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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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und christlicher wäre, die tüchtigen Seiten des jüdischen Wesens, welche sich
in einem langen Jahrtausend der Unfreiheit und Jsolirung ausgebildet haben,
auf Rechnung ihrer nationalen Kraft zu- schreiben, als da eine nationale
Unkraft zu schelten, wo die werthvollen Leistungen Einzelner unter ihnen etwa
gemeinsame Mängel erweisen. Solche Behauptung beruht auf allzu unsicheren
Annahmen, um mit feierlichem Ernst öffentlich ausgesprochen zu werden, sie
kann jeden nächsten Tag durch eine imponirende Thatsache widerlegt werden.

Wir haben gar nicht die Absicht, zu untersuchen, ob jüdische Componisten
und Virtuosen, welche dem Zuge der Zeit ebenso folgten wie die Christen,
der modernen Musik mehr Segen oder Unsegen gebracht haben. Denn
wir Nichtjuden haben auch in der Musik das Recht verloren, unseren
jüdischen Künstlern Einseitigkeiten vorzuwerfen, und zwar befürchten wir,
daß gerade Herr Wagner in seinen eigenen Werken die Eigenthümlichkeiten
und Schwächen, welche nicht selten an jüdischen Künstlern getadelt worden
sind, in höchst ausgezeichneter Weise an den Tag gelegt hat, wenn er dieselben
auch ein wenig anders drapirt zeigt, als seine Vorgänger. Im Sinne seiner
Broschüre erscheint er selbst als der größte Jude. Die Effekthascherei, das
prätentiöse und kalt überlegte Streben nach Wirkungen, welche nicht durch
sicheren Kunstgeschmack regulirt werden, der Mangel an Fähigkeit, musikali¬
scher Empfindung ihren melodischen und harmonischen Ausdruck rein und
voll zu geben, die übergroße, nervöse Unruhe. Freude am seltsamen und Ge¬
suchten, das Bestreben, durch witzigen Einfall und äußerliche Kunstmittel die
gelegentliche Schwäche seiner musikalischen Erfindung zu decken, dazu selbst
das große Talent für raffinirte Regie der Effecte, endlich hinter Allem
statt eines sicheren, starken Künstlergemüths, in welchem die Form mit dem
Inhalt mühelos sich ausbildet, unerzogene Prätension eines eigenwilligen
Dilettanten, welcher begehrlich über die Grenzen seiner Kunst hinausfährt
und Gesetzen der Schönheit auch deshalb widerspricht, weil er ihnen zu folgen
außer Stande ist; ein abenteuerlicher Sinn, der im Ungeheuerlichen Befriedi¬
gung sucht, unbekümmert darum, ob durch seine Arbeit Sänger, Orchester und
der schöne Organismus des musikalischen Drama's verwüstet werden. Solche
Schwäche und Unart finden wir überall in seinen Werken neben Fragmenten
von wahrhaft schöner, zuweilen wahrhaft hinreißender Erfindung. Diese Be¬
schaffenheit seines merkwürdigen und für unsere Musik verhängnißvollen Ta¬
lentes scheint uns gerade eine solche zu sein, welche in seinem Sinne als eine
dem Judenthum eigenthümliche aufgefaßt werden müßte. Da nun Herr Wagner
keineswegs der Meinung sein wird, daß er selbst zu dem Judenthum in der
Musik gehöre, so haben wir Andern zuverlässig alles Recht verloren, von
Beschränktheiten der jüdischen Musiker zu sprechen. Und das scheint uns der
G. F. Humor bei diesem langen Streit um Kaisers Bart.




und christlicher wäre, die tüchtigen Seiten des jüdischen Wesens, welche sich
in einem langen Jahrtausend der Unfreiheit und Jsolirung ausgebildet haben,
auf Rechnung ihrer nationalen Kraft zu- schreiben, als da eine nationale
Unkraft zu schelten, wo die werthvollen Leistungen Einzelner unter ihnen etwa
gemeinsame Mängel erweisen. Solche Behauptung beruht auf allzu unsicheren
Annahmen, um mit feierlichem Ernst öffentlich ausgesprochen zu werden, sie
kann jeden nächsten Tag durch eine imponirende Thatsache widerlegt werden.

