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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Das Alles gilt aber nur unter der Voraussetzung, daß das dualistische
System trotz der erhöhten magyarischen Ansprüche erhalten bleibt, welche die
unausbleibliche Folge der jüngsten Wahlschlächt sein werden. Gegen diese
Voraussetzung sprechen aber Gründe so entscheidender Art, daß schlechter¬
dings nicht abzusehen ist, was sich diejenigen ungarischen Wähler eigentlich
gedacht haben, die das Ministerium Andrassy schon gegenwärtig als einen
überwundenen oder zu überwindenden Standpunkt ansehen. In Ungarn
muß man gemaust als sonst irgendwo wissen, daß das De'aksche Programm
die äußerste Grenze der Zugeständnisse war, bis zu denen die Hofburg gehen
konnte, wenn sie die moralische Wiedereroberung der östlichen Reichshälfte
nicht mit dem Verlust der" westlichen bezahlen wollte. Von den Slaven gar
nicht zu reden -- selbst die Deutsch-Oestreicher sind dem Grafen Beust bis
heute noch nicht auf den Standpunkt gefolgt, den er im Sommer 1867 er¬
stieg, und wenn nach den bisherigen Erfahrungen geschlossen werden darf,
so werden sie es kaum jemals bis zu dieser Höhe' bringen. Jeder der wäh¬
rend der Jahre 1867 und 1868 zusammengetretenen Delegationsversämm-
lungen ist von den eisleithanischen Vertretern des' herrschenden Systems mit
Angst und Bangen entgegengesehen worden, und wenn diese Berathungen
geschlossen waren, so trennten die Betheiligten sich mit der Empfindung, die¬
ses Mal noch mit heiler Haut davongekommen zu sein. Die Forderungen
der Pester Linken hatten in Wien schon die äußerste Erbitterung hervor¬
gerufen, als sie bloße Parteimanöver waren, an deren Durchführbarkeit die
Urheber selbst nicht glaubten. Was wird jetzt geschehen, wo dieselben Fleisch
und Bein gewonnen haben? Selbst wenn die ministerielle Partei wahrend
der bevorstehenden Legislaturperiode' die Oberhand behält, wird und muß
ihre Stellung zu der Wiener Regierung eine von der! bisherigen erheblich ver¬
schiedene sein. Sie fühlt den Boden, als dessen Herrin sie sich bisher be¬
trachtete, unter den Füßen schwinden und hat die Empfindung, weiter nach
links gehen zu müssen., um überhaupt Möglich zu bleiben, sie muß natur¬
gemäß auf die Stimmung der Gegner im eigenen Lande sehr viel größeres
Gewicht legen, als auf die Antipathien jenseit der Leitha. Wenn die hei¬
mischen Gegner im nächsten Herbst mit ihren Wünschen für Herstellung einer
rein nationalen Armee und einer ausschließlich ungarischen auswärtigen Po¬
litik hervortreten, so lären von einer Abweisung yuimä in^me, von einer Be¬
rufung auf die Grundsätze, welche bei dem Ausgleich maßgebettd gewesen,
nicht mehr die Rede sein. Diese Dinge lassen sich nicht mehr als Partei¬
manöver bekämpfen, sie sind zu Consequenzen des ungarischen Parlamenta¬
rismus geworden, "mit denen gerechnet werde'" muß" und "die einmal nicht
aus der Welt zu schaffen sind"'. Man braucht sich nur oberflächlich mit den
publicistischen Orgä'n'en bekannt gemacht zü haben, welche die Weltanschauung'


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Das Alles gilt aber nur unter der Voraussetzung, daß das dualistische
System trotz der erhöhten magyarischen Ansprüche erhalten bleibt, welche die
unausbleibliche Folge der jüngsten Wahlschlächt sein werden. Gegen diese
Voraussetzung sprechen aber Gründe so entscheidender Art, daß schlechter¬
dings nicht abzusehen ist, was sich diejenigen ungarischen Wähler eigentlich
gedacht haben, die das Ministerium Andrassy schon gegenwärtig als einen
überwundenen oder zu überwindenden Standpunkt ansehen. In Ungarn
muß man gemaust als sonst irgendwo wissen, daß das De'aksche Programm
die äußerste Grenze der Zugeständnisse war, bis zu denen die Hofburg gehen
konnte, wenn sie die moralische Wiedereroberung der östlichen Reichshälfte
nicht mit dem Verlust der" westlichen bezahlen wollte. Von den Slaven gar
nicht zu reden — selbst die Deutsch-Oestreicher sind dem Grafen Beust bis
heute noch nicht auf den Standpunkt gefolgt, den er im Sommer 1867 er¬
stieg, und wenn nach den bisherigen Erfahrungen geschlossen werden darf,
so werden sie es kaum jemals bis zu dieser Höhe' bringen. Jeder der wäh¬
rend der Jahre 1867 und 1868 zusammengetretenen Delegationsversämm-
lungen ist von den eisleithanischen Vertretern des' herrschenden Systems mit
Angst und Bangen entgegengesehen worden, und wenn diese Berathungen
geschlossen waren, so trennten die Betheiligten sich mit der Empfindung, die¬
ses Mal noch mit heiler Haut davongekommen zu sein. Die Forderungen
der Pester Linken hatten in Wien schon die äußerste Erbitterung hervor¬
gerufen, als sie bloße Parteimanöver waren, an deren Durchführbarkeit die
Urheber selbst nicht glaubten. Was wird jetzt geschehen, wo dieselben Fleisch
und Bein gewonnen haben? Selbst wenn die ministerielle Partei wahrend
der bevorstehenden Legislaturperiode' die Oberhand behält, wird und muß
ihre Stellung zu der Wiener Regierung eine von der! bisherigen erheblich ver¬
schiedene sein. Sie fühlt den Boden, als dessen Herrin sie sich bisher be¬
trachtete, unter den Füßen schwinden und hat die Empfindung, weiter nach
links gehen zu müssen., um überhaupt Möglich zu bleiben, sie muß natur¬
gemäß auf die Stimmung der Gegner im eigenen Lande sehr viel größeres
Gewicht legen, als auf die Antipathien jenseit der Leitha. Wenn die hei¬
mischen Gegner im nächsten Herbst mit ihren Wünschen für Herstellung einer
rein nationalen Armee und einer ausschließlich ungarischen auswärtigen Po¬
litik hervortreten, so lären von einer Abweisung yuimä in^me, von einer Be¬
rufung auf die Grundsätze, welche bei dem Ausgleich maßgebettd gewesen,
nicht mehr die Rede sein. Diese Dinge lassen sich nicht mehr als Partei¬
manöver bekämpfen, sie sind zu Consequenzen des ungarischen Parlamenta¬
rismus geworden, „mit denen gerechnet werde'« muß" und „die einmal nicht
aus der Welt zu schaffen sind"'. Man braucht sich nur oberflächlich mit den
publicistischen Orgä'n'en bekannt gemacht zü haben, welche die Weltanschauung'


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/67>, abgerufen am 22.06.2024.