Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

einem mageren Vergleich statt eines fetten Processes ist keine Rede. "Der
Proceß unter den Stammesgenossen ist nicht fett und ihr Vergleich nicht
mager". Bei der Vereinbarung, welche im Leben unseres Volkes sieben
Millionen mit dreißig Millionen schließen sollen, gewinnen ohne Zweifel
beide Theile, da mit vereinten Kräften in Rath und That mehr auszurich¬
ten ist, als mit getrennten und im Gegensatz befindlichen.

Wir rechnen, daß die zweite Sitzungsperiode des Zollparlaments viel
unbefangener, leidenschaftsloser, auf die praktischen Aufgaben des Zollvereins
bedacht verlaufen werde. Keineswegs soll das wiederversammelte Zollparla¬
ment darauf ausgehen, seine Competenz zu erweitern. Freilich vermögen die
Zölle, welche. aus dem Zusammenhange mit dem Steuerwesen und dem
Staatshaushalt der verbündeten Länder gerückt, sind, selbst bei größtem Ver¬
trauen in die zusammenwirkenden Regierungen nicht leicht die richtige Wür¬
digung und Veranschlagung zu finden. Das nationale Feld der politischen
Oekonomie kann erst durch das Vollparlament zu einem organischen Gan¬
zen gemacht und zu einem geschlossenen System erhoben werden. Erst ein
Vollparlament kann in Gemeinschaft mit einer Centralbundesbehörde das
ganze Wirthschaftsgebiet der Nation übersehen, zweckmäßig eintheilen und
gleichmäßig pflegen.

Nach den Erfahrungen der letzten Wochen wissen wir nicht, ob die preußischen
Minister nicht vielleicht auch den Süddeutschen eine Klage über die zerrütteten
Finanzverhältnisse Preußens zustellen werden und die freundnachbarliche Zu-
muthung, daß auch sie dazu helfen mögen, den preußischen Staatshaushalt aus
seiner neuentdeckten üblen Finanzlage zu befreien. Wir möchten die Süddeutschen
aber im voraus bedeuten, daß wir solche Hülfe von ihnen gar nicht begehren.

Wie ein Hagelwetter über die grünende Flur zogen die Verhandlungen
um die Finanzvorlagen über unseren Reichstag. Die Stimmung, welche durch
die Denkschrift des Finanzministers und die Debatten zweier Tage hervor¬
gerufen ist. steht außer allem Verhältniß zu der Bedeutung des Deficits, um
dessen Deckung es sich handelt. Seit dem Frühjahr 1866 hat die preußische
Regierung in ihren Vertretern keine so große Niederlage erlitten, als
in den wenigen verhängnißvollen Stunden, in denen Graf Bismarck und
v. d. Heydt sich vergebens bemühten, gegenüber den Erklärungen der Abge¬
ordneten Laster und v. Bennigsen aus der üblen Lage herauszukommen,
in welche sie sich selbst versetzt hatten. Wie der einzelne Mensch Augenblicke
hat. in denen seine Schwächen und Fehler, sonst klug verhüllt, so zu Tage
kommen, daß sie seine Umgebung erschrecken, so hat das preußische Ministe-
rium mit unbegreiflicher Kurzsichtigkeit vor dem Reichstage und der Welt eine
Blöße so enthüllt, daß der peinliche Eindruck nur schwer überwunden werden
wird.


42*

einem mageren Vergleich statt eines fetten Processes ist keine Rede. „Der
Proceß unter den Stammesgenossen ist nicht fett und ihr Vergleich nicht
mager". Bei der Vereinbarung, welche im Leben unseres Volkes sieben
Millionen mit dreißig Millionen schließen sollen, gewinnen ohne Zweifel
beide Theile, da mit vereinten Kräften in Rath und That mehr auszurich¬
ten ist, als mit getrennten und im Gegensatz befindlichen.

Wir rechnen, daß die zweite Sitzungsperiode des Zollparlaments viel
unbefangener, leidenschaftsloser, auf die praktischen Aufgaben des Zollvereins
bedacht verlaufen werde. Keineswegs soll das wiederversammelte Zollparla¬
ment darauf ausgehen, seine Competenz zu erweitern. Freilich vermögen die
Zölle, welche. aus dem Zusammenhange mit dem Steuerwesen und dem
Staatshaushalt der verbündeten Länder gerückt, sind, selbst bei größtem Ver¬
trauen in die zusammenwirkenden Regierungen nicht leicht die richtige Wür¬
digung und Veranschlagung zu finden. Das nationale Feld der politischen
Oekonomie kann erst durch das Vollparlament zu einem organischen Gan¬
zen gemacht und zu einem geschlossenen System erhoben werden. Erst ein
Vollparlament kann in Gemeinschaft mit einer Centralbundesbehörde das
ganze Wirthschaftsgebiet der Nation übersehen, zweckmäßig eintheilen und
gleichmäßig pflegen.