Wir haben gar nicht die Absicht, zu untersuchen, ob jüdische Componisten
und Virtuosen, welche dem Zuge der Zeit ebenso folgten wie die Christen,
der modernen Musik mehr Segen oder Unsegen gebracht haben. Denn
wir Nichtjuden haben auch in der Musik das Recht verloren, unseren
jüdischen Künstlern Einseitigkeiten vorzuwerfen, und zwar befürchten wir,
daß gerade Herr Wagner in seinen eigenen Werken die Eigenthümlichkeiten
und Schwächen, welche nicht selten an jüdischen Künstlern getadelt worden
sind, in höchst ausgezeichneter Weise an den Tag gelegt hat, wenn er dieselben
auch ein wenig anders drapirt zeigt, als seine Vorgänger. Im Sinne seiner
Broschüre erscheint er selbst als der größte Jude. Die Effekthascherei, das
prätentiöse und kalt überlegte Streben nach Wirkungen, welche nicht durch
sicheren Kunstgeschmack regulirt werden, der Mangel an Fähigkeit, musikali¬
scher Empfindung ihren melodischen und harmonischen Ausdruck rein und
voll zu geben, die übergroße, nervöse Unruhe. Freude am seltsamen und Ge¬
suchten, das Bestreben, durch witzigen Einfall und äußerliche Kunstmittel die
gelegentliche Schwäche seiner musikalischen Erfindung zu decken, dazu selbst
das große Talent für raffinirte Regie der Effecte, endlich hinter Allem
statt eines sicheren, starken Künstlergemüths, in welchem die Form mit dem
Inhalt mühelos sich ausbildet, unerzogene Prätension eines eigenwilligen
Dilettanten, welcher begehrlich über die Grenzen seiner Kunst hinausfährt
und Gesetzen der Schönheit auch deshalb widerspricht, weil er ihnen zu folgen
außer Stande ist; ein abenteuerlicher Sinn, der im Ungeheuerlichen Befriedi¬
gung sucht, unbekümmert darum, ob durch seine Arbeit Sänger, Orchester und
der schöne Organismus des musikalischen Drama's verwüstet werden. Solche
Schwäche und Unart finden wir überall in seinen Werken neben Fragmenten
von wahrhaft schöner, zuweilen wahrhaft hinreißender Erfindung. Diese Be¬
schaffenheit seines merkwürdigen und für unsere Musik verhängnißvollen Ta¬
lentes scheint uns gerade eine solche zu sein, welche in seinem Sinne als eine
dem Judenthum eigenthümliche aufgefaßt werden müßte. Da nun Herr Wagner
keineswegs der Meinung sein wird, daß er selbst zu dem Judenthum in der
Musik gehöre, so haben wir Andern zuverlässig alles Recht verloren, von
Beschränktheiten der jüdischen Musiker zu sprechen. Und das scheint uns der
G. F. Humor bei diesem langen Streit um Kaisers Bart.




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[0344] und christlicher wäre, die tüchtigen Seiten des jüdischen Wesens, welche sich in einem langen Jahrtausend der Unfreiheit und Jsolirung ausgebildet haben, auf Rechnung ihrer nationalen Kraft zu- schreiben, als da eine nationale Unkraft zu schelten, wo die werthvollen Leistungen Einzelner unter ihnen etwa gemeinsame Mängel erweisen. Solche Behauptung beruht auf allzu unsicheren Annahmen, um mit feierlichem Ernst öffentlich ausgesprochen zu werden, sie kann jeden nächsten Tag durch eine imponirende Thatsache widerlegt werden. Wir haben gar nicht die Absicht, zu untersuchen, ob jüdische Componisten und Virtuosen, welche dem Zuge der Zeit ebenso folgten wie die Christen, der modernen Musik mehr Segen oder Unsegen gebracht haben. Denn wir Nichtjuden haben auch in der Musik das Recht verloren, unseren jüdischen Künstlern Einseitigkeiten vorzuwerfen, und zwar befürchten wir, daß gerade Herr Wagner in seinen eigenen Werken die Eigenthümlichkeiten und Schwächen, welche nicht selten an jüdischen Künstlern getadelt worden sind, in höchst ausgezeichneter Weise an den Tag gelegt hat, wenn er dieselben auch ein wenig anders drapirt zeigt, als seine Vorgänger. Im Sinne seiner Broschüre erscheint er selbst als der größte Jude. Die Effekthascherei, das prätentiöse und kalt überlegte Streben nach Wirkungen, welche nicht durch sicheren Kunstgeschmack regulirt werden, der Mangel an Fähigkeit, musikali¬ scher Empfindung ihren melodischen und harmonischen Ausdruck rein und voll zu geben, die übergroße, nervöse Unruhe. Freude am seltsamen und Ge¬ suchten, das Bestreben, durch witzigen Einfall und äußerliche Kunstmittel die gelegentliche Schwäche seiner musikalischen Erfindung zu decken, dazu selbst das große Talent für raffinirte Regie der Effecte, endlich hinter Allem statt eines sicheren, starken Künstlergemüths, in welchem die Form mit dem Inhalt mühelos sich ausbildet, unerzogene Prätension eines eigenwilligen Dilettanten, welcher begehrlich über die Grenzen seiner Kunst hinausfährt und Gesetzen der Schönheit auch deshalb widerspricht, weil er ihnen zu folgen außer Stande ist; ein abenteuerlicher Sinn, der im Ungeheuerlichen Befriedi¬ gung sucht, unbekümmert darum, ob durch seine Arbeit Sänger, Orchester und der schöne Organismus des musikalischen Drama's verwüstet werden. Solche Schwäche und Unart finden wir überall in seinen Werken neben Fragmenten von wahrhaft schöner, zuweilen wahrhaft hinreißender Erfindung. Diese Be¬ schaffenheit seines merkwürdigen und für unsere Musik verhängnißvollen Ta¬ lentes scheint uns gerade eine solche zu sein, welche in seinem Sinne als eine dem Judenthum eigenthümliche aufgefaßt werden müßte. Da nun Herr Wagner keineswegs der Meinung sein wird, daß er selbst zu dem Judenthum in der Musik gehöre, so haben wir Andern zuverlässig alles Recht verloren, von Beschränktheiten der jüdischen Musiker zu sprechen. Und das scheint uns der G. F. Humor bei diesem langen Streit um Kaisers Bart.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/344>, abgerufen am 24.07.2024.