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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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16. Jahrhunderts war dieses vollends unmöglich; sowohl weil seine Kunde
beschränkter war. wie auch weil seine Bildung eine Entäußerung alles Per¬
sönlichen, wie sie der moderne Historiker sich aneignet/ ausschloß. Bekannt¬
lich hat Vasari sein Werk auf einen zufälligen Anlaß hin begonnen. Eifriger
Sammeltrieb, vielfältige Reisen, zahlreiche persönliche Verbindungen hatten
ihn für seine Aufgabe gut vorbereitet. Doch genügte diese Vorbereitung nur
nach einer Seite. Während der Arbeit wird er sich auch seiner Pflichten als
Schriftsteller bewußt, und vergißt nicht die Forderungen, die an diesen ge¬
stellt werden, zu erfüllen. Man erkennt leicht, daß er sich gewisse Compo-
sitionsregeln gebildet, daß er einen bestimmten Pragmalicismus anstrebt.
Wie er die Künstler aufeinander folgen läßt, wie er sie gruppirt, bald trennt,
bald auch unter einem Haupt zusammenstellt, ist ein Product literarischer Be¬
sonnenheit; er folgt darin den Anschauungen seiner Zeit, wie in der Vor¬
liebe für moralisirende Wendungen -- gar mancher Künstler dient ihm zum
allegorischen Bilde einer allgemeinen Vorstellung -- und theoretische Spitzen.

Die literarische Leistung Vasari's erhöht den Reiz seines Werks, viele
Theile desselben lesen sich leicht und angenehm wie ein Volksbuch, sie zieht
aber einen Schleier über Vasari als kunsthistorische Quelle. Ueber viele Dinge
denkt und schreibt er, nicht wie sie sind, sondern wie sie sich einem gebildeten
Manne des 16. Jahrhunderts darstellen. Bis zu einem gewissen Grade ist
allerdings jeder Historiker dem Einflüsse seiner Zeit unterworfen, keinem aber
in so hohem Grade wie ein Italiener am Ausgange der Renaissaneeperiode.
Er kennt und versteht schlecht das Mittelalter, das ihm stets nur als eine
Lücke in der nationalen Entwickelung erscheint. Er weiß sich nicht klar mit
den" Humanismus auseinanderzusetzen, mit dem er sich wohl verwandt fühlt,
dessen reiner Formencultus sich aber mit der inzwischen gesteigerten Ktrchlich-
keit wenig verträgt, er hält endlich seine eigene Zeit für aufsteigend im
Können und Schaffen, während sie den Verfall bereits einleitet. Nach diesen
Richtungen hin bedarf der alte Vasari einer Revision. Auch der Urkunden¬
schatz, über welchen wir gebieten, muß zur Controle sowohl, wie zur Be¬
richtigung des Aretiners herangezogen werden. Eine kritische Sichtung der
überlieferten Nachrichten lag Vasari natürlich fern, auch waren seine Quellen
vielfach secundärer Art. Ueber die Zeit Giotto's und vollends die noch ältere
Periode waren auch Ghiberti und Albertini auf die Tradition angewiesen.
In dieser Beziehung ist der Vortheil ganz und gar auf Seiten des modernen
Forschers, welchem Geburtsscheine, Vermögensangaben, Bestellbriefe, Kaus-
contracte u. s. w., Urkunden aller Art zu Gebote stehen. Bekennen wir nun
gleich, daß Crowe und Cavalcaselle sich dieses Vortheiles in ausgedehnter
Weise bemächtigt haben, daß sie ferner die oben angedeutete Revision Vasari's,
wenn nicht zu Ende gebracht, doch wie kein anderes zeitgenössisches Werk
weiter geführt haben.


16. Jahrhunderts war dieses vollends unmöglich; sowohl weil seine Kunde
beschränkter war. wie auch weil seine Bildung eine Entäußerung alles Per¬
sönlichen, wie sie der moderne Historiker sich aneignet/ ausschloß. Bekannt¬
lich hat Vasari sein Werk auf einen zufälligen Anlaß hin begonnen. Eifriger
Sammeltrieb, vielfältige Reisen, zahlreiche persönliche Verbindungen hatten
ihn für seine Aufgabe gut vorbereitet. Doch genügte diese Vorbereitung nur
nach einer Seite. Während der Arbeit wird er sich auch seiner Pflichten als
Schriftsteller bewußt, und vergißt nicht die Forderungen, die an diesen ge¬
stellt werden, zu erfüllen. Man erkennt leicht, daß er sich gewisse Compo-
sitionsregeln gebildet, daß er einen bestimmten Pragmalicismus anstrebt.
Wie er die Künstler aufeinander folgen läßt, wie er sie gruppirt, bald trennt,
bald auch unter einem Haupt zusammenstellt, ist ein Product literarischer Be¬
sonnenheit; er folgt darin den Anschauungen seiner Zeit, wie in der Vor¬
liebe für moralisirende Wendungen — gar mancher Künstler dient ihm zum
allegorischen Bilde einer allgemeinen Vorstellung — und theoretische Spitzen.

Die literarische Leistung Vasari's erhöht den Reiz seines Werks, viele
Theile desselben lesen sich leicht und angenehm wie ein Volksbuch, sie zieht
aber einen Schleier über Vasari als kunsthistorische Quelle. Ueber viele Dinge
denkt und schreibt er, nicht wie sie sind, sondern wie sie sich einem gebildeten
Manne des 16. Jahrhunderts darstellen. Bis zu einem gewissen Grade ist
allerdings jeder Historiker dem Einflüsse seiner Zeit unterworfen, keinem aber
in so hohem Grade wie ein Italiener am Ausgange der Renaissaneeperiode.
Er kennt und versteht schlecht das Mittelalter, das ihm stets nur als eine
Lücke in der nationalen Entwickelung erscheint. Er weiß sich nicht klar mit
den» Humanismus auseinanderzusetzen, mit dem er sich wohl verwandt fühlt,
dessen reiner Formencultus sich aber mit der inzwischen gesteigerten Ktrchlich-
keit wenig verträgt, er hält endlich seine eigene Zeit für aufsteigend im
Können und Schaffen, während sie den Verfall bereits einleitet. Nach diesen
Richtungen hin bedarf der alte Vasari einer Revision. Auch der Urkunden¬
schatz, über welchen wir gebieten, muß zur Controle sowohl, wie zur Be¬
richtigung des Aretiners herangezogen werden. Eine kritische Sichtung der
überlieferten Nachrichten lag Vasari natürlich fern, auch waren seine Quellen
vielfach secundärer Art. Ueber die Zeit Giotto's und vollends die noch ältere
Periode waren auch Ghiberti und Albertini auf die Tradition angewiesen.
In dieser Beziehung ist der Vortheil ganz und gar auf Seiten des modernen
Forschers, welchem Geburtsscheine, Vermögensangaben, Bestellbriefe, Kaus-
contracte u. s. w., Urkunden aller Art zu Gebote stehen. Bekennen wir nun
gleich, daß Crowe und Cavalcaselle sich dieses Vortheiles in ausgedehnter
Weise bemächtigt haben, daß sie ferner die oben angedeutete Revision Vasari's,
wenn nicht zu Ende gebracht, doch wie kein anderes zeitgenössisches Werk
weiter geführt haben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/90>, abgerufen am 24.07.2024.