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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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gnügen müde und matt zu Hetzen, dem man eine politische Corruption in Zu¬
sammensetzung der richterlichen Spruchcollegien zutraut, wird wahrlich nicht
davor zurückbeben, auch für politische Schwurgerichtsprocesse d>le Dienstliste
der Geschworenen so zu componiren, daß nur der Negierung angenehme und
ergebene Leute politisch wahrsprechen. Die Mittel dazu sind ihr durch un.
fere continentale Schwurgerichtsverfassung überall reichlich in die Hand ge¬
geben, und bei dem Mangel aller Organe des Selfgovernments besteht
nirgend ein organisches Hinderniß, diesen legitimen Einfluß der Regierung
zu beseitigen. So ist die nächste und gewisseste Konsequenz der Verweisung
der politischen Vergehen vor die Geschworenen nur der Anreiz zu einer wei¬
teren widerwärtigen Verfälschung des Instituts.

Geht man aber auch von der günstigsten Situation aus, in. welcher die
Regierung einen Einfluß auf die Zusammensetzung der Jury im gouverne-
mentalen Sinne nicht ausüben kann oder will -- nun wohl! dann werden
die Geschwornen der Regel nach der politischen Majorität angehören, jeden¬
falls unter dem Einfluß der von der Majorität beherrschten öffentlichen
Meinung stehen. Dann werden die Anhänger der Majorität allerdings vor
jeder ungerechten, wie vor jeder gerechten Verurtheilung durch solche Ge¬
schworene geschützt sein, die Anhänger der Minorität aber ebenso sicher weder
auf Recht, noch auf Gnade zu rechnen haben. Unsere heutigen Geschworenen
können nach der Art ihrer willkürlichen Zusammensetzung und Wirksamkeit,
nach den populairen Strömungen des Tages, die, den ernsten nüchternen Auf¬
gaben des verantwortlichen Urtheilfindens feindlich, nur das Spiel politischer
Debatten und Abstimmungen in die Gerichtssäle hineinzutragen bemüht sind,
allenfalls politische Wohlfahrtsausschusse abgeben -- oder die Caricatur von
solchen. Recht und Gerechtigkeit wird in diesen politischen Schwurgerichten
niemals zu Gericht sitzen, immer und grundsätzlich wird der politische Partei¬
geist in leidenschaftlicher oder gemäßigter Form, in unverhüllter oder mas-
kirter Gestalt über dem Ganzen thronen.

Die Jury in Deutschland endlich so zu begründen, daß sie sich als
organisches Glied mindestens in die gesamwte Strafgerichtsverfassung einreiht,
daß sie geschickt und fähig sei, in der Untersuchung aller Verbrechen und
Vergehen, seien sie politischer oder unpolitischer Natur, ihr volles Amt aus¬
zuüben, ist ein Ziel, das des ernstesten und wärmsten Strebens werth ist.
Dies große Ziel wird in die Ferne gerückt durch jenes trügerische Geschenk
der sogenannten politischen Processe, das man unseren Schwurgerichten <zun.nä-
mLwe in den Schooß werfen will. Hüten wir uns davor, muthwillig die
Nerven des Volks frühzeitig abzustumpfen an dem sinnlich aufreizenden Kitzel
politischer Gerichtsverhandlungen, seine Vorstellungen zu verwirren, Geschmack
und Willen für den mühevollen Dienst der echten deutschen Gemeindesreibeit


gnügen müde und matt zu Hetzen, dem man eine politische Corruption in Zu¬
sammensetzung der richterlichen Spruchcollegien zutraut, wird wahrlich nicht
davor zurückbeben, auch für politische Schwurgerichtsprocesse d>le Dienstliste
der Geschworenen so zu componiren, daß nur der Negierung angenehme und
ergebene Leute politisch wahrsprechen. Die Mittel dazu sind ihr durch un.
fere continentale Schwurgerichtsverfassung überall reichlich in die Hand ge¬
geben, und bei dem Mangel aller Organe des Selfgovernments besteht
nirgend ein organisches Hinderniß, diesen legitimen Einfluß der Regierung
zu beseitigen. So ist die nächste und gewisseste Konsequenz der Verweisung
der politischen Vergehen vor die Geschworenen nur der Anreiz zu einer wei¬
teren widerwärtigen Verfälschung des Instituts.

Geht man aber auch von der günstigsten Situation aus, in. welcher die
Regierung einen Einfluß auf die Zusammensetzung der Jury im gouverne-
mentalen Sinne nicht ausüben kann oder will — nun wohl! dann werden
die Geschwornen der Regel nach der politischen Majorität angehören, jeden¬
falls unter dem Einfluß der von der Majorität beherrschten öffentlichen
Meinung stehen. Dann werden die Anhänger der Majorität allerdings vor
jeder ungerechten, wie vor jeder gerechten Verurtheilung durch solche Ge¬
schworene geschützt sein, die Anhänger der Minorität aber ebenso sicher weder
auf Recht, noch auf Gnade zu rechnen haben. Unsere heutigen Geschworenen
können nach der Art ihrer willkürlichen Zusammensetzung und Wirksamkeit,
nach den populairen Strömungen des Tages, die, den ernsten nüchternen Auf¬
gaben des verantwortlichen Urtheilfindens feindlich, nur das Spiel politischer
Debatten und Abstimmungen in die Gerichtssäle hineinzutragen bemüht sind,
allenfalls politische Wohlfahrtsausschusse abgeben — oder die Caricatur von
solchen. Recht und Gerechtigkeit wird in diesen politischen Schwurgerichten
niemals zu Gericht sitzen, immer und grundsätzlich wird der politische Partei¬
geist in leidenschaftlicher oder gemäßigter Form, in unverhüllter oder mas-
kirter Gestalt über dem Ganzen thronen.

