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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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der ungarischen Progressisten wiederspiegeln, um zu wissen, was es allein mit
der "specifisch-ungarischen" auswärtigen Politik auf sich hat. welche diese
Männer fordern. Die Landkarten der Zukunft, welche hier entworfen wer¬
den, geben den bekannten Traumbildern polnischer Geographen an Kühnheit
und Abenteuerlichkeit wenig nach und haben überdies den Vorzug, allmonat¬
lich zu wechseln. Heute werden die grün-weiß-rothen Grenzpfähle über die
Karpathen und bis an die russische Grenze getragen , morgen sollen sie bis
in das Herz Rumäniens, ein anderes Mal nach Süden hin bis an die Ab¬
fälle des Balkan reichen; Zuziehung Galiziens zu den Ländern der Stefans-
krone, Bildung eines südslavtschen Bundes unter ungarischer Führung sind
hier Fragen, die allen Ernstes und mit Aufwand von Patriotismus und
Scharfsinn discutirt und gerade so behandelt werden, als hänge ihre Lösung
lediglich davon ab, was die Majorität des Pester Landtags zu ihnen sage. --
Nicht minder waghalsig und dvctrinair sind die Anschauungen dieser Poli¬
tiker über die wichtigsten inneren Fragen; dieselben Leute, welche mit specifisch
ungarischen Mitteln die östreichische und die orientalische Welt aus den
Angeln heben zu können vermeinen, sind zugleich höchst bedenklich, wenn es
sich um Zugeständnisse der alt-magyarischen Freiheit und des traditionellen
Raeenhochmuths an den Staatsgedanken und an die Zufriedenheit ihrer
rumänischen und slavischen Mitbürger handelt. Man erinnere sich daran, daß
die Linke allen Ernstes das jeder geordneten Verwaltung ins Gesicht schlagende
Selbstbestimmungsrecht der Comitate wiederherstellen wollte, und daß gerade sie
sich in der Sprachenfrage stets am schwierigsten und anmaßendsten gezeigt hat.

Vergegenwärtigt man sich auf der anderen Seite, daß selbst diejenige
cisleithanische Partei, welche die Mitträgerin des Ausgleichs war. nur noth¬
dürftig mit dem Ministerium Andrassy zurechtkam, daß einer der genauesten
Kenner östreichischer Zustände in diesen Blättern schon vor Jahresfrist be¬
haupten konnte, ein Wanken des auf die De'akpartei gestützten Ausgleichs
werde im übrigen Oestreich mit einer gewissen Schadenfreude betrachtet, so
wird man für eine Politik, die nichtsdestoweniger schon nach zwei Jahren
auf Erschwerung des mühsam geschaffenen Verhältnisses hinarbeitet, um den
Namen verlegen sein. Man halte uns nicht entgegen, daß das Vorwärts¬
stürmen der noch über Diät hinausgehenden Partei in der Natur der Sache
begründet, das Resultat des bisherigen Entwickelungsganges der ungari¬
schen Dinge, eine Consequenz des 1867 begründeten Systems sei. Ist dem
wirklich so. so ist damit nur bewiesen, daß das Vertrauen, welches in das
strenge Rechtsgefühl und die staatsmännische Nüchternheit und Mäßigung
der Magyaren gesetzt wurde, unbegründet war. daß es sich hier im Grunde
um dieselbe sprudelköpfige Ueberstürzung und Ueberschätzung der eigenen Kräfte
handelt, durch welche die polnischen, serbischen, rumänischen u. s. w. Politiker


der ungarischen Progressisten wiederspiegeln, um zu wissen, was es allein mit
der „specifisch-ungarischen" auswärtigen Politik auf sich hat. welche diese
Männer fordern. Die Landkarten der Zukunft, welche hier entworfen wer¬
den, geben den bekannten Traumbildern polnischer Geographen an Kühnheit
und Abenteuerlichkeit wenig nach und haben überdies den Vorzug, allmonat¬
lich zu wechseln. Heute werden die grün-weiß-rothen Grenzpfähle über die
Karpathen und bis an die russische Grenze getragen , morgen sollen sie bis
in das Herz Rumäniens, ein anderes Mal nach Süden hin bis an die Ab¬
fälle des Balkan reichen; Zuziehung Galiziens zu den Ländern der Stefans-
krone, Bildung eines südslavtschen Bundes unter ungarischer Führung sind
hier Fragen, die allen Ernstes und mit Aufwand von Patriotismus und
Scharfsinn discutirt und gerade so behandelt werden, als hänge ihre Lösung
lediglich davon ab, was die Majorität des Pester Landtags zu ihnen sage. —
Nicht minder waghalsig und dvctrinair sind die Anschauungen dieser Poli¬
tiker über die wichtigsten inneren Fragen; dieselben Leute, welche mit specifisch
ungarischen Mitteln die östreichische und die orientalische Welt aus den
Angeln heben zu können vermeinen, sind zugleich höchst bedenklich, wenn es
sich um Zugeständnisse der alt-magyarischen Freiheit und des traditionellen
Raeenhochmuths an den Staatsgedanken und an die Zufriedenheit ihrer
rumänischen und slavischen Mitbürger handelt. Man erinnere sich daran, daß
die Linke allen Ernstes das jeder geordneten Verwaltung ins Gesicht schlagende
Selbstbestimmungsrecht der Comitate wiederherstellen wollte, und daß gerade sie
sich in der Sprachenfrage stets am schwierigsten und anmaßendsten gezeigt hat.

