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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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kleinem Anfange hervorgegangene Zollverein sich vermöge der Macht des
nationalen Gedankens allmälig über Deutschland ausgedehnt und zwischen
seinen Gliedern eine Gemeinschaft der Interessen geschaffen habe, welche ihn
schwere Proben siegreich bestehen ließ und im Weltverkehr eine Stelle ver¬
schaffte, auf welche jeder Deutsche mit Befriedigung blickt. Die Worte: "es
ist die Frucht einer naturgemäßen Entwickelung, wenn heute Vertreter der
ganzen Nation sich zur Berathung der gemeinsamen wirthschaftlichen Interessen
Deutschlands versammeln", werden, wenn sie auch jetzt nach einem Jahr noch
wenig Beachtung finden, nach abermals vierzig Jahren als die Einleitung
eines neuen Abschnitts der deutschen Geschichte bezeichnet werden.

Ohne Selbstüberhebung haben die Norddeutschen im letzten Jahr darauf
hingewiesen, daß es nach den Jahren der völligen Zersplitterung doch schon
etwas werth sei, 30 Millionen Deutscher unter einer Verfassung, in einem
Parlament, unter einer Führung vereinigt zu sehen. Ohne irgend einen Zwang
üben zu wollen, luden sie die noch draußen stehenden sieben Millionen --
von denen nur die Bayern und Württemberger, nicht die Badener und Hessen
ernstlich widerstrebten -- ein, sichs zu überlegen: ob es nicht rathsamer er¬
scheine, schon jetzt zu kommen und über die Weiterführung des nationalen
Werks mitzuberathen und mitzubeschließen, als beständig mißtrauend, selber
in Meinungen zersplittert und nicht vom Fleck kommend, fern zu bleiben.

Die Antwort lautete vor einem Jahre ablehnend, dennoch waren die Worte,
welche der bayerische Reichsrath Freiherr v. Thüngen als Führer der "süd¬
deutschen Fraction" sprach, die eines Vaterlandsgenossen und sie verdeckten die
trennende Kluft. Herr v. Thüngen wünschte auf eine Weiterbildung der Verträge
nicht einzugehen. Aber das deutsche Herz des Mannes sagte mehr als die
bayerischen Gewöhnungen desselben eigentlich gestatten wollten. Diese Ueoer-
Wältigung der kühlen Reflexion durch den Ausbruch der Vaterlandsliebe war
auch ein guter Moment in den Verhandlungen des Zollparlamenls. "Wir
sind dem Anschluß des Südens an den Norden abgeneigt", sprach Herr v.
Thüngen, "aus Liebe zu unseren Einrichtungen und zu unseren Dynastien."
"Aber wir stehen auf dem Boden der Verträge", setzte der Redner recht¬
schaffen hinzu. "Jeder Schlag, welchen Preußen erhält, trifft uns vielleicht
noch schärfer als dieses selbst. Wir werden gemeinschaftlich mit dem Norden
kämpfen und bluten." Auf allen Seiten des Hauses fanden diese Worte
Beifall.

Als der Nachkomme der fränkischen Ritter des gemeinsamen Kampfes für
das Vaterland gedachte, war er auch über den Main zwischen Süd und Nord
hinweggelangt. Von Grund der Seele mußte der norddeutsche beipflichten, als
Dr. Joseph Volk von Augsburg, Vertreter des im Alpenvorsprung des Allgaus
gelegenen, gewerblich rüstigen politisch geweckten Wahlbezirks Innenstadt,


Wrenjboten II. 1869. 42

kleinem Anfange hervorgegangene Zollverein sich vermöge der Macht des
nationalen Gedankens allmälig über Deutschland ausgedehnt und zwischen
seinen Gliedern eine Gemeinschaft der Interessen geschaffen habe, welche ihn
schwere Proben siegreich bestehen ließ und im Weltverkehr eine Stelle ver¬
schaffte, auf welche jeder Deutsche mit Befriedigung blickt. Die Worte: „es
ist die Frucht einer naturgemäßen Entwickelung, wenn heute Vertreter der
ganzen Nation sich zur Berathung der gemeinsamen wirthschaftlichen Interessen
Deutschlands versammeln", werden, wenn sie auch jetzt nach einem Jahr noch
wenig Beachtung finden, nach abermals vierzig Jahren als die Einleitung
eines neuen Abschnitts der deutschen Geschichte bezeichnet werden.

Ohne Selbstüberhebung haben die Norddeutschen im letzten Jahr darauf
hingewiesen, daß es nach den Jahren der völligen Zersplitterung doch schon
etwas werth sei, 30 Millionen Deutscher unter einer Verfassung, in einem
Parlament, unter einer Führung vereinigt zu sehen. Ohne irgend einen Zwang
üben zu wollen, luden sie die noch draußen stehenden sieben Millionen —
von denen nur die Bayern und Württemberger, nicht die Badener und Hessen
ernstlich widerstrebten — ein, sichs zu überlegen: ob es nicht rathsamer er¬
scheine, schon jetzt zu kommen und über die Weiterführung des nationalen
Werks mitzuberathen und mitzubeschließen, als beständig mißtrauend, selber
in Meinungen zersplittert und nicht vom Fleck kommend, fern zu bleiben.