Die Jury in Deutschland endlich so zu begründen, daß sie sich als
organisches Glied mindestens in die gesamwte Strafgerichtsverfassung einreiht,
daß sie geschickt und fähig sei, in der Untersuchung aller Verbrechen und
Vergehen, seien sie politischer oder unpolitischer Natur, ihr volles Amt aus¬
zuüben, ist ein Ziel, das des ernstesten und wärmsten Strebens werth ist.
Dies große Ziel wird in die Ferne gerückt durch jenes trügerische Geschenk
der sogenannten politischen Processe, das man unseren Schwurgerichten <zun.nä-
mLwe in den Schooß werfen will. Hüten wir uns davor, muthwillig die
Nerven des Volks frühzeitig abzustumpfen an dem sinnlich aufreizenden Kitzel
politischer Gerichtsverhandlungen, seine Vorstellungen zu verwirren, Geschmack
und Willen für den mühevollen Dienst der echten deutschen Gemeindesreibeit


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[0415] gnügen müde und matt zu Hetzen, dem man eine politische Corruption in Zu¬ sammensetzung der richterlichen Spruchcollegien zutraut, wird wahrlich nicht davor zurückbeben, auch für politische Schwurgerichtsprocesse d>le Dienstliste der Geschworenen so zu componiren, daß nur der Negierung angenehme und ergebene Leute politisch wahrsprechen. Die Mittel dazu sind ihr durch un. fere continentale Schwurgerichtsverfassung überall reichlich in die Hand ge¬ geben, und bei dem Mangel aller Organe des Selfgovernments besteht nirgend ein organisches Hinderniß, diesen legitimen Einfluß der Regierung zu beseitigen. So ist die nächste und gewisseste Konsequenz der Verweisung der politischen Vergehen vor die Geschworenen nur der Anreiz zu einer wei¬ teren widerwärtigen Verfälschung des Instituts. Geht man aber auch von der günstigsten Situation aus, in. welcher die Regierung einen Einfluß auf die Zusammensetzung der Jury im gouverne- mentalen Sinne nicht ausüben kann oder will — nun wohl! dann werden die Geschwornen der Regel nach der politischen Majorität angehören, jeden¬ falls unter dem Einfluß der von der Majorität beherrschten öffentlichen Meinung stehen. Dann werden die Anhänger der Majorität allerdings vor jeder ungerechten, wie vor jeder gerechten Verurtheilung durch solche Ge¬ schworene geschützt sein, die Anhänger der Minorität aber ebenso sicher weder auf Recht, noch auf Gnade zu rechnen haben. Unsere heutigen Geschworenen können nach der Art ihrer willkürlichen Zusammensetzung und Wirksamkeit, nach den populairen Strömungen des Tages, die, den ernsten nüchternen Auf¬ gaben des verantwortlichen Urtheilfindens feindlich, nur das Spiel politischer Debatten und Abstimmungen in die Gerichtssäle hineinzutragen bemüht sind, allenfalls politische Wohlfahrtsausschusse abgeben — oder die Caricatur von solchen. Recht und Gerechtigkeit wird in diesen politischen Schwurgerichten niemals zu Gericht sitzen, immer und grundsätzlich wird der politische Partei¬ geist in leidenschaftlicher oder gemäßigter Form, in unverhüllter oder mas- kirter Gestalt über dem Ganzen thronen. Die Jury in Deutschland endlich so zu begründen, daß sie sich als organisches Glied mindestens in die gesamwte Strafgerichtsverfassung einreiht, daß sie geschickt und fähig sei, in der Untersuchung aller Verbrechen und Vergehen, seien sie politischer oder unpolitischer Natur, ihr volles Amt aus¬ zuüben, ist ein Ziel, das des ernstesten und wärmsten Strebens werth ist. Dies große Ziel wird in die Ferne gerückt durch jenes trügerische Geschenk der sogenannten politischen Processe, das man unseren Schwurgerichten <zun.nä- mLwe in den Schooß werfen will. Hüten wir uns davor, muthwillig die Nerven des Volks frühzeitig abzustumpfen an dem sinnlich aufreizenden Kitzel politischer Gerichtsverhandlungen, seine Vorstellungen zu verwirren, Geschmack und Willen für den mühevollen Dienst der echten deutschen Gemeindesreibeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/415>, abgerufen am 24.07.2024.