Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

rire heute im Großen und Ganzen so glatt und zuversichtlich, als läge der
1. September 1867 bereits außerhalb des Gedächtnisses der Lebenden. Dabei
sind wir unter uns durchaus nicht der Meinung, nur Vortreffliches in der
neuen Justizversassung zu besitzen. Im Gegentheil raisonniren, nergeln und
quängeln wir im Einzelnen laut, wie noch mehr im Stillen endlos daran
herum und freuen uns stets kindlich, wenn wir irgend einen noch so winzigen
Punkt entdeckt haben, der mit einigem Schein zu der befriedigten Bemerkung
Anlaß geben kann: darin war es früher doch besser. Auch brauchen wir in
der That dringend weitere Reformen auf dem Gebiet der Civilproceßordnung,
des formellen, wie materiellen Creditrechts (Concurs-, Pfand-, Hypotheken¬
rechts), und das organische Verhältniß der Kreis- zu den Amtsgerichten muß
gleichfalls wesentlich umgebildet werden. Darum handelt es sich aber nicht
in meinem Sinne. Worauf es mir ankam, war nur, die unleugbare That¬
sache zu constatiren, daß bei allen von den Fachleuten beregten Reform¬
bedürfnissen die Grundzüge der geltenden Gerichtsordnung bei Freund wie
Feind als dauernde Errungenschaften gelten, die durch nichts Besseres zu er¬
setzen und durch keine politische Veränderung mehr zu erschüttern sind. Sie
würden selbst die preußische Herrschaft überdauern.

Kann man dasselbe von der neuen Verwaltungsordnung sagen? Kann
man da überhaupt von einer Ordnung sprechen, wo lediglich eine plan - und
systemlose Vielregiererei sich breit macht, ein zerfahrenes, wirres, willkürliches
Hin - und Herzerren in der Administration, wo nichts von bleibendem Werth
geschaffen wird. Schleswig-Holstein ist entschieden die am schlechtesten admi-
nistrirte Provinz des ganzen Staates. Die Schuld davon soll nicht dem
Grafen Eulenburg, nicht dem Oberpräsidenten, nicht den altländischen und
auch nicht den eingeborenen Mitgliedern der Schleswiger Regierung impu-
tirt werden. Die preußische Administration von heute ist überhaupt ohne
Mark und Nerven, alt und abgenutzt und überreif, um der Selbstverwaltung
Platz zu machen. Wo sie sich nicht, wie hier in Schleswig-Holstein, in dem
ausgetretenen Geleise alter Traditionen und Instruktionen bewegen kann, fällt sie
ins Taumeln, Tappen und Spielen. Selbst auf den Gebieten, wo im Grunde
nur die Organisationen und Reformen der alten Provinzen mit einigem
Verstand nachzubilden sind, in Ordnung des Kirch. und Schulwesens, der Me¬
dizinal- und Baubehörden, der Steuerveranschlagungen, in Regulirung und Ab¬
lösung der Jagdgerechtigkeiten, Zwangs- und Bannrechten, ländlichen Com¬
munionen herrscht eine entsetzlich schleppende, schlendrige, zusammenhangslose
Methode des Vorgehens. Durch die ungeschickte und unüberlegte Art, mit
der man beispielsweise neuerdings in den Bureaus der Regierung in Schleswig
die von den Bezirkscommissionen eingeschätzten Arten der direkten Steuern
systematisch in die Höhe zu schrauben für gut fand, hat man es verstanden,


rire heute im Großen und Ganzen so glatt und zuversichtlich, als läge der
1. September 1867 bereits außerhalb des Gedächtnisses der Lebenden. Dabei
sind wir unter uns durchaus nicht der Meinung, nur Vortreffliches in der
neuen Justizversassung zu besitzen. Im Gegentheil raisonniren, nergeln und
quängeln wir im Einzelnen laut, wie noch mehr im Stillen endlos daran
herum und freuen uns stets kindlich, wenn wir irgend einen noch so winzigen
Punkt entdeckt haben, der mit einigem Schein zu der befriedigten Bemerkung
Anlaß geben kann: darin war es früher doch besser. Auch brauchen wir in
der That dringend weitere Reformen auf dem Gebiet der Civilproceßordnung,
des formellen, wie materiellen Creditrechts (Concurs-, Pfand-, Hypotheken¬
rechts), und das organische Verhältniß der Kreis- zu den Amtsgerichten muß
gleichfalls wesentlich umgebildet werden. Darum handelt es sich aber nicht
in meinem Sinne. Worauf es mir ankam, war nur, die unleugbare That¬
sache zu constatiren, daß bei allen von den Fachleuten beregten Reform¬
bedürfnissen die Grundzüge der geltenden Gerichtsordnung bei Freund wie
Feind als dauernde Errungenschaften gelten, die durch nichts Besseres zu er¬
setzen und durch keine politische Veränderung mehr zu erschüttern sind. Sie
würden selbst die preußische Herrschaft überdauern.