Die Antwort lautete vor einem Jahre ablehnend, dennoch waren die Worte,
welche der bayerische Reichsrath Freiherr v. Thüngen als Führer der „süd¬
deutschen Fraction" sprach, die eines Vaterlandsgenossen und sie verdeckten die
trennende Kluft. Herr v. Thüngen wünschte auf eine Weiterbildung der Verträge
nicht einzugehen. Aber das deutsche Herz des Mannes sagte mehr als die
bayerischen Gewöhnungen desselben eigentlich gestatten wollten. Diese Ueoer-
Wältigung der kühlen Reflexion durch den Ausbruch der Vaterlandsliebe war
auch ein guter Moment in den Verhandlungen des Zollparlamenls. „Wir
sind dem Anschluß des Südens an den Norden abgeneigt", sprach Herr v.
Thüngen, „aus Liebe zu unseren Einrichtungen und zu unseren Dynastien."
„Aber wir stehen auf dem Boden der Verträge", setzte der Redner recht¬
schaffen hinzu. „Jeder Schlag, welchen Preußen erhält, trifft uns vielleicht
noch schärfer als dieses selbst. Wir werden gemeinschaftlich mit dem Norden
kämpfen und bluten." Auf allen Seiten des Hauses fanden diese Worte
Beifall.

Als der Nachkomme der fränkischen Ritter des gemeinsamen Kampfes für
das Vaterland gedachte, war er auch über den Main zwischen Süd und Nord
hinweggelangt. Von Grund der Seele mußte der norddeutsche beipflichten, als
Dr. Joseph Volk von Augsburg, Vertreter des im Alpenvorsprung des Allgaus
gelegenen, gewerblich rüstigen politisch geweckten Wahlbezirks Innenstadt,


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[0337] kleinem Anfange hervorgegangene Zollverein sich vermöge der Macht des nationalen Gedankens allmälig über Deutschland ausgedehnt und zwischen seinen Gliedern eine Gemeinschaft der Interessen geschaffen habe, welche ihn schwere Proben siegreich bestehen ließ und im Weltverkehr eine Stelle ver¬ schaffte, auf welche jeder Deutsche mit Befriedigung blickt. Die Worte: „es ist die Frucht einer naturgemäßen Entwickelung, wenn heute Vertreter der ganzen Nation sich zur Berathung der gemeinsamen wirthschaftlichen Interessen Deutschlands versammeln", werden, wenn sie auch jetzt nach einem Jahr noch wenig Beachtung finden, nach abermals vierzig Jahren als die Einleitung eines neuen Abschnitts der deutschen Geschichte bezeichnet werden. Ohne Selbstüberhebung haben die Norddeutschen im letzten Jahr darauf hingewiesen, daß es nach den Jahren der völligen Zersplitterung doch schon etwas werth sei, 30 Millionen Deutscher unter einer Verfassung, in einem Parlament, unter einer Führung vereinigt zu sehen. Ohne irgend einen Zwang üben zu wollen, luden sie die noch draußen stehenden sieben Millionen — von denen nur die Bayern und Württemberger, nicht die Badener und Hessen ernstlich widerstrebten — ein, sichs zu überlegen: ob es nicht rathsamer er¬ scheine, schon jetzt zu kommen und über die Weiterführung des nationalen Werks mitzuberathen und mitzubeschließen, als beständig mißtrauend, selber in Meinungen zersplittert und nicht vom Fleck kommend, fern zu bleiben. Die Antwort lautete vor einem Jahre ablehnend, dennoch waren die Worte, welche der bayerische Reichsrath Freiherr v. Thüngen als Führer der „süd¬ deutschen Fraction" sprach, die eines Vaterlandsgenossen und sie verdeckten die trennende Kluft. Herr v. Thüngen wünschte auf eine Weiterbildung der Verträge nicht einzugehen. Aber das deutsche Herz des Mannes sagte mehr als die bayerischen Gewöhnungen desselben eigentlich gestatten wollten. Diese Ueoer- Wältigung der kühlen Reflexion durch den Ausbruch der Vaterlandsliebe war auch ein guter Moment in den Verhandlungen des Zollparlamenls. „Wir sind dem Anschluß des Südens an den Norden abgeneigt", sprach Herr v. Thüngen, „aus Liebe zu unseren Einrichtungen und zu unseren Dynastien." „Aber wir stehen auf dem Boden der Verträge", setzte der Redner recht¬ schaffen hinzu. „Jeder Schlag, welchen Preußen erhält, trifft uns vielleicht noch schärfer als dieses selbst. Wir werden gemeinschaftlich mit dem Norden kämpfen und bluten." Auf allen Seiten des Hauses fanden diese Worte Beifall. Als der Nachkomme der fränkischen Ritter des gemeinsamen Kampfes für das Vaterland gedachte, war er auch über den Main zwischen Süd und Nord hinweggelangt. Von Grund der Seele mußte der norddeutsche beipflichten, als Dr. Joseph Volk von Augsburg, Vertreter des im Alpenvorsprung des Allgaus gelegenen, gewerblich rüstigen politisch geweckten Wahlbezirks Innenstadt, Wrenjboten II. 1869. 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/337>, abgerufen am 24.07.2024.