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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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nur eine Staffel zur Kammer sein solle, aber wenn er sich dort gemäßigter
zeigen sollte, so ist er doch sicher nicht darauf hin gewählt. Bancel, der
Verbannte von 1851, der in Brüssel einen Toast auf die Niederlage der
französischen Armee in der Krimm ausgebracht, und der nie praktisch etwas
geleistet, schlägt Ollivier mit 10,000 Stimmen Mehrheit auf 36,000, weil
Letzterer die Möglichkeit der Versöhnung der Freiheit mit dem Kaiserthum
repräsentirt. Endlich Rochefort, vor einem Jahre nur noch als ein ruinirter
Spieler bekannt, wird gewählt, blos weil er das Kaiserthum mit blutiger
Satire angegriffen. An diese Pariser Wahlen schließen sich noch einige
gleichartige große Städte, wie die Gambetta's in Marseille. Raspails in
Lyon u. s. w.

Es ist eine große Lehre für den Kaiser! Seit 17 Jahren verhätschelt
er Paris; den Arbeitern wurde kostspieliges Brod und Schauspiele gegeben,
Ausstellungen, Bauten, Creditvereine wurden zu ihren Gunsten organisirt, als
eapwtio bonsvolentläe sür die Wahlen die Dienstbücher mit Geräusch abge¬
schafft -- und das Resultat ist. daß Paris Candidaten wählt, welche keinen
Kompromiß mit der kaiserlichen Regierung zu schließen versprechen, während
die stiefmütterlich behandelten Bauern seinen Thron in geschlossenen Reihen
stützen. Aber auch eine allgemeine politische Lehre giebt diese doppelte Er¬
scheinung; sie bestätigt, daß das allgemeine Srimmrecht, wo es nicht unter
dem Eindruck großer nationaler Ereignisse steht, den Extremen das Ueber¬
gewicht giebt, es ist je nachdem servil oder revolutionär, nur ausnahms¬
weise liberal, es ist den Ultramontanen wie den Radicalen genehm, weil die
Intelligenz der Mittelclassen durch die Massen erdrückt wird.

Was wird nun der Kaiser thun? fragt man sich. Die Antwort darauf
ist nicht ganz leicht. Wahrscheinlich wird jener Sieg der Unversöhnlichen
einer weiten Krönung des Gebäudes nicht günstig sein und es wird Ollivier
nichts geholfen haben, daß er sich unter die Flügel der Regierung hat nehmen
lassen. Ein Candidat, welcher in seinem bisherigen Wahlkreise durchge¬
fallen ist, bringt dem Kaiser kein neues Element der Stärke und andererseits
kann er nach seinem Glaubensbekenntniß nicht anständigerweise ein Minister-
Portefeuille annehmen, wenn der Kaiser nicht die Concessionen macht, welche
er als Minimum verlangt: Ministerverantwortlichkeit, Rückgängigmachung
der Armeereform, volle Vereins- und Preßfreiheit. Daran aber ist in der gegen¬
wärtigen Situation nicht zu denken und so wird der principlose aber routi-
nirte praktische Rouher wohl das Feld gegen seinen ideenreicheren, aber auch
ideologischen und eiteln Nebenbuhler behaupten.

Andererseits wird der Kaiser sich doch genöthigt sehen, die bisherige
Politik der persönlichen Regierung zu modificiren. Es ist wahr, er hat eine
überwältigende Majorität, die sich bei den Nachwahlen noch steigern wird.


nur eine Staffel zur Kammer sein solle, aber wenn er sich dort gemäßigter
zeigen sollte, so ist er doch sicher nicht darauf hin gewählt. Bancel, der
Verbannte von 1851, der in Brüssel einen Toast auf die Niederlage der
französischen Armee in der Krimm ausgebracht, und der nie praktisch etwas
geleistet, schlägt Ollivier mit 10,000 Stimmen Mehrheit auf 36,000, weil
Letzterer die Möglichkeit der Versöhnung der Freiheit mit dem Kaiserthum
repräsentirt. Endlich Rochefort, vor einem Jahre nur noch als ein ruinirter
Spieler bekannt, wird gewählt, blos weil er das Kaiserthum mit blutiger
Satire angegriffen. An diese Pariser Wahlen schließen sich noch einige
gleichartige große Städte, wie die Gambetta's in Marseille. Raspails in
Lyon u. s. w.

Es ist eine große Lehre für den Kaiser! Seit 17 Jahren verhätschelt
er Paris; den Arbeitern wurde kostspieliges Brod und Schauspiele gegeben,
Ausstellungen, Bauten, Creditvereine wurden zu ihren Gunsten organisirt, als
eapwtio bonsvolentläe sür die Wahlen die Dienstbücher mit Geräusch abge¬
schafft — und das Resultat ist. daß Paris Candidaten wählt, welche keinen
Kompromiß mit der kaiserlichen Regierung zu schließen versprechen, während
die stiefmütterlich behandelten Bauern seinen Thron in geschlossenen Reihen
stützen. Aber auch eine allgemeine politische Lehre giebt diese doppelte Er¬
scheinung; sie bestätigt, daß das allgemeine Srimmrecht, wo es nicht unter
dem Eindruck großer nationaler Ereignisse steht, den Extremen das Ueber¬
gewicht giebt, es ist je nachdem servil oder revolutionär, nur ausnahms¬
weise liberal, es ist den Ultramontanen wie den Radicalen genehm, weil die
Intelligenz der Mittelclassen durch die Massen erdrückt wird.

Was wird nun der Kaiser thun? fragt man sich. Die Antwort darauf
ist nicht ganz leicht. Wahrscheinlich wird jener Sieg der Unversöhnlichen
einer weiten Krönung des Gebäudes nicht günstig sein und es wird Ollivier
nichts geholfen haben, daß er sich unter die Flügel der Regierung hat nehmen
lassen. Ein Candidat, welcher in seinem bisherigen Wahlkreise durchge¬
fallen ist, bringt dem Kaiser kein neues Element der Stärke und andererseits
kann er nach seinem Glaubensbekenntniß nicht anständigerweise ein Minister-
Portefeuille annehmen, wenn der Kaiser nicht die Concessionen macht, welche
er als Minimum verlangt: Ministerverantwortlichkeit, Rückgängigmachung
der Armeereform, volle Vereins- und Preßfreiheit. Daran aber ist in der gegen¬
wärtigen Situation nicht zu denken und so wird der principlose aber routi-
nirte praktische Rouher wohl das Feld gegen seinen ideenreicheren, aber auch
ideologischen und eiteln Nebenbuhler behaupten.

Andererseits wird der Kaiser sich doch genöthigt sehen, die bisherige
Politik der persönlichen Regierung zu modificiren. Es ist wahr, er hat eine
überwältigende Majorität, die sich bei den Nachwahlen noch steigern wird.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/381>, abgerufen am 24.07.2024.