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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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ellundsre*) eripere, zu deutsch: herausschütteln, herausschwenken, heraus¬
reißen. Namentlich das letzte Wort macht nachdenklich, denn Diokles rühmt
sich, daß er bei 1462 Siegen als Jockey der Braunen 502 mal eripuit et
viele, d. h. den Sieg durch Herausreißen davongetragen habe, und zwar
2l6mal über die Lauchgrünen, 20Smal über die Meergrünen und 81mal über
die Schimmel. War diese besondere Anstrengung gegenüber einem in Vor-
theil rennenden Gegner nur ein Entreißen der günstigsten Bahnlinie, oder
war es ein sehr gewaltthätiges, sehr häufiges und sehr ungentiles Heraus-
schmeißen des Gegners? Die Forschung zweifelt. Jedenfalls galt diese Me-
thode für die ruhmvollste, denn Diokles rühmt sich ihrer wiederholt.

Den genauesten Einblick in das Treiben der römischen Rennbahn ge.
währen uns zwei Steininschriften von Grabdenkmälern römischer Jockey's;
die eine, des erwähnten Gaius Appulejus Diokles (rannte von 122--148). ist
für vollständige Mittheilung zu lückenhaft, die andere, des Publius Aelius
Gutta. aus dem Ende desselben Jahrhunderts, soll hier zum Schluß folgen.
Der Stein, auf dem sie einst zu Rom an der Flaminischen Straße zu
lesen war, ist jetzt verschwunden. Daß sie uns in guter Abschrift erhalten
blieb, verdanken wir einem sehr merkwürdigen Umstand. Im 9. Jahr¬
hundert n. Chr., also vor tausend Jahren, sammelte ein Germane, wahr-
scheinlich ein langobardischer oder angelsächsischer Mönch, zu Rom solche
Steininschriften, welche ihn nicht durch ihren heidnischen Inhalt allzusehr
verletzten, in einer sorgfältigen Handschrift. Die Verwunderung über dieses
antiquarische Interesse in der Karolingerzeit wird gesteigert durch die philo¬
logische Genauigkeit der Niederschrift. Sie ist ein neuer Beweis, wie groß-
artig die Anregungen waren, welche Kaiser Karl den Germanen zur An¬
eignung antiker Bildung gab. Die Sammlung des unbekannten Mönches
ist uns in einer guten Abschrift aus demselben 9. Jahrhundert erhalten, die
zuerst zu Pfeffers, dann zu Einsiedeln aufbewahrt wurde, und deren Inhalt in
mehrere handschriftliche Sammlungen alter Steininschriften überging, welche
seit dem Is. Jahrhundert in Italien gemacht worden sind.

Leider hat der alte Abschreiber nicht mehr die ganze Steininschrift gelesen;
sie bestand ursprünglich aus zwei größern und zwei kleinern Parallelcolumnen.
in den größern hatte der Jockey seinen eigenen Ruhm, in den kleinern den
seiner Rennpferde verzeichnet. Davon ist die erste größere Columne nicht über¬
liefert, sie enthielt, wie wir nach Analogie anderer Inschriften schließen dürfen,
Name und Herkunft des Jockey, die Zeitangaben über sein erstes Auftreten
und seinen Uebergang aus einem Club in den andern, zuletzt die Zahl der
gewonnenen Siege. Wir theilen im Folgenden das Erhaltene, und was
sich von dem Verlornen sicher ergänzen läßt, in getreuer Uebersetzung mit:



') ?Iimus, R"t. List. VIII. 160, 161.

ellundsre*) eripere, zu deutsch: herausschütteln, herausschwenken, heraus¬
reißen. Namentlich das letzte Wort macht nachdenklich, denn Diokles rühmt
sich, daß er bei 1462 Siegen als Jockey der Braunen 502 mal eripuit et
viele, d. h. den Sieg durch Herausreißen davongetragen habe, und zwar
2l6mal über die Lauchgrünen, 20Smal über die Meergrünen und 81mal über
die Schimmel. War diese besondere Anstrengung gegenüber einem in Vor-
theil rennenden Gegner nur ein Entreißen der günstigsten Bahnlinie, oder
war es ein sehr gewaltthätiges, sehr häufiges und sehr ungentiles Heraus-
schmeißen des Gegners? Die Forschung zweifelt. Jedenfalls galt diese Me-
thode für die ruhmvollste, denn Diokles rühmt sich ihrer wiederholt.