Kann man dasselbe von der neuen Verwaltungsordnung sagen? Kann
man da überhaupt von einer Ordnung sprechen, wo lediglich eine plan - und
systemlose Vielregiererei sich breit macht, ein zerfahrenes, wirres, willkürliches
Hin - und Herzerren in der Administration, wo nichts von bleibendem Werth
geschaffen wird. Schleswig-Holstein ist entschieden die am schlechtesten admi-
nistrirte Provinz des ganzen Staates. Die Schuld davon soll nicht dem
Grafen Eulenburg, nicht dem Oberpräsidenten, nicht den altländischen und
auch nicht den eingeborenen Mitgliedern der Schleswiger Regierung impu-
tirt werden. Die preußische Administration von heute ist überhaupt ohne
Mark und Nerven, alt und abgenutzt und überreif, um der Selbstverwaltung
Platz zu machen. Wo sie sich nicht, wie hier in Schleswig-Holstein, in dem
ausgetretenen Geleise alter Traditionen und Instruktionen bewegen kann, fällt sie
ins Taumeln, Tappen und Spielen. Selbst auf den Gebieten, wo im Grunde
nur die Organisationen und Reformen der alten Provinzen mit einigem
Verstand nachzubilden sind, in Ordnung des Kirch. und Schulwesens, der Me¬
dizinal- und Baubehörden, der Steuerveranschlagungen, in Regulirung und Ab¬
lösung der Jagdgerechtigkeiten, Zwangs- und Bannrechten, ländlichen Com¬
munionen herrscht eine entsetzlich schleppende, schlendrige, zusammenhangslose
Methode des Vorgehens. Durch die ungeschickte und unüberlegte Art, mit
der man beispielsweise neuerdings in den Bureaus der Regierung in Schleswig
die von den Bezirkscommissionen eingeschätzten Arten der direkten Steuern
systematisch in die Höhe zu schrauben für gut fand, hat man es verstanden,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0502" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121189"/>
          <p xml:id="ID_1505" prev="#ID_1504"> rire heute im Großen und Ganzen so glatt und zuversichtlich, als läge der<lb/>
1. September 1867 bereits außerhalb des Gedächtnisses der Lebenden. Dabei<lb/>
sind wir unter uns durchaus nicht der Meinung, nur Vortreffliches in der<lb/>
neuen Justizversassung zu besitzen. Im Gegentheil raisonniren, nergeln und<lb/>
quängeln wir im Einzelnen laut, wie noch mehr im Stillen endlos daran<lb/>
herum und freuen uns stets kindlich, wenn wir irgend einen noch so winzigen<lb/>
Punkt entdeckt haben, der mit einigem Schein zu der befriedigten Bemerkung<lb/>
Anlaß geben kann: darin war es früher doch besser. Auch brauchen wir in<lb/>
der That dringend weitere Reformen auf dem Gebiet der Civilproceßordnung,<lb/>
des formellen, wie materiellen Creditrechts (Concurs-, Pfand-, Hypotheken¬<lb/>
rechts), und das organische Verhältniß der Kreis- zu den Amtsgerichten muß<lb/>
gleichfalls wesentlich umgebildet werden. Darum handelt es sich aber nicht<lb/>
in meinem Sinne. Worauf es mir ankam, war nur, die unleugbare That¬<lb/>
sache zu constatiren, daß bei allen von den Fachleuten beregten Reform¬<lb/>
bedürfnissen die Grundzüge der geltenden Gerichtsordnung bei Freund wie<lb/>
Feind als dauernde Errungenschaften gelten, die durch nichts Besseres zu er¬<lb/>
setzen und durch keine politische Veränderung mehr zu erschüttern sind. Sie<lb/>
würden selbst die preußische Herrschaft überdauern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1506" next="#ID_1507"> Kann man dasselbe von der neuen Verwaltungsordnung sagen? Kann<lb/>
man da überhaupt von einer Ordnung sprechen, wo lediglich eine plan - und<lb/>
systemlose Vielregiererei sich breit macht, ein zerfahrenes, wirres, willkürliches<lb/>
Hin - und Herzerren in der Administration, wo nichts von bleibendem Werth<lb/>
geschaffen wird. Schleswig-Holstein ist entschieden die am schlechtesten admi-<lb/>
nistrirte Provinz des ganzen Staates. Die Schuld davon soll nicht dem<lb/>
Grafen Eulenburg, nicht dem Oberpräsidenten, nicht den altländischen und<lb/>
auch nicht den eingeborenen Mitgliedern der Schleswiger Regierung impu-<lb/>
tirt werden. Die preußische Administration von heute ist überhaupt ohne<lb/>
Mark und Nerven, alt und abgenutzt und überreif, um der Selbstverwaltung<lb/>
