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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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widmet, während den sanfteren Weisen der Canzone die ritterliche Huldigung
der Schönheit anheimfiel. Das Liebeslied konnte trotz aller Kunst und
Farbenpracht der Behandlung eine gewisse Einförmigkeit nicht vermeiden;
dagegen bot die Auswahl der verschiedenartigsten Stoffe auf religiösem,
politischem und literarischem Gebiete den kecken Sängern Gelegenheit zur
reichsten Entfaltung ihres Witzes dar.

An dem nöthigen Freimuthe ließen es die Trobadors dabei nicht fehlen.
Mit einer für uns kaum begreiflichen Verwegenheit richten sie ihre Waffen
gegen die mächtigsten Gewalthaber in Staat und Kirche und verstehen es
dabei, ihre sachlichen Gründe durch besonders empfindliche persönliche Angriffe
zu unterstützen. Allerdings mußte der Dichter sich auf Repressalien der
schlimmsten Art gefaßt halten, denn, wo die Waffen des Geistes nicht aus-
reichten, scheute der Beleidigte vor wirksameren Bestrafungsmitteln, ja vor
der rohesten Gewaltthat nicht zurück.. So entzog Karl von Anjou dem Tro-
bador Bertram von Alamon wegen eines Rügeliedes die Erhebung eines
ihm zukommenden Zolles und der berühmte Marcabrun mußte seine Spott¬
sucht durch den Tod von der Hand beleidigter Barone büßen. Man hat die
Sirventesdichtung des 12. und 13. Jahrhunderts nicht unpassend mit dem
modernen Journalismus in Parallele gesetzt; in der That könnte man darüber
in Zweifel sein, welchem von beiden der mächtigere Einfluß auf die Herzen
der Zeitgenossen zuzuschreiben sei. Für eine rasche durch mündlichen Vortrag
noch gehobene Verbreitung eines Nügeliedes war durch umherziehende Sänger
wenigstens in dem Kreise der Betheiligten gesorgt, und eine gleiche Kühn¬
heit in der Verurtheilung öffentlicher und persönlicher Gegner, wie sie in der
Sirventesdichtung herrscht, würde heute der Presse kaum in den freiesten
Ländern gestattet sein. Für die gefährliche Macht, die dem Trobador zu
Gebote stand, spricht schon der Umstand, daß sangesgewandte Fürsten und
Herren sich oft der Sirventeses als Angriffs- und Vertheidigungswaffe.be¬
dienten. So beschuldigt Richard Löwenherz in einem heftigen Rügeliede den
Delphin Robert von Auvergne des Bundesbruchs und durch Geld erkaufter
Treulosigkeit; dieser weist alsdann seine Vorwürfe in derselben künstlichen
Strophenart zurück. Daß aber auch Angriffe niedriger gestellter Dichter der
Erwiederung nicht unwerth geachtet wurden, beweist ein Liederstreit des¬
selben Delphins von Auvergne mit einem Bürger Peire Pelissier. Dieser
hatte die Muse in den Dienst Mercurs gestellt und den vornehmen Herrn
in einem Liede ziemlich unsanft an alte rückständige Schulden gemahnt.
Der Delphin antwortet voller Entrüstung und nennt den Pelissier einen
bäurischen Höfling.

Bei der großen Mannichfaltigkeit der Gegenstände, welche die Trobadors
ihrer Kritik unterwerfen, so wie der rücksichtslosen Offenheit ihres Verfahrens


widmet, während den sanfteren Weisen der Canzone die ritterliche Huldigung
der Schönheit anheimfiel. Das Liebeslied konnte trotz aller Kunst und
Farbenpracht der Behandlung eine gewisse Einförmigkeit nicht vermeiden;
dagegen bot die Auswahl der verschiedenartigsten Stoffe auf religiösem,
politischem und literarischem Gebiete den kecken Sängern Gelegenheit zur
reichsten Entfaltung ihres Witzes dar.

An dem nöthigen Freimuthe ließen es die Trobadors dabei nicht fehlen.
Mit einer für uns kaum begreiflichen Verwegenheit richten sie ihre Waffen
gegen die mächtigsten Gewalthaber in Staat und Kirche und verstehen es
dabei, ihre sachlichen Gründe durch besonders empfindliche persönliche Angriffe
zu unterstützen. Allerdings mußte der Dichter sich auf Repressalien der
schlimmsten Art gefaßt halten, denn, wo die Waffen des Geistes nicht aus-
reichten, scheute der Beleidigte vor wirksameren Bestrafungsmitteln, ja vor
der rohesten Gewaltthat nicht zurück.. So entzog Karl von Anjou dem Tro-
bador Bertram von Alamon wegen eines Rügeliedes die Erhebung eines
ihm zukommenden Zolles und der berühmte Marcabrun mußte seine Spott¬
sucht durch den Tod von der Hand beleidigter Barone büßen. Man hat die
Sirventesdichtung des 12. und 13. Jahrhunderts nicht unpassend mit dem
modernen Journalismus in Parallele gesetzt; in der That könnte man darüber
in Zweifel sein, welchem von beiden der mächtigere Einfluß auf die Herzen
der Zeitgenossen zuzuschreiben sei. Für eine rasche durch mündlichen Vortrag
noch gehobene Verbreitung eines Nügeliedes war durch umherziehende Sänger
wenigstens in dem Kreise der Betheiligten gesorgt, und eine gleiche Kühn¬
heit in der Verurtheilung öffentlicher und persönlicher Gegner, wie sie in der
Sirventesdichtung herrscht, würde heute der Presse kaum in den freiesten
Ländern gestattet sein. Für die gefährliche Macht, die dem Trobador zu
Gebote stand, spricht schon der Umstand, daß sangesgewandte Fürsten und
Herren sich oft der Sirventeses als Angriffs- und Vertheidigungswaffe.be¬
dienten. So beschuldigt Richard Löwenherz in einem heftigen Rügeliede den
Delphin Robert von Auvergne des Bundesbruchs und durch Geld erkaufter
Treulosigkeit; dieser weist alsdann seine Vorwürfe in derselben künstlichen
Strophenart zurück. Daß aber auch Angriffe niedriger gestellter Dichter der
Erwiederung nicht unwerth geachtet wurden, beweist ein Liederstreit des¬
selben Delphins von Auvergne mit einem Bürger Peire Pelissier. Dieser
hatte die Muse in den Dienst Mercurs gestellt und den vornehmen Herrn
in einem Liede ziemlich unsanft an alte rückständige Schulden gemahnt.
Der Delphin antwortet voller Entrüstung und nennt den Pelissier einen
bäurischen Höfling.

Bei der großen Mannichfaltigkeit der Gegenstände, welche die Trobadors
ihrer Kritik unterwerfen, so wie der rücksichtslosen Offenheit ihres Verfahrens


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/50>, abgerufen am 04.07.2024.