Nach den Erfahrungen der letzten Wochen wissen wir nicht, ob die preußischen
Minister nicht vielleicht auch den Süddeutschen eine Klage über die zerrütteten
Finanzverhältnisse Preußens zustellen werden und die freundnachbarliche Zu-
muthung, daß auch sie dazu helfen mögen, den preußischen Staatshaushalt aus
seiner neuentdeckten üblen Finanzlage zu befreien. Wir möchten die Süddeutschen
aber im voraus bedeuten, daß wir solche Hülfe von ihnen gar nicht begehren.

Wie ein Hagelwetter über die grünende Flur zogen die Verhandlungen
um die Finanzvorlagen über unseren Reichstag. Die Stimmung, welche durch
die Denkschrift des Finanzministers und die Debatten zweier Tage hervor¬
gerufen ist. steht außer allem Verhältniß zu der Bedeutung des Deficits, um
dessen Deckung es sich handelt. Seit dem Frühjahr 1866 hat die preußische
Regierung in ihren Vertretern keine so große Niederlage erlitten, als
in den wenigen verhängnißvollen Stunden, in denen Graf Bismarck und
v. d. Heydt sich vergebens bemühten, gegenüber den Erklärungen der Abge¬
ordneten Laster und v. Bennigsen aus der üblen Lage herauszukommen,
in welche sie sich selbst versetzt hatten. Wie der einzelne Mensch Augenblicke
hat. in denen seine Schwächen und Fehler, sonst klug verhüllt, so zu Tage
kommen, daß sie seine Umgebung erschrecken, so hat das preußische Ministe-
rium mit unbegreiflicher Kurzsichtigkeit vor dem Reichstage und der Welt eine
Blöße so enthüllt, daß der peinliche Eindruck nur schwer überwunden werden
wird.


