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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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der Umstände. Die Gladstone'sche Methode die irischen Kirche abzuschaffen
ist aber jedenfalls unendlich besser als ihr Fortbestehen, und gegen das Fort¬
bestehen hat sich die Nation mit unzweideutiger Entschiedenheit ausgesprochen.
Deshalb wird der Widerstand des Oberhauses zu einem Kampf zwischen
dem stärksten Faktor des Staates und einem unvergleichlich schwächeren.
Dem gegenüber die verfassungsmäßige Befugniß der Lords zur Verwerfung zu
betonen ist thöricht, denn die wirkliche Vertheilung politischer Macht kann
nicht durch constitutionelle Formen geändert werden. Der Schwerpunkt einer
Regierung liegt in dem stärksten Theile des Staatslebens und heuzutage ist
das Unterhaus so unzweifelhaft der stärkste Theil, daß wenn eine große
Majorität desselben, durch einen fähigen Mann, wie Gladstone geführt, sich
in einer wichtigen Frage für die eine Seite entschieden hat, das Oberhaus
wie die Krone zustimmen müssen. Die conservativen Peers mögen ehrlich
überzeugt sein, daß Gladstones Bill Staat und Kirche gefährdet, aber nach¬
dem dieselbe im Unterhaus mit 114 Stimmen Majorität durchgegangen,
bleibt ihnen nichts anderes übrig, als nachzuahmen was ihre Väter auf den
Rath des eisernen Herzogs 1832 bei der Reformbill gethan haben, sich der
Abstimmung zu enthalten, aber sich zu fügen. Wollen sie des Princips
wegen dagegen stimmen, so handeln sie wie ein Mann, der sich einem wüthen¬
den Stier entgegen wirft, weil derselbe kein Recht habe in seinen Garten zu
kommen. Es liegt am Tage, daß sie damit die conservativen Interessen selbst
schädigen würden, der Unmuth der Nation würde sich gegen die Institution
wenden, welche einen Fortschritt aufhält, über den sie entschieden hat und
die Forderungen an das Oberhaus würden wie die der Sybille steigen.
Hätte man rechtzeitig einigen großen Städten das Wahlrecht gegeben, so
hätte man nicht die Bill von 1832 zugestehen müssen, hätte man 1866
Gladstones Reformbill angenommen, so hätte man nicht 1867 die viel .
weitergehende Disraelis zugestehen müssen, verstockt sich jetzt die conservative
Partei gegen die Nothwendigkeit die irische Kirchenbill passiren zu lassen, so
wird sie damit in Irland wahrscheinlich Aufstand und Blutvergießen, im
ganzen Königreiche aber einen Sturm gegen das Oberhaus heraufbeschwören,
der sich vielleicht nicht wieder beschwichtigen läßt: die Stimmung ist für
dasselbe schon jetzt nicht günstig.

Wir wollen noch hoffen, daß die Besonnenheit im letzten Augenblick
siegen und die englische Aristokratie nicht den Geist der Mäßigung verleug¬
nen werde. für den sie seit Montesquieu mit Recht gepriesen ist. Wenn diese
Zeilen die Presse verlassen wird die Entscheidung gefallen sein.




der Umstände. Die Gladstone'sche Methode die irischen Kirche abzuschaffen
ist aber jedenfalls unendlich besser als ihr Fortbestehen, und gegen das Fort¬
bestehen hat sich die Nation mit unzweideutiger Entschiedenheit ausgesprochen.
Deshalb wird der Widerstand des Oberhauses zu einem Kampf zwischen
dem stärksten Faktor des Staates und einem unvergleichlich schwächeren.
Dem gegenüber die verfassungsmäßige Befugniß der Lords zur Verwerfung zu
betonen ist thöricht, denn die wirkliche Vertheilung politischer Macht kann
nicht durch constitutionelle Formen geändert werden. Der Schwerpunkt einer
Regierung liegt in dem stärksten Theile des Staatslebens und heuzutage ist
das Unterhaus so unzweifelhaft der stärkste Theil, daß wenn eine große
Majorität desselben, durch einen fähigen Mann, wie Gladstone geführt, sich
in einer wichtigen Frage für die eine Seite entschieden hat, das Oberhaus
wie die Krone zustimmen müssen. Die conservativen Peers mögen ehrlich
überzeugt sein, daß Gladstones Bill Staat und Kirche gefährdet, aber nach¬
dem dieselbe im Unterhaus mit 114 Stimmen Majorität durchgegangen,
bleibt ihnen nichts anderes übrig, als nachzuahmen was ihre Väter auf den
Rath des eisernen Herzogs 1832 bei der Reformbill gethan haben, sich der
Abstimmung zu enthalten, aber sich zu fügen. Wollen sie des Princips
wegen dagegen stimmen, so handeln sie wie ein Mann, der sich einem wüthen¬
den Stier entgegen wirft, weil derselbe kein Recht habe in seinen Garten zu
kommen. Es liegt am Tage, daß sie damit die conservativen Interessen selbst
schädigen würden, der Unmuth der Nation würde sich gegen die Institution
wenden, welche einen Fortschritt aufhält, über den sie entschieden hat und
die Forderungen an das Oberhaus würden wie die der Sybille steigen.
Hätte man rechtzeitig einigen großen Städten das Wahlrecht gegeben, so
hätte man nicht die Bill von 1832 zugestehen müssen, hätte man 1866
Gladstones Reformbill angenommen, so hätte man nicht 1867 die viel .
weitergehende Disraelis zugestehen müssen, verstockt sich jetzt die conservative
Partei gegen die Nothwendigkeit die irische Kirchenbill passiren zu lassen, so
wird sie damit in Irland wahrscheinlich Aufstand und Blutvergießen, im
ganzen Königreiche aber einen Sturm gegen das Oberhaus heraufbeschwören,
der sich vielleicht nicht wieder beschwichtigen läßt: die Stimmung ist für
dasselbe schon jetzt nicht günstig.

