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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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festigen". Für den Charakter dieses "Systems" ist der Schlußsatz des letzten
der "acht Punkte" (der u. A. feststellte, daß keine neuen Auflagen erhoben
werden sollten) typisch: "Wenn ich nach obgeschriebenen acht Punkten nicht
thue, so werde ich verlustig der russischen Krone."

Anna besann sich keinen Augenblick, die ihr vorgelegten Bedingungen
zu unterschreiben. Der Bote der Gegenpartei, Capitain Sumarokow, der
ihr abrathen sollte, war drei Stunden zu spät in Mitau eingetroffen,
sein Geleitbrief in die Hände Leonthews gefallen. Triumphirend kehr¬
ten die drei Bevollmächtigten in die altrussische Hauptstadt zurück. Aber
die konstitutionelle Herrlichkeit, zu welcher die Dolgoruki es mit Hilfe
ihres schleswigschen Rathgebers gebracht hatten, war von kurzer Dauer.
Kaum war Anna in Moskau angelangt, so setzte sie sich mit Hilfe Oster-
mann's der übrigen Ausländer und der Gegner des Geheimen Raths in
den Besitz der unbeschränkten Gewalt und die Dolgoruki wurden als Hoch¬
verräther bestraft und Fick mußte das Loos seiner Freunde theilen. Ihm
war zur Last gelegt, nicht nur mit den Oligarchen conspirirt, sondern auch
lose Reden über den aus Kurland mitgebrachten kaiserlichen Günstling
Biron geführt zu haben, und nach längerer Gefangenschaft mußten er und
sein Schwiegersohn Schulz die Reise nach Sibirien antreten. -- Ueber die
wider ihn geführte Untersuchung und deren Resultate herrscht das übliche
Schweigen. Der kluge deutsche Glücksritter scheint seine Sache aber mit Geschick
geführt zu haben; nachdem er den Kopf gerettet, war ihm nur noch darum
zu thun, zu den Vornehmsten der Verurtheilten gezählt und als großer
Herr behandelt zu werden, eine Politik, die sich in der Folge als durchaus
richtig bewies. Wir besitzen ein interessantes, von ihm selbst geschriebenes Acten¬
stück, in welchem er viele Jahre später zur Geltung brachte, daß er keiner von den
Kleinen gewesen, denen es so leicht an Hals und Kragen geht. In einem vom
ö. November 1744 datirten Schreiben an das livländische Landraths-
collegium, bei welchem er sich um die Ausreichung des livländischen Jnoige-
nats-Diploms bemühte, erzählt er folgendes über seinen Proceß: "Damit
wegen meiner ehemaligen unglücklichen Sache und den dabei gehaltenen
irioclis xroeeuäi wegen Verletzung meiner Horreur kein Verdacht entstehen
möge; so ist es ganz Moskau und Petersburg, insbesondere dem kaiserlichen
Hofe, dem Senat und dem Justizeollegio bekannt, als bei welchem meine
Sache tractirt worden,

1) daß ich damals von einem General en Chef, Senateur und Ritter arretirt
und in dem Czarischen Prinzessin Maria Alexewna ehemaligen Zimmer, auch
täglich aus der kaiserl. Küche und Keller honorablement tractirt und wohl
gehalten worden,

2) daß in oberwähnten Arrestzimmern Männer vom ersten Rang jeder


festigen". Für den Charakter dieses „Systems" ist der Schlußsatz des letzten
der „acht Punkte" (der u. A. feststellte, daß keine neuen Auflagen erhoben
werden sollten) typisch: „Wenn ich nach obgeschriebenen acht Punkten nicht
thue, so werde ich verlustig der russischen Krone."

Anna besann sich keinen Augenblick, die ihr vorgelegten Bedingungen
zu unterschreiben. Der Bote der Gegenpartei, Capitain Sumarokow, der
ihr abrathen sollte, war drei Stunden zu spät in Mitau eingetroffen,
sein Geleitbrief in die Hände Leonthews gefallen. Triumphirend kehr¬
ten die drei Bevollmächtigten in die altrussische Hauptstadt zurück. Aber
die konstitutionelle Herrlichkeit, zu welcher die Dolgoruki es mit Hilfe
ihres schleswigschen Rathgebers gebracht hatten, war von kurzer Dauer.
Kaum war Anna in Moskau angelangt, so setzte sie sich mit Hilfe Oster-
mann's der übrigen Ausländer und der Gegner des Geheimen Raths in
den Besitz der unbeschränkten Gewalt und die Dolgoruki wurden als Hoch¬
verräther bestraft und Fick mußte das Loos seiner Freunde theilen. Ihm
war zur Last gelegt, nicht nur mit den Oligarchen conspirirt, sondern auch
lose Reden über den aus Kurland mitgebrachten kaiserlichen Günstling
Biron geführt zu haben, und nach längerer Gefangenschaft mußten er und
sein Schwiegersohn Schulz die Reise nach Sibirien antreten. — Ueber die
wider ihn geführte Untersuchung und deren Resultate herrscht das übliche
Schweigen. Der kluge deutsche Glücksritter scheint seine Sache aber mit Geschick
geführt zu haben; nachdem er den Kopf gerettet, war ihm nur noch darum
zu thun, zu den Vornehmsten der Verurtheilten gezählt und als großer
Herr behandelt zu werden, eine Politik, die sich in der Folge als durchaus
richtig bewies. Wir besitzen ein interessantes, von ihm selbst geschriebenes Acten¬
stück, in welchem er viele Jahre später zur Geltung brachte, daß er keiner von den
Kleinen gewesen, denen es so leicht an Hals und Kragen geht. In einem vom
ö. November 1744 datirten Schreiben an das livländische Landraths-
collegium, bei welchem er sich um die Ausreichung des livländischen Jnoige-
nats-Diploms bemühte, erzählt er folgendes über seinen Proceß: „Damit
wegen meiner ehemaligen unglücklichen Sache und den dabei gehaltenen
irioclis xroeeuäi wegen Verletzung meiner Horreur kein Verdacht entstehen
möge; so ist es ganz Moskau und Petersburg, insbesondere dem kaiserlichen
Hofe, dem Senat und dem Justizeollegio bekannt, als bei welchem meine
Sache tractirt worden,

1) daß ich damals von einem General en Chef, Senateur und Ritter arretirt
und in dem Czarischen Prinzessin Maria Alexewna ehemaligen Zimmer, auch
täglich aus der kaiserl. Küche und Keller honorablement tractirt und wohl
gehalten worden,

2) daß in oberwähnten Arrestzimmern Männer vom ersten Rang jeder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/446>, abgerufen am 04.07.2024.