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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Peter II. in das Grab sank, das der 14jährige Knabe sich durch seine Zügel-
losigkeit gegraben, traten diese Führer des malcontenten hohen Adels mit
ihrem Programm hervor.

Dieses Programm war die Beschränkung der absoluten Zaarengewalt durch
einen aus acht hohen Würdenträgern zusammengesetzten "geheimen Rath",
ohne dessen Zustimmung kein Geld verausgabt, kein Vertrag geschlossen, keine
Beförderung vorgenommen werden sollte. Der sächsische Legationsrath Lefort
und Mannstein berichten übereinstimmend, daß man dabei schwedische Ein¬
richtungen zum Muster genommen, und wir wissen bereits, wer das "moäöls
8ur leg Lueäois", das die Russen sich vorgesteckt, mitgebracht hatte -- der
inzwischen zum Vicepräsidenten des Commerzeollegiums beförderte Kammer¬
rath v. Fick. Ob Fick gerade jene "acht Punkte", die die Kaiserin Anna im
Januar 1730 zu Mitau unterschrieb (um sie fünf Wochen später zu zerreißen
und ihren Urhebern vor die Füße zu werfen) aufgesetzt hat, wissen wir nicht,
und er selbst hat sich gehütet, jemals darüber Aufschluß zu geben, vielmehr
über sein Verhalten ein ebenso discretes Schweigen beobachtet, wie über die
Untersuchung, welche ihn nach dem Sturz seiner Freunde traf; der erfahrene
Hofmann mochte wissen, daß Staatsgeheimnisse dieser Art nicht für das Volk
bestimmt seien, in dessen Namen man doch zu handeln vorgab -- von seiner
directen Betheiligung zeugt Mannstein. Nach dem Sturz der umdenSchwie-
gersohn Peters, den Herzog Karl Friedrich von Holstein, gruppirten holsteinfchen
Partei, mit der er es Anfangs gehalten, war Fick in das Dolgorukische Lager
übergegangen, namentlich mit dem Fürsten Dimitri Michailowitsch Galyzin, einem
der Häupter dieser stolzen Oligarchie, in nahe Beziehung getreten und diesem als
Rathgeber an die Hand gegangen. Die Zeitgenossen maßen ihm eine wichtige
Rolle bei den Plänen zu, die dieser einflußreiche Mann (er war Senator,
Geheimer Rath und Bruder des Generalfeldmarschalls) zur Ausführung brachte;
der Fürst war nämlich nicht nur einer der Urheber der "acht Punkte", welche
die Souverainität Anna's einschränken sollten, sondern er hatte diese Fürstin
in Vorschlag gebracht, als über die Besetzung des erledigten Throns verhan¬
delt und Anfangs Katharina Dolgoruki, die Braut des eben verstorbenen
Kaisers, als Candidaten aufgestellt worden war. Dann war Galyzin als
Vertreter des Senats nach Mitau gereist, um in Gemeinschaft mit Wassili
Dolgoruki, dem Deputirten des geheimen hohen Raths und Leontjew, dem
Bevollmächtigten der Generalität und Garde, die Herzogin, spätere Kaiserin
zur Annahme der ihr gestellten Bedingungen zu bewegen und diese Be¬
dingungen als Ausdruck des Volkswillens zu bezeichnen. Fick -- so heißt
es in Gadebusch's erwähnter Handschrift -- soll darnach gestrebt haben,
bei dem geheimen hohen Rath eine "wichtige Person vorzustellen" und zu
diesem Zwecke Galyzin "Anschläge gegeben haben, das neue System zu be-


Peter II. in das Grab sank, das der 14jährige Knabe sich durch seine Zügel-
losigkeit gegraben, traten diese Führer des malcontenten hohen Adels mit
ihrem Programm hervor.

Dieses Programm war die Beschränkung der absoluten Zaarengewalt durch
einen aus acht hohen Würdenträgern zusammengesetzten „geheimen Rath",
ohne dessen Zustimmung kein Geld verausgabt, kein Vertrag geschlossen, keine
Beförderung vorgenommen werden sollte. Der sächsische Legationsrath Lefort
und Mannstein berichten übereinstimmend, daß man dabei schwedische Ein¬
richtungen zum Muster genommen, und wir wissen bereits, wer das „moäöls
8ur leg Lueäois", das die Russen sich vorgesteckt, mitgebracht hatte — der
inzwischen zum Vicepräsidenten des Commerzeollegiums beförderte Kammer¬
rath v. Fick. Ob Fick gerade jene „acht Punkte", die die Kaiserin Anna im
Januar 1730 zu Mitau unterschrieb (um sie fünf Wochen später zu zerreißen
und ihren Urhebern vor die Füße zu werfen) aufgesetzt hat, wissen wir nicht,
und er selbst hat sich gehütet, jemals darüber Aufschluß zu geben, vielmehr
über sein Verhalten ein ebenso discretes Schweigen beobachtet, wie über die
Untersuchung, welche ihn nach dem Sturz seiner Freunde traf; der erfahrene
Hofmann mochte wissen, daß Staatsgeheimnisse dieser Art nicht für das Volk
bestimmt seien, in dessen Namen man doch zu handeln vorgab — von seiner
directen Betheiligung zeugt Mannstein. Nach dem Sturz der umdenSchwie-
gersohn Peters, den Herzog Karl Friedrich von Holstein, gruppirten holsteinfchen
Partei, mit der er es Anfangs gehalten, war Fick in das Dolgorukische Lager
übergegangen, namentlich mit dem Fürsten Dimitri Michailowitsch Galyzin, einem
der Häupter dieser stolzen Oligarchie, in nahe Beziehung getreten und diesem als
Rathgeber an die Hand gegangen. Die Zeitgenossen maßen ihm eine wichtige
Rolle bei den Plänen zu, die dieser einflußreiche Mann (er war Senator,
Geheimer Rath und Bruder des Generalfeldmarschalls) zur Ausführung brachte;
der Fürst war nämlich nicht nur einer der Urheber der „acht Punkte", welche
die Souverainität Anna's einschränken sollten, sondern er hatte diese Fürstin
in Vorschlag gebracht, als über die Besetzung des erledigten Throns verhan¬
delt und Anfangs Katharina Dolgoruki, die Braut des eben verstorbenen
Kaisers, als Candidaten aufgestellt worden war. Dann war Galyzin als
Vertreter des Senats nach Mitau gereist, um in Gemeinschaft mit Wassili
Dolgoruki, dem Deputirten des geheimen hohen Raths und Leontjew, dem
Bevollmächtigten der Generalität und Garde, die Herzogin, spätere Kaiserin
zur Annahme der ihr gestellten Bedingungen zu bewegen und diese Be¬
dingungen als Ausdruck des Volkswillens zu bezeichnen. Fick — so heißt
es in Gadebusch's erwähnter Handschrift — soll darnach gestrebt haben,
bei dem geheimen hohen Rath eine „wichtige Person vorzustellen" und zu
diesem Zwecke Galyzin „Anschläge gegeben haben, das neue System zu be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/445>, abgerufen am 04.07.2024.