42*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0339" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121026"/>
          <p xml:id="ID_1048" prev="#ID_1047"> einem mageren Vergleich statt eines fetten Processes ist keine Rede. &#x201E;Der<lb/>
Proceß unter den Stammesgenossen ist nicht fett und ihr Vergleich nicht<lb/>
mager". Bei der Vereinbarung, welche im Leben unseres Volkes sieben<lb/>
Millionen mit dreißig Millionen schließen sollen, gewinnen ohne Zweifel<lb/>
beide Theile, da mit vereinten Kräften in Rath und That mehr auszurich¬<lb/>
ten ist, als mit getrennten und im Gegensatz befindlichen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1049"> Wir rechnen, daß die zweite Sitzungsperiode des Zollparlaments viel<lb/>
unbefangener, leidenschaftsloser, auf die praktischen Aufgaben des Zollvereins<lb/>
bedacht verlaufen werde. Keineswegs soll das wiederversammelte Zollparla¬<lb/>
ment darauf ausgehen, seine Competenz zu erweitern. Freilich vermögen die<lb/>
Zölle, welche. aus dem Zusammenhange mit dem Steuerwesen und dem<lb/>
Staatshaushalt der verbündeten Länder gerückt, sind, selbst bei größtem Ver¬<lb/>
trauen in die zusammenwirkenden Regierungen nicht leicht die richtige Wür¬<lb/>
digung und Veranschlagung zu finden. Das nationale Feld der politischen<lb/>
Oekonomie kann erst durch das Vollparlament zu einem organischen Gan¬<lb/>
zen gemacht und zu einem geschlossenen System erhoben werden. Erst ein<lb/>
Vollparlament kann in Gemeinschaft mit einer Centralbundesbehörde das<lb/>
ganze Wirthschaftsgebiet der Nation übersehen, zweckmäßig eintheilen und<lb/>
gleichmäßig pflegen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1050"> Nach den Erfahrungen der letzten Wochen wissen wir nicht, ob die preußischen<lb/>
Minister nicht vielleicht auch den Süddeutschen eine Klage über die zerrütteten<lb/>
Finanzverhältnisse Preußens zustellen werden und die freundnachbarliche Zu-<lb/>
muthung, daß auch sie dazu helfen mögen, den preußischen Staatshaushalt aus<lb/>
seiner neuentdeckten üblen Finanzlage zu befreien. Wir möchten die Süddeutschen<lb/>
aber im voraus bedeuten, daß wir solche Hülfe von ihnen gar nicht begehren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1051"> Wie ein Hagelwetter über die grünende Flur zogen die Verhandlungen<lb/>
um die Finanzvorlagen über unseren Reichstag. Die Stimmung, welche durch<lb/>
die Denkschrift des Finanzministers und die Debatten zweier Tage hervor¬<lb/>
gerufen ist. steht außer allem Verhältniß zu der Bedeutung des Deficits, um<lb/>
dessen Deckung es sich handelt. Seit dem Frühjahr 1866 hat die preußische<lb/>
Regierung in ihren Vertretern keine so große Niederlage erlitten, als<lb/>
in den wenigen verhängnißvollen Stunden, in denen Graf Bismarck und<lb/>
v. d. Heydt sich vergebens bemühten, gegenüber den Erklärungen der Abge¬<lb/>
ordneten Laster und v. Bennigsen aus der üblen Lage herauszukommen,<lb/>
in welche sie sich selbst versetzt hatten. Wie der einzelne Mensch Augenblicke<lb/>
hat. in denen seine Schwächen und Fehler, sonst klug verhüllt, so zu Tage<lb/>
kommen, daß sie seine Umgebung erschrecken, so hat das preußische Ministe-<lb/>
rium mit unbegreiflicher Kurzsichtigkeit vor dem Reichstage und der Welt eine<lb/>
Blöße so enthüllt, daß der peinliche Eindruck nur schwer überwunden werden<lb/>
wird.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 42*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0339] einem mageren Vergleich statt eines fetten Processes ist keine Rede. „Der Proceß unter den Stammesgenossen ist nicht fett und ihr Vergleich nicht mager". Bei der Vereinbarung, welche im Leben unseres Volkes sieben Millionen mit dreißig Millionen schließen sollen, gewinnen ohne Zweifel beide Theile, da mit vereinten Kräften in Rath und That mehr auszurich¬ ten ist, als mit getrennten und im Gegensatz befindlichen. Wir rechnen, daß die zweite Sitzungsperiode des Zollparlaments viel unbefangener, leidenschaftsloser, auf die praktischen Aufgaben des Zollvereins bedacht verlaufen werde. Keineswegs soll das wiederversammelte Zollparla¬ ment darauf ausgehen, seine Competenz zu erweitern. Freilich vermögen die Zölle, welche. aus dem Zusammenhange mit dem Steuerwesen und dem Staatshaushalt der verbündeten Länder gerückt, sind, selbst bei größtem Ver¬ trauen in die zusammenwirkenden Regierungen nicht leicht die richtige Wür¬ digung und Veranschlagung zu finden. Das nationale Feld der politischen Oekonomie kann erst durch das Vollparlament zu einem organischen Gan¬ zen gemacht und zu einem geschlossenen System erhoben werden. Erst ein Vollparlament kann in Gemeinschaft mit einer Centralbundesbehörde das ganze Wirthschaftsgebiet der Nation übersehen, zweckmäßig eintheilen und gleichmäßig pflegen. Nach den Erfahrungen der letzten Wochen wissen wir nicht, ob die preußischen Minister nicht vielleicht auch den Süddeutschen eine Klage über die zerrütteten Finanzverhältnisse Preußens zustellen werden und die freundnachbarliche Zu- muthung, daß auch sie dazu helfen mögen, den preußischen Staatshaushalt aus seiner neuentdeckten üblen Finanzlage zu befreien. Wir möchten die Süddeutschen aber im voraus bedeuten, daß wir solche Hülfe von ihnen gar nicht begehren. Wie ein Hagelwetter über die grünende Flur zogen die Verhandlungen um die Finanzvorlagen über unseren Reichstag. Die Stimmung, welche durch die Denkschrift des Finanzministers und die Debatten zweier Tage hervor¬ gerufen ist. steht außer allem Verhältniß zu der Bedeutung des Deficits, um dessen Deckung es sich handelt. Seit dem Frühjahr 1866 hat die preußische Regierung in ihren Vertretern keine so große Niederlage erlitten, als in den wenigen verhängnißvollen Stunden, in denen Graf Bismarck und v. d. Heydt sich vergebens bemühten, gegenüber den Erklärungen der Abge¬ ordneten Laster und v. Bennigsen aus der üblen Lage herauszukommen, in welche sie sich selbst versetzt hatten. Wie der einzelne Mensch Augenblicke hat. in denen seine Schwächen und Fehler, sonst klug verhüllt, so zu Tage kommen, daß sie seine Umgebung erschrecken, so hat das preußische Ministe- rium mit unbegreiflicher Kurzsichtigkeit vor dem Reichstage und der Welt eine Blöße so enthüllt, daß der peinliche Eindruck nur schwer überwunden werden wird. 42*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/339
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/339>, abgerufen am 24.07.2024.