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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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die Commissionen derartig vor den Kopf zu stoßen, daß die schwachen An¬
fänge kreisständischer Selbstverwaltung völlig desorganifirt werden mußten.
Die Landräthe, die ohnehin noch an dem Räthsel ihres Daseins zu grübeln
haben, werden durch endloses Rescribiren und Berichten thunlichst beschäftigt.
Die im Lande aufgezogenen vormaligen Amtmänner sollen sich in dieser
Thätigkeit sehr wohl fühlen. Von einem der aus den alten Provinzen hierher
versetzten Landräthe wird erzählt, er habe sich bereit erklärt, zu Fuße wieder
nach seiner schlesischen Heimath zurückzuwandern, wenn man ihm sein altlän-
disches Amt zurückgeben wollte.

Trotz alledem wächst die Provinz unverkennbar schnell mit dem Staate
zusammen. Die Logik der Thatsachen, die Natur der Dinge ist denn
doch stärker als alle Mißgriffe des Regiments und alle Elemente der
Unzufriedenheit, die aus jenen ihre kümmerliche Nahrung ziehen. Ver¬
sorgten wir nicht selbst unsere Gegner mit Stoff zum Kritteln und nergeln,
es bliebe ihnen ja absolut nichts Positives übrig, das sie der preußischen Herr¬
schaft, außer ihren eigenen Fehlern, entgegenzusetzen wüßten. Denn Bevölke¬
rung in Stadt und Land vergißt es zusehends immer vollständiger, die
Blicke nach rückwärts zu kehren in die grauen Nebel unklarster politischer
Strebungen, und ein rüstiges Vorwärtsstreben auf dem Boden der gegebenen
Politischen Gestaltungen ist allerwärts zu beobachten. Die materiellen In¬
teressen, durch die Verbindung mit dem Zollverein an das große Vaterland
fest geknüpft, arbeiten schließlich am stärksten für die Verschmelzung. Im
August soll in Altona eine Landes-Industrieausstellung mit internationaler
Erweiterung eröffnet werden. Wem, glauben Sie wohl, hat man das Pro-
tectorat mit Erfolg angetragen? Keinem geringeren Mann, als dem Grafen
Bismarck! Und wenn auch diese Demonstration wesentlich einer Persönlich¬
keit zu danken ist, die hervorragend durch kaufmännische Intelligenz und
Tüchtigkeit seit lange zu den treusten Vorkämpfern der preußischen Herrschaft
in den Herzogthümern gehört, dem Vertreter der ersten deutschen Firma in
Ostasien W. v. Pustau in Altona, so ist es doch bemerkenswerth genug,
daß Schleswig-Holstein i. I. 1869 sich bereits Solches vom Grafen Bismarck
gefallen läßt!

Am langsamsten geht selbstverständlich der nationale Assimilirungsproeeß
auf dem Gebiet der intellectuellen Cultur vor sich, die doch schließlich sowohl
dem politischen, wie dem wirthschaftlichen Fortschritt die allein sichere Basis
abgibt. Die allgemeine Bildung steht hier zu Lande entschieden sehr erheblich
unter dem Niveau der bürgerlichen Intelligenz in Mitteldeutschland, und die
selbstgenugsame dünkelhafte Art, mit der man auch hierin sich gern als
Normalmensch betrachtet, ist nicht das geringfügigste Symptom dieser intel¬
lectuellen Schwäche. Ein weiteres möchte ich beiläufig in dem Charakter


die Commissionen derartig vor den Kopf zu stoßen, daß die schwachen An¬
fänge kreisständischer Selbstverwaltung völlig desorganifirt werden mußten.
Die Landräthe, die ohnehin noch an dem Räthsel ihres Daseins zu grübeln
haben, werden durch endloses Rescribiren und Berichten thunlichst beschäftigt.
Die im Lande aufgezogenen vormaligen Amtmänner sollen sich in dieser
Thätigkeit sehr wohl fühlen. Von einem der aus den alten Provinzen hierher
versetzten Landräthe wird erzählt, er habe sich bereit erklärt, zu Fuße wieder
nach seiner schlesischen Heimath zurückzuwandern, wenn man ihm sein altlän-
disches Amt zurückgeben wollte.

