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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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als an dem, was sie entbehren, und die Versuchung liegt nahe, dies Beson¬
dere als jüdische Art gegenüber der germanischen zu fassen. Aber wir haben
Ursache, mit Mißtrauen auch auf solche Schlüsse zu sehen, welche eine vor-
urtheilsfreie Betrachtung dieser Eigenthümlichkeiten nahe legt, denn es ist
menschlicher Einsicht unmöglich, zu entscheiden, was dem Wesen der Juden an
sich, immer und für alle Zeit von Vorzügen und Schwächen zugetheilt ist, und
was nur deshalb häufig an ihrem Geschlecht zu Tage kommt, weil sie sich
alle aus einer unsicheren politischen und socialen Existenz und aus einem
Bildungswege, der noch nicht ganz der unsrige ist, heraufgearbeitet haben.

Es liegt nahe, eine häusig wiederkehrende übergroße Freude an Wort¬
witz und sophistischer Beweisführung als letzten Ueberrest einer Geistesrich¬
tung aufzufassen, welche durch die tausendjährige Beschäftigung und durch
massenhaftes Memoriren der spitzfindigen Dialectik alter Religionslehrer in
die Seelen der Juden gekommen ist; aber die scholastische Weisheit des
Talmud ist keineswegs eine Blüthe specifisch jüdischen Wesens, die Pedanterie
der Byzantiner und die hölzerne Scholastik mittelalterlicher Klöster haben
fast genau dieselbe Methode der Erörterung, der Beweisführung, der Defi¬
nitionen hervorgebracht und diese wunderliche Bildung dauerte bei den Juden
nur länger und einflußreicher; sie wurde ebenso sehr durch den Haß der
Christen conservirt, als durch ihre enge Verbindung mit dem jüdischen Cultus.
-- Es ist ferner leicht zu beobachten, daß auch dem warmen und ehrlichen
Gefühl unserer jüdischen Landsleute sehr häufig der reiche und schöne Ausdruck
fehlt, und daß sie. gemüthlich erregt, zwar herbes leidenschaftliches Pathos
finden, daß ihnen aber der Ausdruck inniger und schöngewogener Empfindung in
Worten und Tönen, in plastischem Ausdruck, in mimischer Gestaltung besonders
schwer wird, und daß sie aus der Befangenheit solcher Situation sich durch einen
störenden Witz, eine kalte Reflexion zu befreien lieben. Dem armen Davison
gelang nie. als Carlos im Clavigo die letzten beiden Worte seiner Rolle,
die große Probe für Charakterspieler, gut herauszubringen, und Heine, der
so meisterhaft verstand, die herzinnigen Klänge des deutschen Volksliedes in
moderne Empfindungsweise umzusetzen, verdarb sich oft die reinen Wirkungen
durch die abgeschmackten Dissonanzen, welche ihm für originell galten. Es ist
endlich keine neue Beobachtung, daß der Tiefsinn und der Scherz unserer jüdi¬
schen Freunde echter Fröhlichkeit und des befreienden Humors häufig ermangeln.
Aber wer darf sagen, daß voller Ausdruck schöner Empfindung ihrer natio¬
nalen Anlage versagt ist, da ihr hartes Erdenschicksal sie bis zur Gegenwart
zwang, ihr ganzes kräftiges Gemüthsleben vor Haß und Spott heimlich
im verschlossenen Hause zu bergen, und wie sollte die heitere Liebe zum Leben
und das kräftige sichere Behagen, die Grundlagen alles Humors, in einem
gedrückten und verfolgten Geschlechte gedeihen? Uns scheint, daß es ehrlicher


als an dem, was sie entbehren, und die Versuchung liegt nahe, dies Beson¬
dere als jüdische Art gegenüber der germanischen zu fassen. Aber wir haben
Ursache, mit Mißtrauen auch auf solche Schlüsse zu sehen, welche eine vor-
urtheilsfreie Betrachtung dieser Eigenthümlichkeiten nahe legt, denn es ist
menschlicher Einsicht unmöglich, zu entscheiden, was dem Wesen der Juden an
sich, immer und für alle Zeit von Vorzügen und Schwächen zugetheilt ist, und
was nur deshalb häufig an ihrem Geschlecht zu Tage kommt, weil sie sich
alle aus einer unsicheren politischen und socialen Existenz und aus einem
Bildungswege, der noch nicht ganz der unsrige ist, heraufgearbeitet haben.

