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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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mit Glanz durchgefallen, obwohl sie alle Männer von Geburt und Vermögen
und von Ansehen in ihren Departements sind; von der jüngern Generation hat
Prevost-Paradol, der glänzendste und tüchtigste politische Schriftsteller, dessen
Feder wie keine in den Tuilerien gefürchtet wird, nur 19S9 Stimmen aus
31,000 erhalten, Cornelis de Witt noch weniger, obwohl sein Schwieger¬
vater Guizot in seinem Bezirk von Lisieux Alles für ihn ausbot. Diese
Männer sind allmächtig in der französischen Akademie, aber das literarische
Frankreich findet beim allgemeinen Stimmrecht kaum Würdigung. Von allen
Orleanisten wird schließlich nur Thiers in der neuen Versammlung sitzen und
auch er nur nach einer ersten empfindlichen Niederlage. Er, der gefährlichste
Gegner des Kaiserthums, dessen beredten Worten Europa lauschte, wenn er
das Unheil der Persönlichen Regierung beleuchtete, sieht sich von einem fast
unbekannten Manne geschlagen und muß suchen sich bei den Nachwahlen
einen Platz zu erobern. Alles das zeigt, wie wenig bloße parlamentarische
Begabung bei der Masse des allgemeinen Stimmrechts in die Waagschale fällt;
die Tribünen waren gedrängt voll, wenn Thiers sprach, die Massen lasen
seine meisterhaften Exposes nicht. Außerdem aber kommt allerdings in Be¬
tracht, daß trotz aller glänzenden Gaben Thiers' Gesichtskreis ein enger ist;
er versteht seine Zeit nicht, er ist nicht über die Fragen hinausgekommen, in
denen die Julimonarchie sich bewegte. Seine Auffassung der auswärtigen
Politik, sein Protectionismus sind veraltet, sein Tadel gegen den italienischen
Krieg oder die mexikanische Expedition mag noch so begründet sein, es liegt
in den Unternehmungen des Kaisers doch etwas Großartigeres, etwas, was
die nationale Ader des Volkes mehr vibriren macht, als die kleinen Schach¬
züge der Juliministerien thaten, da man sich um Mehemed-Ali und Mr.
Pritchard stritt.

Von den Legitimisten war bei den Wahlen kaum die Rede, aber auch
die gemäßigten Republikaner sind übel weggekommen. Picard, Pelletan und
Jules Simon haben nur gesiegt, weil ihnen kein radical socialistischer Can-
didat entgegenstand, dagegen sind nicht nur Ollivier, sondern auch Garnier-
Page,s, Marie, Carnot und sogar Jules Favre geschlagen, weil sie den
Pariser Wählern zu zahm erschienen! Und doch haben, Alle ohne Wanken
dem alleinseligmachenden Glauben der französischen Demokratie gedient, haben
Alle hervorragende Rollen unter der Republik von 1848 gespielt, sind sie nach
dem Staatsstreich verfolgt worden und haben sie sich in der Kammer als uner¬
bittliche und begabte Feinde der Willkürherrschaft gezeigt. An ihrer Stelle wählt
die Hauptstadt Gambetta, Bancel, Rochefort! Ersterer war bis zu seinem
famosen Plaidoyer in der Baudin-Sache ganz unbekannt, aber er verpflichtete
sich das noch unbekannte Programm anzunehmen, welches das demokratisch¬
socialistische Comiti aufstellen würde! Man sagt, daß ihm der Radicalismus


mit Glanz durchgefallen, obwohl sie alle Männer von Geburt und Vermögen
und von Ansehen in ihren Departements sind; von der jüngern Generation hat
Prevost-Paradol, der glänzendste und tüchtigste politische Schriftsteller, dessen
Feder wie keine in den Tuilerien gefürchtet wird, nur 19S9 Stimmen aus
31,000 erhalten, Cornelis de Witt noch weniger, obwohl sein Schwieger¬
vater Guizot in seinem Bezirk von Lisieux Alles für ihn ausbot. Diese
Männer sind allmächtig in der französischen Akademie, aber das literarische
Frankreich findet beim allgemeinen Stimmrecht kaum Würdigung. Von allen
Orleanisten wird schließlich nur Thiers in der neuen Versammlung sitzen und
auch er nur nach einer ersten empfindlichen Niederlage. Er, der gefährlichste
Gegner des Kaiserthums, dessen beredten Worten Europa lauschte, wenn er
das Unheil der Persönlichen Regierung beleuchtete, sieht sich von einem fast
unbekannten Manne geschlagen und muß suchen sich bei den Nachwahlen
einen Platz zu erobern. Alles das zeigt, wie wenig bloße parlamentarische
Begabung bei der Masse des allgemeinen Stimmrechts in die Waagschale fällt;
die Tribünen waren gedrängt voll, wenn Thiers sprach, die Massen lasen
seine meisterhaften Exposes nicht. Außerdem aber kommt allerdings in Be¬
tracht, daß trotz aller glänzenden Gaben Thiers' Gesichtskreis ein enger ist;
er versteht seine Zeit nicht, er ist nicht über die Fragen hinausgekommen, in
denen die Julimonarchie sich bewegte. Seine Auffassung der auswärtigen
Politik, sein Protectionismus sind veraltet, sein Tadel gegen den italienischen
Krieg oder die mexikanische Expedition mag noch so begründet sein, es liegt
in den Unternehmungen des Kaisers doch etwas Großartigeres, etwas, was
die nationale Ader des Volkes mehr vibriren macht, als die kleinen Schach¬
züge der Juliministerien thaten, da man sich um Mehemed-Ali und Mr.
Pritchard stritt.

