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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Unter den zahlreichen Vertretern der persönlichen Sirventeses gibt es
vorzüglich zwei Sänger, welche durch dichterische Begabung und Originalität,
in Leben und Meinungen die Mitstrebenden so bedeutsam übertreffen, daß
der Blick beim Ueberschauen des ganzen Gebietes unwillkürlich an ihnen
haften bleibt. Es sind dies der berühmte Marcabrun und der von den Zeit¬
genossen ebenso gefürchtete wie geehrte Mönch von Montaudon. Schon die
Laufbahn des letzteren vom rauhen Ordenskleide bis zum heiteren Gewände
und zur ungezügelten Lebenslust eines freien Dichters gewährt ihm Anspruch
auf den Namen eines Originals. Den Namen des Mönches haben uns die
alten Handschriften nicht überliefert, doch erfahren wir, daß er aus einer
vornehmen Familie stammte, welche ihren Sitz auf dem Schlosse Vic in
Auvergne hatte. Er wurde, wie sich die Lebensnachricht naiv genug aus¬
drückt, "zum Mönch gemacht", trat in die seinem Stammschloß benachbarte
Abtei Orlae ein und bald sandte ihn sein Abt als Prior nach Montaudon.
Bald zeigte es sich, daß er eben nur ein "gemachter Mönch" war, denn er
fing an im Kloster Strophen zu dichten und Sirventese über die Tages¬
ereignisse der benachbarten Gegenden. Die Cavaliere aber und die Grafen
der umliegenden Schlösser fanden Gefallen an seinem kecken Wesen, zogen
ihn zu ihren Festen und Gelagen und beschenkten ihn reichlich. All seinen
Gewinn wandte er der ihm untergebenen Priorei zu, und der Aufschwung,
den diese nahm, mochte ihm die Verzeihung seiner Obern für die mannich-
fachen Übertretungen der Ordensregeln sichern. Endlich wandte sich der
Mönch mit der inhaltvollen Bitte an den Abt von Orkan, es möge ihm er¬
laubt sein, sich in seinem Thun und Lassen nach den Befehlen des Königs
Alfons von Aragon zu richten. Der fromme Vater Abt gewährte die Bitte
dem um das zeitliche Gedeihen der Mitbrüder so wohl verdienten Prior,
und König Alfons. ein eifriger Förderer der freien Muse, hatte nichts
Eiligeres zuthun, als dem Mönch zu befehlen, daß er Fleisch essen, heiteren
Gesang Pflegen und sich um die Gunst einer Dame bewerben solle. "Und
so that er", setzt die Handschrift hinzu.

Um diese Zeit befanden in Puy Sainte Marie Zusammenkünfte der vor¬
nehmsten Edlen und Grafen, der berühmtesten Sänger und der schönsten
Frauen statt, welche den ritterlichen Uebungen auf dem Turnierplatze und dem
edleren Wettstreit geschickter Trobadors geweiht waren. Zum Vorsteher dieser
Feste, zum "Herrn des Hofes von Puy" wurde jetzt der Mönch von Mon¬
taudon ernannt und mußte in dieser ehrenvollen Eigenschaft den berühmten
Sperber halten. Mit dem Sperber aber hatte es folgende Bewandtniß. Bei
einem jeden der in bestimmter Zeitfolge wiederkehrenden Feste trat der Herr
des Hofes von Puy in die Mitte der Versammelten, nahm einen Sperber
auf die Faust und wartete, bis ihm einer der reichen freigebigen Barone


Unter den zahlreichen Vertretern der persönlichen Sirventeses gibt es
vorzüglich zwei Sänger, welche durch dichterische Begabung und Originalität,
in Leben und Meinungen die Mitstrebenden so bedeutsam übertreffen, daß
der Blick beim Ueberschauen des ganzen Gebietes unwillkürlich an ihnen
haften bleibt. Es sind dies der berühmte Marcabrun und der von den Zeit¬
genossen ebenso gefürchtete wie geehrte Mönch von Montaudon. Schon die
Laufbahn des letzteren vom rauhen Ordenskleide bis zum heiteren Gewände
und zur ungezügelten Lebenslust eines freien Dichters gewährt ihm Anspruch
auf den Namen eines Originals. Den Namen des Mönches haben uns die
alten Handschriften nicht überliefert, doch erfahren wir, daß er aus einer
vornehmen Familie stammte, welche ihren Sitz auf dem Schlosse Vic in
Auvergne hatte. Er wurde, wie sich die Lebensnachricht naiv genug aus¬
drückt, „zum Mönch gemacht", trat in die seinem Stammschloß benachbarte
Abtei Orlae ein und bald sandte ihn sein Abt als Prior nach Montaudon.
Bald zeigte es sich, daß er eben nur ein „gemachter Mönch" war, denn er
fing an im Kloster Strophen zu dichten und Sirventese über die Tages¬
ereignisse der benachbarten Gegenden. Die Cavaliere aber und die Grafen
der umliegenden Schlösser fanden Gefallen an seinem kecken Wesen, zogen
ihn zu ihren Festen und Gelagen und beschenkten ihn reichlich. All seinen
Gewinn wandte er der ihm untergebenen Priorei zu, und der Aufschwung,
den diese nahm, mochte ihm die Verzeihung seiner Obern für die mannich-
fachen Übertretungen der Ordensregeln sichern. Endlich wandte sich der
Mönch mit der inhaltvollen Bitte an den Abt von Orkan, es möge ihm er¬
laubt sein, sich in seinem Thun und Lassen nach den Befehlen des Königs
Alfons von Aragon zu richten. Der fromme Vater Abt gewährte die Bitte
dem um das zeitliche Gedeihen der Mitbrüder so wohl verdienten Prior,
und König Alfons. ein eifriger Förderer der freien Muse, hatte nichts
Eiligeres zuthun, als dem Mönch zu befehlen, daß er Fleisch essen, heiteren
Gesang Pflegen und sich um die Gunst einer Dame bewerben solle. „Und
so that er", setzt die Handschrift hinzu.

Um diese Zeit befanden in Puy Sainte Marie Zusammenkünfte der vor¬
nehmsten Edlen und Grafen, der berühmtesten Sänger und der schönsten
Frauen statt, welche den ritterlichen Uebungen auf dem Turnierplatze und dem
edleren Wettstreit geschickter Trobadors geweiht waren. Zum Vorsteher dieser
Feste, zum „Herrn des Hofes von Puy" wurde jetzt der Mönch von Mon¬
taudon ernannt und mußte in dieser ehrenvollen Eigenschaft den berühmten
Sperber halten. Mit dem Sperber aber hatte es folgende Bewandtniß. Bei
einem jeden der in bestimmter Zeitfolge wiederkehrenden Feste trat der Herr
des Hofes von Puy in die Mitte der Versammelten, nahm einen Sperber
auf die Faust und wartete, bis ihm einer der reichen freigebigen Barone


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/52>, abgerufen am 24.07.2024.