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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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müssen bei ihm schon früher Fuß gefaßt und so mächtig geworden sein, daß
es ihn trieb, seine "Freigeisterei" unter allen Lebensverhältnissen und gegen
Jedermann zu bekennen. Gadebusch führt dafür einen Beleg an, der um so
interessanter ist, als er einen Ausspruch Peters des Großen über den reli¬
giösen Zweifel enthält und auf Fleth eigenes Zeugniß zurückgeht.

"Im 17S0sten Jahre" -- so heißt es in unserer Handschrift - "bekam
Fick die Wassersucht. Er.Zbediente sich des dörpatischen Arztes Dr. Pauls,
Sohn und seines Bruders, des Ritterschaftschirurgen, welche sich alle acht
Tage abwechselten, immer um ihn waren und ihm das Wasser mit großer
Behutsamkeit abzapften. Ich war damals zu Oberpahlen, um meiner Reise
wegen (Gadebusch reiste auf Fick's Wunsch nach Hennersdorf, um die Vie-
tinghof'schen Kinder, die daselbst erzogen wurden, abzuholen) mit dem Landes¬
hauptmann Vietinghof Abrede zu nehmen. Ich wohnte auf Fleth Verlangen
einmal der Abzapfung bei, welche des Morgens und Abends also geschah,
daß jedesmal nur ein Bierglas voll abgezapft ward. Bei dieser Gelegenheit
erzählte er mir, daß er einmal bet Hofe mit einigen Russen einen Streit
über die Geschichte der Gergesener gehabt hätte. Fick, welcher an keinen
Teufel glaubte, behauptete, Jesus hätte keinen Teufel ausgetrieben, sondern
die Krankheit des vorgegebenen Besessenen auf die Schweine gelegt. Die
streitenden Parteien wurden dabei so laut, daß der Kaiser (Peter I.), der
nicht weit von ihnen stand, es vernahm und überlaut fragte: was hat Fick
nun wieder vor? Nachdem ihm nun die Materie des Streits bekannt ge¬
macht worden, äußerte der Kaiser sich gegen ihn also: ob er das Wesen sei¬
ner eigenen Seele kenne, und wenn er solches nicht kenne, wie ex die Natur
und die Kräfte des Teufels beurtheilen wollte?"

Wie das bei den Materialisten der französischen Schule des achtzehnten Jahr¬
hunderts nicht selten vorkam, so scheint auch bei Fick der Glaube an die Allein¬
herrschaft für die Materie Hand in Hand mit einer ausgesprochenen Vorliebe für
die Gaben gegangen zu sein, welche diese Göttin zu bieten vermag. Ihr
allzu eifriger Cultus war der Grund davon, daß er sein "Leibesleben nur
bis zu 71 Jahren brachte und a. 28. des Brachmonats 17S0 den Weg alles
Fleisches ging". Die Wassersucht an der er litt, war von den beiden Dor-
pater Aerzten, die ihn behandelten, so glücklich bekämpft worden, daß diese
Besserung und noch einige Lebensjahre in Aussicht stelltenwenn der Patient
strengere Diät halten und namentlich dem Weine abschwören wolle Das
Eintreffen eines neuen Vorraths an guten Champagner und Burgunder,
weinen stellte den alten Herrn aber auf eine Probe, der?er nicht gewachsen
war -- er wollte die neue "Ladung" mindestens kosten und trank -- ob¬
gleich der Arzt höchstens ein Gläschen zugelassen hatte -- eine ganze Flasche
aus. "Zween Tage" darauf war er todt.


müssen bei ihm schon früher Fuß gefaßt und so mächtig geworden sein, daß
es ihn trieb, seine „Freigeisterei" unter allen Lebensverhältnissen und gegen
Jedermann zu bekennen. Gadebusch führt dafür einen Beleg an, der um so
interessanter ist, als er einen Ausspruch Peters des Großen über den reli¬
giösen Zweifel enthält und auf Fleth eigenes Zeugniß zurückgeht.

„Im 17S0sten Jahre" — so heißt es in unserer Handschrift - „bekam
Fick die Wassersucht. Er.Zbediente sich des dörpatischen Arztes Dr. Pauls,
Sohn und seines Bruders, des Ritterschaftschirurgen, welche sich alle acht
Tage abwechselten, immer um ihn waren und ihm das Wasser mit großer
Behutsamkeit abzapften. Ich war damals zu Oberpahlen, um meiner Reise
wegen (Gadebusch reiste auf Fick's Wunsch nach Hennersdorf, um die Vie-
tinghof'schen Kinder, die daselbst erzogen wurden, abzuholen) mit dem Landes¬
hauptmann Vietinghof Abrede zu nehmen. Ich wohnte auf Fleth Verlangen
einmal der Abzapfung bei, welche des Morgens und Abends also geschah,
daß jedesmal nur ein Bierglas voll abgezapft ward. Bei dieser Gelegenheit
erzählte er mir, daß er einmal bet Hofe mit einigen Russen einen Streit
über die Geschichte der Gergesener gehabt hätte. Fick, welcher an keinen
Teufel glaubte, behauptete, Jesus hätte keinen Teufel ausgetrieben, sondern
die Krankheit des vorgegebenen Besessenen auf die Schweine gelegt. Die
streitenden Parteien wurden dabei so laut, daß der Kaiser (Peter I.), der
nicht weit von ihnen stand, es vernahm und überlaut fragte: was hat Fick
nun wieder vor? Nachdem ihm nun die Materie des Streits bekannt ge¬
macht worden, äußerte der Kaiser sich gegen ihn also: ob er das Wesen sei¬
ner eigenen Seele kenne, und wenn er solches nicht kenne, wie ex die Natur
und die Kräfte des Teufels beurtheilen wollte?"

Wie das bei den Materialisten der französischen Schule des achtzehnten Jahr¬
hunderts nicht selten vorkam, so scheint auch bei Fick der Glaube an die Allein¬
herrschaft für die Materie Hand in Hand mit einer ausgesprochenen Vorliebe für
die Gaben gegangen zu sein, welche diese Göttin zu bieten vermag. Ihr
allzu eifriger Cultus war der Grund davon, daß er sein „Leibesleben nur
bis zu 71 Jahren brachte und a. 28. des Brachmonats 17S0 den Weg alles
Fleisches ging". Die Wassersucht an der er litt, war von den beiden Dor-
pater Aerzten, die ihn behandelten, so glücklich bekämpft worden, daß diese
Besserung und noch einige Lebensjahre in Aussicht stelltenwenn der Patient
strengere Diät halten und namentlich dem Weine abschwören wolle Das
Eintreffen eines neuen Vorraths an guten Champagner und Burgunder,
weinen stellte den alten Herrn aber auf eine Probe, der?er nicht gewachsen
war — er wollte die neue „Ladung" mindestens kosten und trank — ob¬
gleich der Arzt höchstens ein Gläschen zugelassen hatte — eine ganze Flasche
aus. „Zween Tage" darauf war er todt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/482>, abgerufen am 04.07.2024.