Von den Legitimisten war bei den Wahlen kaum die Rede, aber auch
die gemäßigten Republikaner sind übel weggekommen. Picard, Pelletan und
Jules Simon haben nur gesiegt, weil ihnen kein radical socialistischer Can-
didat entgegenstand, dagegen sind nicht nur Ollivier, sondern auch Garnier-
Page,s, Marie, Carnot und sogar Jules Favre geschlagen, weil sie den
Pariser Wählern zu zahm erschienen! Und doch haben, Alle ohne Wanken
dem alleinseligmachenden Glauben der französischen Demokratie gedient, haben
Alle hervorragende Rollen unter der Republik von 1848 gespielt, sind sie nach
dem Staatsstreich verfolgt worden und haben sie sich in der Kammer als uner¬
bittliche und begabte Feinde der Willkürherrschaft gezeigt. An ihrer Stelle wählt
die Hauptstadt Gambetta, Bancel, Rochefort! Ersterer war bis zu seinem
famosen Plaidoyer in der Baudin-Sache ganz unbekannt, aber er verpflichtete
sich das noch unbekannte Programm anzunehmen, welches das demokratisch¬
socialistische Comiti aufstellen würde! Man sagt, daß ihm der Radicalismus


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[0380] mit Glanz durchgefallen, obwohl sie alle Männer von Geburt und Vermögen und von Ansehen in ihren Departements sind; von der jüngern Generation hat Prevost-Paradol, der glänzendste und tüchtigste politische Schriftsteller, dessen Feder wie keine in den Tuilerien gefürchtet wird, nur 19S9 Stimmen aus 31,000 erhalten, Cornelis de Witt noch weniger, obwohl sein Schwieger¬ vater Guizot in seinem Bezirk von Lisieux Alles für ihn ausbot. Diese Männer sind allmächtig in der französischen Akademie, aber das literarische Frankreich findet beim allgemeinen Stimmrecht kaum Würdigung. Von allen Orleanisten wird schließlich nur Thiers in der neuen Versammlung sitzen und auch er nur nach einer ersten empfindlichen Niederlage. Er, der gefährlichste Gegner des Kaiserthums, dessen beredten Worten Europa lauschte, wenn er das Unheil der Persönlichen Regierung beleuchtete, sieht sich von einem fast unbekannten Manne geschlagen und muß suchen sich bei den Nachwahlen einen Platz zu erobern. Alles das zeigt, wie wenig bloße parlamentarische Begabung bei der Masse des allgemeinen Stimmrechts in die Waagschale fällt; die Tribünen waren gedrängt voll, wenn Thiers sprach, die Massen lasen seine meisterhaften Exposes nicht. Außerdem aber kommt allerdings in Be¬ tracht, daß trotz aller glänzenden Gaben Thiers' Gesichtskreis ein enger ist; er versteht seine Zeit nicht, er ist nicht über die Fragen hinausgekommen, in denen die Julimonarchie sich bewegte. Seine Auffassung der auswärtigen Politik, sein Protectionismus sind veraltet, sein Tadel gegen den italienischen Krieg oder die mexikanische Expedition mag noch so begründet sein, es liegt in den Unternehmungen des Kaisers doch etwas Großartigeres, etwas, was die nationale Ader des Volkes mehr vibriren macht, als die kleinen Schach¬ züge der Juliministerien thaten, da man sich um Mehemed-Ali und Mr. Pritchard stritt. Von den Legitimisten war bei den Wahlen kaum die Rede, aber auch die gemäßigten Republikaner sind übel weggekommen. Picard, Pelletan und Jules Simon haben nur gesiegt, weil ihnen kein radical socialistischer Can- didat entgegenstand, dagegen sind nicht nur Ollivier, sondern auch Garnier- Page,s, Marie, Carnot und sogar Jules Favre geschlagen, weil sie den Pariser Wählern zu zahm erschienen! Und doch haben, Alle ohne Wanken dem alleinseligmachenden Glauben der französischen Demokratie gedient, haben Alle hervorragende Rollen unter der Republik von 1848 gespielt, sind sie nach dem Staatsstreich verfolgt worden und haben sie sich in der Kammer als uner¬ bittliche und begabte Feinde der Willkürherrschaft gezeigt. An ihrer Stelle wählt die Hauptstadt Gambetta, Bancel, Rochefort! Ersterer war bis zu seinem famosen Plaidoyer in der Baudin-Sache ganz unbekannt, aber er verpflichtete sich das noch unbekannte Programm anzunehmen, welches das demokratisch¬ socialistische Comiti aufstellen würde! Man sagt, daß ihm der Radicalismus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/380>, abgerufen am 24.07.2024.