Platz zu machen. Wo sie sich nicht, wie hier in Schleswig-Holstein, in dem<lb/>
ausgetretenen Geleise alter Traditionen und Instruktionen bewegen kann, fällt sie<lb/>
ins Taumeln, Tappen und Spielen. Selbst auf den Gebieten, wo im Grunde<lb/>
nur die Organisationen und Reformen der alten Provinzen mit einigem<lb/>
Verstand nachzubilden sind, in Ordnung des Kirch. und Schulwesens, der Me¬<lb/>
dizinal- und Baubehörden, der Steuerveranschlagungen, in Regulirung und Ab¬<lb/>
lösung der Jagdgerechtigkeiten, Zwangs- und Bannrechten, ländlichen Com¬<lb/>
munionen herrscht eine entsetzlich schleppende, schlendrige, zusammenhangslose<lb/>
Methode des Vorgehens. Durch die ungeschickte und unüberlegte Art, mit<lb/>
der man beispielsweise neuerdings in den Bureaus der Regierung in Schleswig<lb/>
die von den Bezirkscommissionen eingeschätzten Arten der direkten Steuern<lb/>
systematisch in die Höhe zu schrauben für gut fand, hat man es verstanden,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0502] rire heute im Großen und Ganzen so glatt und zuversichtlich, als läge der 1. September 1867 bereits außerhalb des Gedächtnisses der Lebenden. Dabei sind wir unter uns durchaus nicht der Meinung, nur Vortreffliches in der neuen Justizversassung zu besitzen. Im Gegentheil raisonniren, nergeln und quängeln wir im Einzelnen laut, wie noch mehr im Stillen endlos daran herum und freuen uns stets kindlich, wenn wir irgend einen noch so winzigen Punkt entdeckt haben, der mit einigem Schein zu der befriedigten Bemerkung Anlaß geben kann: darin war es früher doch besser. Auch brauchen wir in der That dringend weitere Reformen auf dem Gebiet der Civilproceßordnung, des formellen, wie materiellen Creditrechts (Concurs-, Pfand-, Hypotheken¬ rechts), und das organische Verhältniß der Kreis- zu den Amtsgerichten muß gleichfalls wesentlich umgebildet werden. Darum handelt es sich aber nicht in meinem Sinne. Worauf es mir ankam, war nur, die unleugbare That¬ sache zu constatiren, daß bei allen von den Fachleuten beregten Reform¬ bedürfnissen die Grundzüge der geltenden Gerichtsordnung bei Freund wie Feind als dauernde Errungenschaften gelten, die durch nichts Besseres zu er¬ setzen und durch keine politische Veränderung mehr zu erschüttern sind. Sie würden selbst die preußische Herrschaft überdauern. Kann man dasselbe von der neuen Verwaltungsordnung sagen? Kann man da überhaupt von einer Ordnung sprechen, wo lediglich eine plan - und systemlose Vielregiererei sich breit macht, ein zerfahrenes, wirres, willkürliches Hin - und Herzerren in der Administration, wo nichts von bleibendem Werth geschaffen wird. Schleswig-Holstein ist entschieden die am schlechtesten admi- nistrirte Provinz des ganzen Staates. Die Schuld davon soll nicht dem Grafen Eulenburg, nicht dem Oberpräsidenten, nicht den altländischen und auch nicht den eingeborenen Mitgliedern der Schleswiger Regierung impu- tirt werden. Die preußische Administration von heute ist überhaupt ohne Mark und Nerven, alt und abgenutzt und überreif, um der Selbstverwaltung Platz zu machen. Wo sie sich nicht, wie hier in Schleswig-Holstein, in dem ausgetretenen Geleise alter Traditionen und Instruktionen bewegen kann, fällt sie ins Taumeln, Tappen und Spielen. Selbst auf den Gebieten, wo im Grunde nur die Organisationen und Reformen der alten Provinzen mit einigem Verstand nachzubilden sind, in Ordnung des Kirch. und Schulwesens, der Me¬ dizinal- und Baubehörden, der Steuerveranschlagungen, in Regulirung und Ab¬ lösung der Jagdgerechtigkeiten, Zwangs- und Bannrechten, ländlichen Com¬ munionen herrscht eine entsetzlich schleppende, schlendrige, zusammenhangslose Methode des Vorgehens. Durch die ungeschickte und unüberlegte Art, mit der man beispielsweise neuerdings in den Bureaus der Regierung in Schleswig die von den Bezirkscommissionen eingeschätzten Arten der direkten Steuern systematisch in die Höhe zu schrauben für gut fand, hat man es verstanden,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/502
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/502>, abgerufen am 04.07.2024.