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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Schon der Ausspruch des Grafen Bismarck vor Pfingsten, er werde
Geld nehmen, wo er es finde, brachte eine störende Dissonanz. Ihm wenig¬
stens kommt jetzt bei nicht gehörig erwogenen Aeußerungen zu gute, daß
die Nation unter dem Eindruck steht, ihm großen Dank schuldig zu sein.
Wie aber-war möglich, daß er als Reichskanzler darein willigen konnte, die
flüchtige, auf eine Wirkung für Kinder berechnete Klageschrist über die Zer"
rüttung der preußischen Finanzen dem deutschen Reichstag zu übergeben?
Vor den Bundesgenossen, die man vor zwei Jahren durch das Schwert und
die Gewalt der Thatsachen in den Nordbund zusammengebunden hat, denen
man dictatorisch die Matricularbeiträge auflegte -- was damals ganz in
der Ordnung war -- vor diesen jetzt offen auszusprechen, daß Preußen selbst
bei dem Stande seiner Besteuerung nicht mehr in der Lage sei. seinen Bun¬
despflichten nachzukommen! Was von Braunschweig und Oldenburg gefordert
wird, was Mecklenburg leistet, was das Königreich Sachsen mit Leichtigkeit
erträgt, dies wird jetzt den Sachsen, Mecklenburgern, Braunschweigern und
Oldenburgern als eine für den preußischen Staatshaushalt zur Zeit uner¬
trägliche Last denuncirt. Ein schönes Mittel, die Bundesgenossen von der
Festigkeit und Dauerhaftigkeit des Bundes zu überzeugen! Und welcher Mangel
an fester Haltung bei den Ministern eines großen Staates! Die Sachsen und die
Abgeordneten der kleinen Staaten werden als vertraute Helfer erbeten, um
preußischen Finanzen neue Einnahmequellen zu öffnen. Wenn Graf Bismarck
der Opposition entgegenrief: Ich fordere Brod und Sie geben mir Steine, so
lag die Antwort nahe: Wie darf Preußen beim Reichstag um Brod betteln!

Aber was die Verhandlung so peinlich machte, war nicht diese einzelne Takt¬
losigkeit, sondern eine Eigenthümlichkeit im gegenwärtigen System, deren mil¬
deste Bezeichnung Mangel an gleichmäßiger Haltung ist. Noch klingen die würde¬
losen Worte eines Vertreters der Regierung in den Ohren: "Wir haben helden¬
mäßig viel Geld", und kurz darauf wird wieder nur nach dem Bedürfniß
des Augenblicks die Finanzlage des Staates als gut, der Nothstand als
vorübergehend, die Solidität des Steuersystems als musterhaft, und gleich
darnach die Situation als gefährlich dargestellt, ein mehrjähriges Deficit, der
preußische Staat als unfähig, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Immer
nur ist's um die augenblickliche Wirkung zu thun; und diese Wirkung wird nicht
erreicht, weil man die Menschen für kleiner und urtheilsloser hält, als sie sind.

Wir vermögen nicht genau zu übersehen, welche Fortschritte das Be¬
dürfniß nach politischer Einheit in den Seelen der süddeutschen Abgeordneten
gemacht hat, nur eins dürfen wir ihnen ehrlich sagen: wir werden uns jeder
neuen Aufforderung zu näherer Vereinigung enthalten. Wir haben ihnen
im vorigen Jahre sehr freundlich unsere Thür geöffnet und sie mit warmen
Worten zu uns geladen; es ist gar nicht unsere Absicht, das wieder zu thun.


Schon der Ausspruch des Grafen Bismarck vor Pfingsten, er werde
Geld nehmen, wo er es finde, brachte eine störende Dissonanz. Ihm wenig¬
stens kommt jetzt bei nicht gehörig erwogenen Aeußerungen zu gute, daß
die Nation unter dem Eindruck steht, ihm großen Dank schuldig zu sein.
Wie aber-war möglich, daß er als Reichskanzler darein willigen konnte, die
flüchtige, auf eine Wirkung für Kinder berechnete Klageschrist über die Zer«
rüttung der preußischen Finanzen dem deutschen Reichstag zu übergeben?
Vor den Bundesgenossen, die man vor zwei Jahren durch das Schwert und
die Gewalt der Thatsachen in den Nordbund zusammengebunden hat, denen
man dictatorisch die Matricularbeiträge auflegte — was damals ganz in
der Ordnung war — vor diesen jetzt offen auszusprechen, daß Preußen selbst
bei dem Stande seiner Besteuerung nicht mehr in der Lage sei. seinen Bun¬
despflichten nachzukommen! Was von Braunschweig und Oldenburg gefordert
wird, was Mecklenburg leistet, was das Königreich Sachsen mit Leichtigkeit
erträgt, dies wird jetzt den Sachsen, Mecklenburgern, Braunschweigern und
Oldenburgern als eine für den preußischen Staatshaushalt zur Zeit uner¬
trägliche Last denuncirt. Ein schönes Mittel, die Bundesgenossen von der
Festigkeit und Dauerhaftigkeit des Bundes zu überzeugen! Und welcher Mangel
an fester Haltung bei den Ministern eines großen Staates! Die Sachsen und die
Abgeordneten der kleinen Staaten werden als vertraute Helfer erbeten, um
preußischen Finanzen neue Einnahmequellen zu öffnen. Wenn Graf Bismarck
der Opposition entgegenrief: Ich fordere Brod und Sie geben mir Steine, so
lag die Antwort nahe: Wie darf Preußen beim Reichstag um Brod betteln!

Aber was die Verhandlung so peinlich machte, war nicht diese einzelne Takt¬
losigkeit, sondern eine Eigenthümlichkeit im gegenwärtigen System, deren mil¬
deste Bezeichnung Mangel an gleichmäßiger Haltung ist. Noch klingen die würde¬
losen Worte eines Vertreters der Regierung in den Ohren: „Wir haben helden¬
mäßig viel Geld", und kurz darauf wird wieder nur nach dem Bedürfniß
des Augenblicks die Finanzlage des Staates als gut, der Nothstand als
vorübergehend, die Solidität des Steuersystems als musterhaft, und gleich
darnach die Situation als gefährlich dargestellt, ein mehrjähriges Deficit, der
preußische Staat als unfähig, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Immer
nur ist's um die augenblickliche Wirkung zu thun; und diese Wirkung wird nicht
erreicht, weil man die Menschen für kleiner und urtheilsloser hält, als sie sind.

Wir vermögen nicht genau zu übersehen, welche Fortschritte das Be¬
dürfniß nach politischer Einheit in den Seelen der süddeutschen Abgeordneten
gemacht hat, nur eins dürfen wir ihnen ehrlich sagen: wir werden uns jeder
neuen Aufforderung zu näherer Vereinigung enthalten. Wir haben ihnen
im vorigen Jahre sehr freundlich unsere Thür geöffnet und sie mit warmen
Worten zu uns geladen; es ist gar nicht unsere Absicht, das wieder zu thun.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/340>, abgerufen am 24.07.2024.