Trotz alledem wächst die Provinz unverkennbar schnell mit dem Staate
zusammen. Die Logik der Thatsachen, die Natur der Dinge ist denn
doch stärker als alle Mißgriffe des Regiments und alle Elemente der
Unzufriedenheit, die aus jenen ihre kümmerliche Nahrung ziehen. Ver¬
sorgten wir nicht selbst unsere Gegner mit Stoff zum Kritteln und nergeln,
es bliebe ihnen ja absolut nichts Positives übrig, das sie der preußischen Herr¬
schaft, außer ihren eigenen Fehlern, entgegenzusetzen wüßten. Denn Bevölke¬
rung in Stadt und Land vergißt es zusehends immer vollständiger, die
Blicke nach rückwärts zu kehren in die grauen Nebel unklarster politischer
Strebungen, und ein rüstiges Vorwärtsstreben auf dem Boden der gegebenen
Politischen Gestaltungen ist allerwärts zu beobachten. Die materiellen In¬
teressen, durch die Verbindung mit dem Zollverein an das große Vaterland
fest geknüpft, arbeiten schließlich am stärksten für die Verschmelzung. Im
August soll in Altona eine Landes-Industrieausstellung mit internationaler
Erweiterung eröffnet werden. Wem, glauben Sie wohl, hat man das Pro-
tectorat mit Erfolg angetragen? Keinem geringeren Mann, als dem Grafen
Bismarck! Und wenn auch diese Demonstration wesentlich einer Persönlich¬
keit zu danken ist, die hervorragend durch kaufmännische Intelligenz und
Tüchtigkeit seit lange zu den treusten Vorkämpfern der preußischen Herrschaft
in den Herzogthümern gehört, dem Vertreter der ersten deutschen Firma in
Ostasien W. v. Pustau in Altona, so ist es doch bemerkenswerth genug,
daß Schleswig-Holstein i. I. 1869 sich bereits Solches vom Grafen Bismarck
gefallen läßt!

Am langsamsten geht selbstverständlich der nationale Assimilirungsproeeß
auf dem Gebiet der intellectuellen Cultur vor sich, die doch schließlich sowohl
dem politischen, wie dem wirthschaftlichen Fortschritt die allein sichere Basis
abgibt. Die allgemeine Bildung steht hier zu Lande entschieden sehr erheblich
unter dem Niveau der bürgerlichen Intelligenz in Mitteldeutschland, und die
selbstgenugsame dünkelhafte Art, mit der man auch hierin sich gern als
Normalmensch betrachtet, ist nicht das geringfügigste Symptom dieser intel¬
lectuellen Schwäche. Ein weiteres möchte ich beiläufig in dem Charakter


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[0503] die Commissionen derartig vor den Kopf zu stoßen, daß die schwachen An¬ fänge kreisständischer Selbstverwaltung völlig desorganifirt werden mußten. Die Landräthe, die ohnehin noch an dem Räthsel ihres Daseins zu grübeln haben, werden durch endloses Rescribiren und Berichten thunlichst beschäftigt. Die im Lande aufgezogenen vormaligen Amtmänner sollen sich in dieser Thätigkeit sehr wohl fühlen. Von einem der aus den alten Provinzen hierher versetzten Landräthe wird erzählt, er habe sich bereit erklärt, zu Fuße wieder nach seiner schlesischen Heimath zurückzuwandern, wenn man ihm sein altlän- disches Amt zurückgeben wollte. Trotz alledem wächst die Provinz unverkennbar schnell mit dem Staate zusammen. Die Logik der Thatsachen, die Natur der Dinge ist denn doch stärker als alle Mißgriffe des Regiments und alle Elemente der Unzufriedenheit, die aus jenen ihre kümmerliche Nahrung ziehen. Ver¬ sorgten wir nicht selbst unsere Gegner mit Stoff zum Kritteln und nergeln, es bliebe ihnen ja absolut nichts Positives übrig, das sie der preußischen Herr¬ schaft, außer ihren eigenen Fehlern, entgegenzusetzen wüßten. Denn Bevölke¬ rung in Stadt und Land vergißt es zusehends immer vollständiger, die Blicke nach rückwärts zu kehren in die grauen Nebel unklarster politischer Strebungen, und ein rüstiges Vorwärtsstreben auf dem Boden der gegebenen Politischen Gestaltungen ist allerwärts zu beobachten. Die materiellen In¬ teressen, durch die Verbindung mit dem Zollverein an das große Vaterland fest geknüpft, arbeiten schließlich am stärksten für die Verschmelzung. Im August soll in Altona eine Landes-Industrieausstellung mit internationaler Erweiterung eröffnet werden. Wem, glauben Sie wohl, hat man das Pro- tectorat mit Erfolg angetragen? Keinem geringeren Mann, als dem Grafen Bismarck! Und wenn auch diese Demonstration wesentlich einer Persönlich¬ keit zu danken ist, die hervorragend durch kaufmännische Intelligenz und Tüchtigkeit seit lange zu den treusten Vorkämpfern der preußischen Herrschaft in den Herzogthümern gehört, dem Vertreter der ersten deutschen Firma in Ostasien W. v. Pustau in Altona, so ist es doch bemerkenswerth genug, daß Schleswig-Holstein i. I. 1869 sich bereits Solches vom Grafen Bismarck gefallen läßt! Am langsamsten geht selbstverständlich der nationale Assimilirungsproeeß auf dem Gebiet der intellectuellen Cultur vor sich, die doch schließlich sowohl dem politischen, wie dem wirthschaftlichen Fortschritt die allein sichere Basis abgibt. Die allgemeine Bildung steht hier zu Lande entschieden sehr erheblich unter dem Niveau der bürgerlichen Intelligenz in Mitteldeutschland, und die selbstgenugsame dünkelhafte Art, mit der man auch hierin sich gern als Normalmensch betrachtet, ist nicht das geringfügigste Symptom dieser intel¬ lectuellen Schwäche. Ein weiteres möchte ich beiläufig in dem Charakter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/503>, abgerufen am 04.07.2024.