Wir wollen noch hoffen, daß die Besonnenheit im letzten Augenblick
siegen und die englische Aristokratie nicht den Geist der Mäßigung verleug¬
nen werde. für den sie seit Montesquieu mit Recht gepriesen ist. Wenn diese
Zeilen die Presse verlassen wird die Entscheidung gefallen sein.




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[0484] der Umstände. Die Gladstone'sche Methode die irischen Kirche abzuschaffen ist aber jedenfalls unendlich besser als ihr Fortbestehen, und gegen das Fort¬ bestehen hat sich die Nation mit unzweideutiger Entschiedenheit ausgesprochen. Deshalb wird der Widerstand des Oberhauses zu einem Kampf zwischen dem stärksten Faktor des Staates und einem unvergleichlich schwächeren. Dem gegenüber die verfassungsmäßige Befugniß der Lords zur Verwerfung zu betonen ist thöricht, denn die wirkliche Vertheilung politischer Macht kann nicht durch constitutionelle Formen geändert werden. Der Schwerpunkt einer Regierung liegt in dem stärksten Theile des Staatslebens und heuzutage ist das Unterhaus so unzweifelhaft der stärkste Theil, daß wenn eine große Majorität desselben, durch einen fähigen Mann, wie Gladstone geführt, sich in einer wichtigen Frage für die eine Seite entschieden hat, das Oberhaus wie die Krone zustimmen müssen. Die conservativen Peers mögen ehrlich überzeugt sein, daß Gladstones Bill Staat und Kirche gefährdet, aber nach¬ dem dieselbe im Unterhaus mit 114 Stimmen Majorität durchgegangen, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als nachzuahmen was ihre Väter auf den Rath des eisernen Herzogs 1832 bei der Reformbill gethan haben, sich der Abstimmung zu enthalten, aber sich zu fügen. Wollen sie des Princips wegen dagegen stimmen, so handeln sie wie ein Mann, der sich einem wüthen¬ den Stier entgegen wirft, weil derselbe kein Recht habe in seinen Garten zu kommen. Es liegt am Tage, daß sie damit die conservativen Interessen selbst schädigen würden, der Unmuth der Nation würde sich gegen die Institution wenden, welche einen Fortschritt aufhält, über den sie entschieden hat und die Forderungen an das Oberhaus würden wie die der Sybille steigen. Hätte man rechtzeitig einigen großen Städten das Wahlrecht gegeben, so hätte man nicht die Bill von 1832 zugestehen müssen, hätte man 1866 Gladstones Reformbill angenommen, so hätte man nicht 1867 die viel . weitergehende Disraelis zugestehen müssen, verstockt sich jetzt die conservative Partei gegen die Nothwendigkeit die irische Kirchenbill passiren zu lassen, so wird sie damit in Irland wahrscheinlich Aufstand und Blutvergießen, im ganzen Königreiche aber einen Sturm gegen das Oberhaus heraufbeschwören, der sich vielleicht nicht wieder beschwichtigen läßt: die Stimmung ist für dasselbe schon jetzt nicht günstig. Wir wollen noch hoffen, daß die Besonnenheit im letzten Augenblick siegen und die englische Aristokratie nicht den Geist der Mäßigung verleug¬ nen werde. für den sie seit Montesquieu mit Recht gepriesen ist. Wenn diese Zeilen die Presse verlassen wird die Entscheidung gefallen sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/484>, abgerufen am 04.07.2024.