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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Aeußerungen wie die obigen als unchristliche und schändliche verdammen zu
hören -- das läßt sich eben nur fühlen, nicht beschreiben.

Eine förmliche Beklemmung bemächtigte sich des Publikums, und selbst
der Gerichtshof konnte sich eines ähnlichen Gefühls nicht erwehren. Nach
einer sehr milde gehaltenen Anklagerede und einer sehr geschickten Vertheidi¬
gung wurde zwar Seitens des Gerichts das Urtheil ausgesetzt, aber das
Publicum hatte sein Verdammungsurtheil bereits mit Einstimmigkeit fertig.

Jetzt ist nun auch das gerichtliche Erkenntniß dem öffentlichen Urtheil
nachgefolgt und Pastor S. zu 2 Monaten, die übrigen Betheiligten zu 4--6
Wochen Gefängniß verurtheilt worden.

Allgemein ist jetzt die Frage, wie das Consistorium sich zu seinem gericht¬
lich verurtheilten Glaubensbrüder stellen wird.




Correspondenz aus Baden.

Die Wogen des Parteikampfes sind während dieses Monats im Lande Baden
höher als gewöhnlich gegangen. Unsere Gegner boten alle ihnen zu Gebote
stehenden Kräfte auf. In Freiburg scheint man. berauscht durch den glück¬
lichen Ausgang des Processes Kübel, sogar einige Zeit der Hoffnung gelebt
zu haben, in einem erneuten Anlaufe und durch verdoppeltes Geschrei einen
Umschwung in den höchsten Kreisen der Regierung hervorzubringen. Der
Erfolg ist aber, wie schon jetzt feststeht, ein höchst unerwarteter gewesen und
die Stellung des Ministeriums Jolly heute zweifellos weit fester, als vor
vier Wochen. Eröffnet wurde der Angriff durch einen von allen Führern
der ultramontanen Partei unterzeichneten Aufruf an das badische Volk, wel-
cher die alten Klagen über Knechtung der katholischen Kirche, Ueberlastung
des Landes und Beeinträchtigung der freiheitlichen Institutionen Badens
wiederholte. Freie Lebensluft für die Kirche, gleiches Recht für Alle, volle
Selbständigkeit der Kirche in der Verwaltung ihres Vermögens und der Be¬
setzung kirchlicher Aemter, allgemeine Vereinsfreiheit -- behufs der Errichtung
von Klöstern -- entschiedene Schulfreiheit, -- im Gegensatze zu den welt¬
lichen Schulen des Staates -- "mit diesen Grundsätzen allein wird die Ge¬
wissensfreiheit gewahrt, ächte Toleranz geübt und der confessionelle Friede
wieder hergestellt"! Wer Gewissensfreiheit, Toleranz und confessionellen Frie¬
den auf der Fahne begeisterter Anhänger des Syllabus und der Encyclica


Aeußerungen wie die obigen als unchristliche und schändliche verdammen zu
hören — das läßt sich eben nur fühlen, nicht beschreiben.

Eine förmliche Beklemmung bemächtigte sich des Publikums, und selbst
der Gerichtshof konnte sich eines ähnlichen Gefühls nicht erwehren. Nach
einer sehr milde gehaltenen Anklagerede und einer sehr geschickten Vertheidi¬
gung wurde zwar Seitens des Gerichts das Urtheil ausgesetzt, aber das
Publicum hatte sein Verdammungsurtheil bereits mit Einstimmigkeit fertig.

Jetzt ist nun auch das gerichtliche Erkenntniß dem öffentlichen Urtheil
nachgefolgt und Pastor S. zu 2 Monaten, die übrigen Betheiligten zu 4—6
Wochen Gefängniß verurtheilt worden.

Allgemein ist jetzt die Frage, wie das Consistorium sich zu seinem gericht¬
lich verurtheilten Glaubensbrüder stellen wird.




Correspondenz aus Baden.

Die Wogen des Parteikampfes sind während dieses Monats im Lande Baden
höher als gewöhnlich gegangen. Unsere Gegner boten alle ihnen zu Gebote
stehenden Kräfte auf. In Freiburg scheint man. berauscht durch den glück¬
lichen Ausgang des Processes Kübel, sogar einige Zeit der Hoffnung gelebt
zu haben, in einem erneuten Anlaufe und durch verdoppeltes Geschrei einen
Umschwung in den höchsten Kreisen der Regierung hervorzubringen. Der
Erfolg ist aber, wie schon jetzt feststeht, ein höchst unerwarteter gewesen und
die Stellung des Ministeriums Jolly heute zweifellos weit fester, als vor
vier Wochen. Eröffnet wurde der Angriff durch einen von allen Führern
der ultramontanen Partei unterzeichneten Aufruf an das badische Volk, wel-
cher die alten Klagen über Knechtung der katholischen Kirche, Ueberlastung
des Landes und Beeinträchtigung der freiheitlichen Institutionen Badens
wiederholte. Freie Lebensluft für die Kirche, gleiches Recht für Alle, volle
Selbständigkeit der Kirche in der Verwaltung ihres Vermögens und der Be¬
setzung kirchlicher Aemter, allgemeine Vereinsfreiheit — behufs der Errichtung
von Klöstern — entschiedene Schulfreiheit, — im Gegensatze zu den welt¬
lichen Schulen des Staates — „mit diesen Grundsätzen allein wird die Ge¬
wissensfreiheit gewahrt, ächte Toleranz geübt und der confessionelle Friede
wieder hergestellt"! Wer Gewissensfreiheit, Toleranz und confessionellen Frie¬
den auf der Fahne begeisterter Anhänger des Syllabus und der Encyclica


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/432>, abgerufen am 04.07.2024.