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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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die Synode zu bringen, waren doch auch unter den Geistlichen die Ge¬
mäßigten überwiegend, war doch der vor Kurzem erst ins Amt getretene Cultus¬
minister Lichtenberg ein M>inn, welcher der allgemeinsten Achtung und des
größten persönlichen Vertrauens bei allen Parteien genoßI So begannen
die Verhandlungen, von der regsten Theilnahme des ganzen Landes begleitet,
und wenn auch mancher heiße Kampf ausgefochten wurde, so krönte doch
schließlich der glückliche Erfolg das Werk, daß das neue Gesetz in der Schlu߬
abstimmung von der Versammlung einstimmig angenommen wurde.

Eine gewisse freudige Ruhe kam in die Gemüther, welche des Haders
müde waren und reichen Segen für das kirchliche Gemeindeleben von dem
neuen Gesetz hofften. Ader dieses Gesetz bedürfte zunächst noch der Genehmi¬
gung der Stände, welche zwar ziemlich anstandslos erfolgte, indeß die Pu-
blicarion des Gesetzes in unerwünschter Weise aufhielt. Auch nachher zögerte
die Regierung, um die noch immer erregte kirchliche Bewegung erst zur völligen
Beruhigung gelangen zu lassen, mit der Publication und erst im October
1864 erfolgte dieselbe, bereits ziemlich unbeachtet.

Inzwischen hatte die orthodoxe Geistlichkeit die ihr gelassene Zeit gut
benutzt und sich bereits die nöthigen Hebel ausersehen, um der neuen Kirchen¬
vorstands- und Synodalordnung ihre Wirksamkeit zunehmen. Vieler Orten,
namentlich auf dem Lande, hatte die alte Indolenz so weit Platz gegriffen,
daß der Geistliche die Wahl der Kirchenvorsteher beherrschte. Wo aber noch
Unabhängigkeitssinn genug herrschte, um frei denkende Personen bei den
Wahlen durchzubringen, da protestirten die Geistlichen regelmäßig gegen die
Zulassung der Gewählten auf Grund von §. 13 des neuen Gesetzes, wonach
wädlbar nur diejenigen Personen sein sollen, "welche als ehrbare gottes-
fürchtige Männer ein gutes Gerücht in der Gemeinde haben, auch nicht
durch Fernhaltung vom öffentlichen Gottesdienste oder heiligen Abendmahl
die Bethätigung ihrer kirchlichen Gemeinschaft vernachlässigen." -- Diese un¬
bestimmten und dehnbaren Worte wurden nach Kräften ausgenutzt. Wer
seit Jahresfrist nicht zum Abendmahl gegangen war. wurde vom Kirchen-
Vorstande ausgeschlossen; wer nur selten die Kirche besuchte, wer jemals
nach Auffassung der Orthodoxen gegen christliche Glaubenssätze verstoßende
Aeußerungen gethan hatte, wurde als nicht gottesfürchtig oder nickt ehrbar
von dem Posten zurückgewiesen, auf den ihn das Vertrauen seiner Gemeinde¬
genossen berufen. Uns sind der Fälle genug bekannt, wo über zum Kirchen-
Vorsteheramt gewählte hochangesehene Leute auf Anregung des Ortsgeistlichen
vollständige Glaubens- und Sittengerichte Seitens der zur Entscheidung zu¬
ständigen Consistorien gehalten wurden. Ohne Angabe von Gründen wurden
eine Menge Gewählter einfach für unfähig zur Bekleidung des Kirchenvor-
steheramts erklärt. Bei solcher Handhabung des Gesetzes, gegen die der


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die Synode zu bringen, waren doch auch unter den Geistlichen die Ge¬
mäßigten überwiegend, war doch der vor Kurzem erst ins Amt getretene Cultus¬
minister Lichtenberg ein M>inn, welcher der allgemeinsten Achtung und des
größten persönlichen Vertrauens bei allen Parteien genoßI So begannen
die Verhandlungen, von der regsten Theilnahme des ganzen Landes begleitet,
und wenn auch mancher heiße Kampf ausgefochten wurde, so krönte doch
schließlich der glückliche Erfolg das Werk, daß das neue Gesetz in der Schlu߬
abstimmung von der Versammlung einstimmig angenommen wurde.

Eine gewisse freudige Ruhe kam in die Gemüther, welche des Haders
müde waren und reichen Segen für das kirchliche Gemeindeleben von dem
neuen Gesetz hofften. Ader dieses Gesetz bedürfte zunächst noch der Genehmi¬
gung der Stände, welche zwar ziemlich anstandslos erfolgte, indeß die Pu-
blicarion des Gesetzes in unerwünschter Weise aufhielt. Auch nachher zögerte
die Regierung, um die noch immer erregte kirchliche Bewegung erst zur völligen
Beruhigung gelangen zu lassen, mit der Publication und erst im October
1864 erfolgte dieselbe, bereits ziemlich unbeachtet.