Es liegt nahe, eine häusig wiederkehrende übergroße Freude an Wort¬
witz und sophistischer Beweisführung als letzten Ueberrest einer Geistesrich¬
tung aufzufassen, welche durch die tausendjährige Beschäftigung und durch
massenhaftes Memoriren der spitzfindigen Dialectik alter Religionslehrer in
die Seelen der Juden gekommen ist; aber die scholastische Weisheit des
Talmud ist keineswegs eine Blüthe specifisch jüdischen Wesens, die Pedanterie
der Byzantiner und die hölzerne Scholastik mittelalterlicher Klöster haben
fast genau dieselbe Methode der Erörterung, der Beweisführung, der Defi¬
nitionen hervorgebracht und diese wunderliche Bildung dauerte bei den Juden
nur länger und einflußreicher; sie wurde ebenso sehr durch den Haß der
Christen conservirt, als durch ihre enge Verbindung mit dem jüdischen Cultus.
— Es ist ferner leicht zu beobachten, daß auch dem warmen und ehrlichen
Gefühl unserer jüdischen Landsleute sehr häufig der reiche und schöne Ausdruck
fehlt, und daß sie. gemüthlich erregt, zwar herbes leidenschaftliches Pathos
finden, daß ihnen aber der Ausdruck inniger und schöngewogener Empfindung in
Worten und Tönen, in plastischem Ausdruck, in mimischer Gestaltung besonders
schwer wird, und daß sie aus der Befangenheit solcher Situation sich durch einen
störenden Witz, eine kalte Reflexion zu befreien lieben. Dem armen Davison
gelang nie. als Carlos im Clavigo die letzten beiden Worte seiner Rolle,
die große Probe für Charakterspieler, gut herauszubringen, und Heine, der
so meisterhaft verstand, die herzinnigen Klänge des deutschen Volksliedes in
moderne Empfindungsweise umzusetzen, verdarb sich oft die reinen Wirkungen
durch die abgeschmackten Dissonanzen, welche ihm für originell galten. Es ist
endlich keine neue Beobachtung, daß der Tiefsinn und der Scherz unserer jüdi¬
schen Freunde echter Fröhlichkeit und des befreienden Humors häufig ermangeln.
Aber wer darf sagen, daß voller Ausdruck schöner Empfindung ihrer natio¬
nalen Anlage versagt ist, da ihr hartes Erdenschicksal sie bis zur Gegenwart
zwang, ihr ganzes kräftiges Gemüthsleben vor Haß und Spott heimlich
im verschlossenen Hause zu bergen, und wie sollte die heitere Liebe zum Leben
und das kräftige sichere Behagen, die Grundlagen alles Humors, in einem
gedrückten und verfolgten Geschlechte gedeihen? Uns scheint, daß es ehrlicher


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[0343] als an dem, was sie entbehren, und die Versuchung liegt nahe, dies Beson¬ dere als jüdische Art gegenüber der germanischen zu fassen. Aber wir haben Ursache, mit Mißtrauen auch auf solche Schlüsse zu sehen, welche eine vor- urtheilsfreie Betrachtung dieser Eigenthümlichkeiten nahe legt, denn es ist menschlicher Einsicht unmöglich, zu entscheiden, was dem Wesen der Juden an sich, immer und für alle Zeit von Vorzügen und Schwächen zugetheilt ist, und was nur deshalb häufig an ihrem Geschlecht zu Tage kommt, weil sie sich alle aus einer unsicheren politischen und socialen Existenz und aus einem Bildungswege, der noch nicht ganz der unsrige ist, heraufgearbeitet haben. Es liegt nahe, eine häusig wiederkehrende übergroße Freude an Wort¬ witz und sophistischer Beweisführung als letzten Ueberrest einer Geistesrich¬ tung aufzufassen, welche durch die tausendjährige Beschäftigung und durch massenhaftes Memoriren der spitzfindigen Dialectik alter Religionslehrer in die Seelen der Juden gekommen ist; aber die scholastische Weisheit des Talmud ist keineswegs eine Blüthe specifisch jüdischen Wesens, die Pedanterie der Byzantiner und die hölzerne Scholastik mittelalterlicher Klöster haben fast genau dieselbe Methode der Erörterung, der Beweisführung, der Defi¬ nitionen hervorgebracht und diese wunderliche Bildung dauerte bei den Juden nur länger und einflußreicher; sie wurde ebenso sehr durch den Haß der Christen conservirt, als durch ihre enge Verbindung mit dem jüdischen Cultus. — Es ist ferner leicht zu beobachten, daß auch dem warmen und ehrlichen Gefühl unserer jüdischen Landsleute sehr häufig der reiche und schöne Ausdruck fehlt, und daß sie. gemüthlich erregt, zwar herbes leidenschaftliches Pathos finden, daß ihnen aber der Ausdruck inniger und schöngewogener Empfindung in Worten und Tönen, in plastischem Ausdruck, in mimischer Gestaltung besonders schwer wird, und daß sie aus der Befangenheit solcher Situation sich durch einen störenden Witz, eine kalte Reflexion zu befreien lieben. Dem armen Davison gelang nie. als Carlos im Clavigo die letzten beiden Worte seiner Rolle, die große Probe für Charakterspieler, gut herauszubringen, und Heine, der so meisterhaft verstand, die herzinnigen Klänge des deutschen Volksliedes in moderne Empfindungsweise umzusetzen, verdarb sich oft die reinen Wirkungen durch die abgeschmackten Dissonanzen, welche ihm für originell galten. Es ist endlich keine neue Beobachtung, daß der Tiefsinn und der Scherz unserer jüdi¬ schen Freunde echter Fröhlichkeit und des befreienden Humors häufig ermangeln. Aber wer darf sagen, daß voller Ausdruck schöner Empfindung ihrer natio¬ nalen Anlage versagt ist, da ihr hartes Erdenschicksal sie bis zur Gegenwart zwang, ihr ganzes kräftiges Gemüthsleben vor Haß und Spott heimlich im verschlossenen Hause zu bergen, und wie sollte die heitere Liebe zum Leben und das kräftige sichere Behagen, die Grundlagen alles Humors, in einem gedrückten und verfolgten Geschlechte gedeihen? Uns scheint, daß es ehrlicher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/343>, abgerufen am 24.07.2024.