste ist: wir eignen uns den sauer verdienten Lohn
der Javanen an, ohne sür ihre Entwickelung Etwas zu thun. Haben wir doch
noch vor einigen Wochen erleben müssen, daß die Kammern nur höchst ungern in
eine Zinsengarantie für eine indische Eisenbahn willigten. Der Holländer ist
bedächtig und langsam, und es scheint auch bet ihm der Zeit zu bedürfen,
ehe er mit einem System wirklich bricht, das er zwar verurtheilen muß, das
aber doch ein Mal Früchte getragen hat. Die sogenannte radicale Partei,
d. h. die Partei, welche eine gänzliche Veränderung unserer Colonialpolitik
verlangte — hat zur Zeit so wenig Einfluß in den Kammern und bei der
Regierung, daß zunächst eine Entscheidung noch nicht zu erwarten steht.
Unter den gegenwärtigen Umständen würde kein Colonialminister mit einem
radicalen Programm vor die Kammern zu treten wagen. Die Conservativen
haben eine einflußreiche Stütze an den vielen aus Indien zurückgekehrten Be¬
amten und an den Zuckerunternehmern, die drüben ihr Glück gemacht haben
und deshalb das alte System mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln
vertheidigen. Sie besitzen eine ansehnliche Minorität in den Kammern. Die
Liberalen, die bis zum zweiten Ministerium Thoibecke (1862) unter der Lei-


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[0117] die übrigen Großmächte derselben nicht kräftig widersetzen würden. Aber Wilhelm weigerte sich hartnäckig, diese Trennung anzuerkennen und blieb noch Jahre lang gewaffnet. Hätten ihm die indischen Ueberschüsse nicht damals die Mittel zu einer solchen Handlungsweise verschafft, die sich häufen¬ den Staatsschulden würden den eigensinnigen Fürsten beträchtlich früher zur Einsicht gebracht haben. So ist es immer derselbe Refrain, bei welchem man bei Besprechung un¬ seres holländischen Colonialsystems ankommt: Womit sollen wir unser Deficit decken, wenn Indien uns nickt zu Hilfe kommt? Wesentlich aus diesem Grunde ist eine Lösung dieses Problems bis jetzt nicht erfolgt. — Ganz un¬ thätig sind wir darum doch nicht geblieben. Seit mehreren Jahren hat man sich damit beschäftigt, vorläufig einigen besonders krassen Uebelständen abzuhelfen. Die Tendenz, welche seit 1848 bei unserer Regierung mehr und mehr zur Geltung gekommen ist und deren Einfluß sich selbst die conservativen Mi¬ nisterien nicht entziehen konnten, ist dahin gerichtet, den Javanen die schwere Last, welche sie tragen, mindestens erträglicher zu machen. Es herrscht auch nicht mehr so viel Willkür und Maßlosigkeit als früher, es ist eine Wendung zum Bessern in die indischen Zustände gekommen. Wir nähern uns mehr und mehr der Ueberzeugung, daß mit dem Princip, Indien auf orientalische Weise zu regieren, nicht weiter zu kommen sei und daß die Gesetze gesunder europäischer Staatsöconomie auch im Osten die richtigen sind. Aber das Grundprincip, auf welchem das „Cultursystem" beruht, ist bis jetzt nicht angetastet wo-rden; noch immer ist der Arbeitszwang in voller Blüthe" der Verwaltungsveamte zugleich Richter. Und was das Schlimmste ist: wir eignen uns den sauer verdienten Lohn der Javanen an, ohne sür ihre Entwickelung Etwas zu thun. Haben wir doch noch vor einigen Wochen erleben müssen, daß die Kammern nur höchst ungern in eine Zinsengarantie für eine indische Eisenbahn willigten. Der Holländer ist bedächtig und langsam, und es scheint auch bet ihm der Zeit zu bedürfen, ehe er mit einem System wirklich bricht, das er zwar verurtheilen muß, das aber doch ein Mal Früchte getragen hat. Die sogenannte radicale Partei, d. h. die Partei, welche eine gänzliche Veränderung unserer Colonialpolitik verlangte — hat zur Zeit so wenig Einfluß in den Kammern und bei der Regierung, daß zunächst eine Entscheidung noch nicht zu erwarten steht. Unter den gegenwärtigen Umständen würde kein Colonialminister mit einem radicalen Programm vor die Kammern zu treten wagen. Die Conservativen haben eine einflußreiche Stütze an den vielen aus Indien zurückgekehrten Be¬ amten und an den Zuckerunternehmern, die drüben ihr Glück gemacht haben und deshalb das alte System mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln vertheidigen. Sie besitzen eine ansehnliche Minorität in den Kammern. Die Liberalen, die bis zum zweiten Ministerium Thoibecke (1862) unter der Lei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/117>, abgerufen am 22.07.2024.