Vergegenwärtigt man sich auf der anderen Seite, daß selbst diejenige
cisleithanische Partei, welche die Mitträgerin des Ausgleichs war. nur noth¬
dürftig mit dem Ministerium Andrassy zurechtkam, daß einer der genauesten
Kenner östreichischer Zustände in diesen Blättern schon vor Jahresfrist be¬
haupten konnte, ein Wanken des auf die De'akpartei gestützten Ausgleichs
werde im übrigen Oestreich mit einer gewissen Schadenfreude betrachtet, so
wird man für eine Politik, die nichtsdestoweniger schon nach zwei Jahren
auf Erschwerung des mühsam geschaffenen Verhältnisses hinarbeitet, um den
Namen verlegen sein. Man halte uns nicht entgegen, daß das Vorwärts¬
stürmen der noch über Diät hinausgehenden Partei in der Natur der Sache
begründet, das Resultat des bisherigen Entwickelungsganges der ungari¬
schen Dinge, eine Consequenz des 1867 begründeten Systems sei. Ist dem
wirklich so. so ist damit nur bewiesen, daß das Vertrauen, welches in das
strenge Rechtsgefühl und die staatsmännische Nüchternheit und Mäßigung
der Magyaren gesetzt wurde, unbegründet war. daß es sich hier im Grunde
um dieselbe sprudelköpfige Ueberstürzung und Ueberschätzung der eigenen Kräfte
handelt, durch welche die polnischen, serbischen, rumänischen u. s. w. Politiker


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[0068] der ungarischen Progressisten wiederspiegeln, um zu wissen, was es allein mit der „specifisch-ungarischen" auswärtigen Politik auf sich hat. welche diese Männer fordern. Die Landkarten der Zukunft, welche hier entworfen wer¬ den, geben den bekannten Traumbildern polnischer Geographen an Kühnheit und Abenteuerlichkeit wenig nach und haben überdies den Vorzug, allmonat¬ lich zu wechseln. Heute werden die grün-weiß-rothen Grenzpfähle über die Karpathen und bis an die russische Grenze getragen , morgen sollen sie bis in das Herz Rumäniens, ein anderes Mal nach Süden hin bis an die Ab¬ fälle des Balkan reichen; Zuziehung Galiziens zu den Ländern der Stefans- krone, Bildung eines südslavtschen Bundes unter ungarischer Führung sind hier Fragen, die allen Ernstes und mit Aufwand von Patriotismus und Scharfsinn discutirt und gerade so behandelt werden, als hänge ihre Lösung lediglich davon ab, was die Majorität des Pester Landtags zu ihnen sage. — Nicht minder waghalsig und dvctrinair sind die Anschauungen dieser Poli¬ tiker über die wichtigsten inneren Fragen; dieselben Leute, welche mit specifisch ungarischen Mitteln die östreichische und die orientalische Welt aus den Angeln heben zu können vermeinen, sind zugleich höchst bedenklich, wenn es sich um Zugeständnisse der alt-magyarischen Freiheit und des traditionellen Raeenhochmuths an den Staatsgedanken und an die Zufriedenheit ihrer rumänischen und slavischen Mitbürger handelt. Man erinnere sich daran, daß die Linke allen Ernstes das jeder geordneten Verwaltung ins Gesicht schlagende Selbstbestimmungsrecht der Comitate wiederherstellen wollte, und daß gerade sie sich in der Sprachenfrage stets am schwierigsten und anmaßendsten gezeigt hat. Vergegenwärtigt man sich auf der anderen Seite, daß selbst diejenige cisleithanische Partei, welche die Mitträgerin des Ausgleichs war. nur noth¬ dürftig mit dem Ministerium Andrassy zurechtkam, daß einer der genauesten Kenner östreichischer Zustände in diesen Blättern schon vor Jahresfrist be¬ haupten konnte, ein Wanken des auf die De'akpartei gestützten Ausgleichs werde im übrigen Oestreich mit einer gewissen Schadenfreude betrachtet, so wird man für eine Politik, die nichtsdestoweniger schon nach zwei Jahren auf Erschwerung des mühsam geschaffenen Verhältnisses hinarbeitet, um den Namen verlegen sein. Man halte uns nicht entgegen, daß das Vorwärts¬ stürmen der noch über Diät hinausgehenden Partei in der Natur der Sache begründet, das Resultat des bisherigen Entwickelungsganges der ungari¬ schen Dinge, eine Consequenz des 1867 begründeten Systems sei. Ist dem wirklich so. so ist damit nur bewiesen, daß das Vertrauen, welches in das strenge Rechtsgefühl und die staatsmännische Nüchternheit und Mäßigung der Magyaren gesetzt wurde, unbegründet war. daß es sich hier im Grunde um dieselbe sprudelköpfige Ueberstürzung und Ueberschätzung der eigenen Kräfte handelt, durch welche die polnischen, serbischen, rumänischen u. s. w. Politiker

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/68>, abgerufen am 27.06.2024.