Den genauesten Einblick in das Treiben der römischen Rennbahn ge.
währen uns zwei Steininschriften von Grabdenkmälern römischer Jockey's;
die eine, des erwähnten Gaius Appulejus Diokles (rannte von 122—148). ist
für vollständige Mittheilung zu lückenhaft, die andere, des Publius Aelius
Gutta. aus dem Ende desselben Jahrhunderts, soll hier zum Schluß folgen.
Der Stein, auf dem sie einst zu Rom an der Flaminischen Straße zu
lesen war, ist jetzt verschwunden. Daß sie uns in guter Abschrift erhalten
blieb, verdanken wir einem sehr merkwürdigen Umstand. Im 9. Jahr¬
hundert n. Chr., also vor tausend Jahren, sammelte ein Germane, wahr-
scheinlich ein langobardischer oder angelsächsischer Mönch, zu Rom solche
Steininschriften, welche ihn nicht durch ihren heidnischen Inhalt allzusehr
verletzten, in einer sorgfältigen Handschrift. Die Verwunderung über dieses
antiquarische Interesse in der Karolingerzeit wird gesteigert durch die philo¬
logische Genauigkeit der Niederschrift. Sie ist ein neuer Beweis, wie groß-
artig die Anregungen waren, welche Kaiser Karl den Germanen zur An¬
eignung antiker Bildung gab. Die Sammlung des unbekannten Mönches
ist uns in einer guten Abschrift aus demselben 9. Jahrhundert erhalten, die
zuerst zu Pfeffers, dann zu Einsiedeln aufbewahrt wurde, und deren Inhalt in
mehrere handschriftliche Sammlungen alter Steininschriften überging, welche
seit dem Is. Jahrhundert in Italien gemacht worden sind.

Leider hat der alte Abschreiber nicht mehr die ganze Steininschrift gelesen;
sie bestand ursprünglich aus zwei größern und zwei kleinern Parallelcolumnen.
in den größern hatte der Jockey seinen eigenen Ruhm, in den kleinern den
seiner Rennpferde verzeichnet. Davon ist die erste größere Columne nicht über¬
liefert, sie enthielt, wie wir nach Analogie anderer Inschriften schließen dürfen,
Name und Herkunft des Jockey, die Zeitangaben über sein erstes Auftreten
und seinen Uebergang aus einem Club in den andern, zuletzt die Zahl der
gewonnenen Siege. Wir theilen im Folgenden das Erhaltene, und was
sich von dem Verlornen sicher ergänzen läßt, in getreuer Uebersetzung mit:



') ?Iimus, R»t. List. VIII. 160, 161.
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[0461] ellundsre*) eripere, zu deutsch: herausschütteln, herausschwenken, heraus¬ reißen. Namentlich das letzte Wort macht nachdenklich, denn Diokles rühmt sich, daß er bei 1462 Siegen als Jockey der Braunen 502 mal eripuit et viele, d. h. den Sieg durch Herausreißen davongetragen habe, und zwar 2l6mal über die Lauchgrünen, 20Smal über die Meergrünen und 81mal über die Schimmel. War diese besondere Anstrengung gegenüber einem in Vor- theil rennenden Gegner nur ein Entreißen der günstigsten Bahnlinie, oder war es ein sehr gewaltthätiges, sehr häufiges und sehr ungentiles Heraus- schmeißen des Gegners? Die Forschung zweifelt. Jedenfalls galt diese Me- thode für die ruhmvollste, denn Diokles rühmt sich ihrer wiederholt. Den genauesten Einblick in das Treiben der römischen Rennbahn ge. währen uns zwei Steininschriften von Grabdenkmälern römischer Jockey's; die eine, des erwähnten Gaius Appulejus Diokles (rannte von 122—148). ist für vollständige Mittheilung zu lückenhaft, die andere, des Publius Aelius Gutta. aus dem Ende desselben Jahrhunderts, soll hier zum Schluß folgen. Der Stein, auf dem sie einst zu Rom an der Flaminischen Straße zu lesen war, ist jetzt verschwunden. Daß sie uns in guter Abschrift erhalten blieb, verdanken wir einem sehr merkwürdigen Umstand. Im 9. Jahr¬ hundert n. Chr., also vor tausend Jahren, sammelte ein Germane, wahr- scheinlich ein langobardischer oder angelsächsischer Mönch, zu Rom solche Steininschriften, welche ihn nicht durch ihren heidnischen Inhalt allzusehr verletzten, in einer sorgfältigen Handschrift. Die Verwunderung über dieses antiquarische Interesse in der Karolingerzeit wird gesteigert durch die philo¬ logische Genauigkeit der Niederschrift. Sie ist ein neuer Beweis, wie groß- artig die Anregungen waren, welche Kaiser Karl den Germanen zur An¬ eignung antiker Bildung gab. Die Sammlung des unbekannten Mönches ist uns in einer guten Abschrift aus demselben 9. Jahrhundert erhalten, die zuerst zu Pfeffers, dann zu Einsiedeln aufbewahrt wurde, und deren Inhalt in mehrere handschriftliche Sammlungen alter Steininschriften überging, welche seit dem Is. Jahrhundert in Italien gemacht worden sind. Leider hat der alte Abschreiber nicht mehr die ganze Steininschrift gelesen; sie bestand ursprünglich aus zwei größern und zwei kleinern Parallelcolumnen. in den größern hatte der Jockey seinen eigenen Ruhm, in den kleinern den seiner Rennpferde verzeichnet. Davon ist die erste größere Columne nicht über¬ liefert, sie enthielt, wie wir nach Analogie anderer Inschriften schließen dürfen, Name und Herkunft des Jockey, die Zeitangaben über sein erstes Auftreten und seinen Uebergang aus einem Club in den andern, zuletzt die Zahl der gewonnenen Siege. Wir theilen im Folgenden das Erhaltene, und was sich von dem Verlornen sicher ergänzen läßt, in getreuer Uebersetzung mit: ') ?Iimus, R»t. List. VIII. 160, 161.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/461>, abgerufen am 25.07.2024.