Inzwischen hatte die orthodoxe Geistlichkeit die ihr gelassene Zeit gut
benutzt und sich bereits die nöthigen Hebel ausersehen, um der neuen Kirchen¬
vorstands- und Synodalordnung ihre Wirksamkeit zunehmen. Vieler Orten,
namentlich auf dem Lande, hatte die alte Indolenz so weit Platz gegriffen,
daß der Geistliche die Wahl der Kirchenvorsteher beherrschte. Wo aber noch
Unabhängigkeitssinn genug herrschte, um frei denkende Personen bei den
Wahlen durchzubringen, da protestirten die Geistlichen regelmäßig gegen die
Zulassung der Gewählten auf Grund von §. 13 des neuen Gesetzes, wonach
wädlbar nur diejenigen Personen sein sollen, „welche als ehrbare gottes-
fürchtige Männer ein gutes Gerücht in der Gemeinde haben, auch nicht
durch Fernhaltung vom öffentlichen Gottesdienste oder heiligen Abendmahl
die Bethätigung ihrer kirchlichen Gemeinschaft vernachlässigen." — Diese un¬
bestimmten und dehnbaren Worte wurden nach Kräften ausgenutzt. Wer
seit Jahresfrist nicht zum Abendmahl gegangen war. wurde vom Kirchen-
Vorstande ausgeschlossen; wer nur selten die Kirche besuchte, wer jemals
nach Auffassung der Orthodoxen gegen christliche Glaubenssätze verstoßende
Aeußerungen gethan hatte, wurde als nicht gottesfürchtig oder nickt ehrbar
von dem Posten zurückgewiesen, auf den ihn das Vertrauen seiner Gemeinde¬
genossen berufen. Uns sind der Fälle genug bekannt, wo über zum Kirchen-
Vorsteheramt gewählte hochangesehene Leute auf Anregung des Ortsgeistlichen
vollständige Glaubens- und Sittengerichte Seitens der zur Entscheidung zu¬
ständigen Consistorien gehalten wurden. Ohne Angabe von Gründen wurden
eine Menge Gewählter einfach für unfähig zur Bekleidung des Kirchenvor-
steheramts erklärt. Bei solcher Handhabung des Gesetzes, gegen die der


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[0417] die Synode zu bringen, waren doch auch unter den Geistlichen die Ge¬ mäßigten überwiegend, war doch der vor Kurzem erst ins Amt getretene Cultus¬ minister Lichtenberg ein M>inn, welcher der allgemeinsten Achtung und des größten persönlichen Vertrauens bei allen Parteien genoßI So begannen die Verhandlungen, von der regsten Theilnahme des ganzen Landes begleitet, und wenn auch mancher heiße Kampf ausgefochten wurde, so krönte doch schließlich der glückliche Erfolg das Werk, daß das neue Gesetz in der Schlu߬ abstimmung von der Versammlung einstimmig angenommen wurde. Eine gewisse freudige Ruhe kam in die Gemüther, welche des Haders müde waren und reichen Segen für das kirchliche Gemeindeleben von dem neuen Gesetz hofften. Ader dieses Gesetz bedürfte zunächst noch der Genehmi¬ gung der Stände, welche zwar ziemlich anstandslos erfolgte, indeß die Pu- blicarion des Gesetzes in unerwünschter Weise aufhielt. Auch nachher zögerte die Regierung, um die noch immer erregte kirchliche Bewegung erst zur völligen Beruhigung gelangen zu lassen, mit der Publication und erst im October 1864 erfolgte dieselbe, bereits ziemlich unbeachtet. Inzwischen hatte die orthodoxe Geistlichkeit die ihr gelassene Zeit gut benutzt und sich bereits die nöthigen Hebel ausersehen, um der neuen Kirchen¬ vorstands- und Synodalordnung ihre Wirksamkeit zunehmen. Vieler Orten, namentlich auf dem Lande, hatte die alte Indolenz so weit Platz gegriffen, daß der Geistliche die Wahl der Kirchenvorsteher beherrschte. Wo aber noch Unabhängigkeitssinn genug herrschte, um frei denkende Personen bei den Wahlen durchzubringen, da protestirten die Geistlichen regelmäßig gegen die Zulassung der Gewählten auf Grund von §. 13 des neuen Gesetzes, wonach wädlbar nur diejenigen Personen sein sollen, „welche als ehrbare gottes- fürchtige Männer ein gutes Gerücht in der Gemeinde haben, auch nicht durch Fernhaltung vom öffentlichen Gottesdienste oder heiligen Abendmahl die Bethätigung ihrer kirchlichen Gemeinschaft vernachlässigen." — Diese un¬ bestimmten und dehnbaren Worte wurden nach Kräften ausgenutzt. Wer seit Jahresfrist nicht zum Abendmahl gegangen war. wurde vom Kirchen- Vorstande ausgeschlossen; wer nur selten die Kirche besuchte, wer jemals nach Auffassung der Orthodoxen gegen christliche Glaubenssätze verstoßende Aeußerungen gethan hatte, wurde als nicht gottesfürchtig oder nickt ehrbar von dem Posten zurückgewiesen, auf den ihn das Vertrauen seiner Gemeinde¬ genossen berufen. Uns sind der Fälle genug bekannt, wo über zum Kirchen- Vorsteheramt gewählte hochangesehene Leute auf Anregung des Ortsgeistlichen vollständige Glaubens- und Sittengerichte Seitens der zur Entscheidung zu¬ ständigen Consistorien gehalten wurden. Ohne Angabe von Gründen wurden eine Menge Gewählter einfach für unfähig zur Bekleidung des Kirchenvor- steheramts erklärt. Bei solcher Handhabung des Gesetzes, gegen die der Grenzboten II. I8K9. . 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/417>, abgerufen am 24.07.2024.