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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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schaften in wissenschaftlichen Korporationen und Akademien, die Glaubens¬
gemeinschaften, die materiellen Interessengemeinschaften (Grundbesitz. Capital,
industrielle Arbeit), Die Gesellschaft repräsenttrt gewissermaßen das nega¬
tive Bild eines staatlich organisirten Volks. Die Summe der gesell¬
schaftlichen Interessengemeinschaften, die man unter der Bezeichnung der
Gesellschaft zusammenfaßt, ist nämlich zugleich die Summe der (wirklichen
oder vermeintlichen) Interessengegensätze. In dem positiven Bilde des
Staates ist das Volk zunächst Einheit nach Außen gegen andere Völker,
in dem negativen Bild der Gesellschaft: Nebeneinanderbestehen feindli¬
cher, einander bekämpfender, in bestimmten Formen organisirter Interessen¬
gemeinschaften. Dem Staat fällt dabei eine complicirte Aufgabe zu; er hat
einerseits zu verhindern, daß nicht die Staatsgewalt durch den Eigennutz der
einen Gesellschaftsclasse gegen die andere ausgebeutet werde, aus welchem
Gesichtspunkt insbesondere die Theorie der Volksrepräsentation zu würdigen
ist, sowie ihm andererseits der Schutz des individuellen Freiheitszwecks obliegt,
der durch die den Gesellschaftsgruppen innewohnende Neigung, die einzelnen
Mitglieder für die gesellschaftlichen Sonderzwecke ausschließlich zu beherrschen,
und der allgemeinen staatlichen Lebensaufgabe zu entfremden, gefährdet wird.
Eine nähere Untersuchung führt den Verfasser zu einer Erörterung der kirch¬
lichen Verhältnisse, deren dem Culturzwecke entsprechende, durch den Staat
zu bewirkende Ordnung der Gesetzgebung als eine schwierige Aufgabe noch
vorbehalten ist. Während der Culturzweck auf die Gestaltung der wirth¬
schaftlichen Gesetzgebung den weitgehendsten Einfluß geübt hat, werden die
kirchlichen Gesellschaftsgruppen gegenwärtig nicht nur von denselben Streit¬
fragen bewegt wie vor Jahrhunderten, sondern sie sind auch in neuester Zeit
durch das schwankende Verhalten der Staatsgewalt vielfach in einen ver¬
schärften Gegensatz zu einander gebracht worden. Die Verpflichtung des Staats
zu erfolgreicher Ueberwindung der in der Gesellschaft hervortretenden Spal¬
tungen ist aber keineswegs dadurch erschöpft, daß der Staat seine Neutra¬
lität gegen den Eigennutz der mächtigeren Gesellschaftskörper wahre, durch
Aufrechterhaltung des inneren Friedens die natürliche Entwickelung sicher-
stelle und das Recht der Persönlichkeit gegen corporative Beeinträchtigung
vertheidige, sondern er hat dem Kampf der Interessen vor Allem auch positiv
entgegenzutreten durch Kräftigung des volkstümlichen Gemeinbewußtseins.
Dies geschieht am wirksamsten durch Pflege und Schaffung derjenigen Ein¬
richtungen, welche ohne einer bestimmten Gesellschaftsclasse Vorzugsrechte zu
gewähren, dem Gemeingebrauch Aller offen stehen, wobei vor Allem an eine
im Geist des Culturzwecks gehandhabte Pflege von Kunst, Wissenschaft und
Schule zu denken ist.

Schon die einheitliche Natur des Staats bedingt, daß die hier ent-


Grcnzbotcn II. 18V9. 4

schaften in wissenschaftlichen Korporationen und Akademien, die Glaubens¬
gemeinschaften, die materiellen Interessengemeinschaften (Grundbesitz. Capital,
industrielle Arbeit), Die Gesellschaft repräsenttrt gewissermaßen das nega¬
tive Bild eines staatlich organisirten Volks. Die Summe der gesell¬
schaftlichen Interessengemeinschaften, die man unter der Bezeichnung der
Gesellschaft zusammenfaßt, ist nämlich zugleich die Summe der (wirklichen
oder vermeintlichen) Interessengegensätze. In dem positiven Bilde des
Staates ist das Volk zunächst Einheit nach Außen gegen andere Völker,
in dem negativen Bild der Gesellschaft: Nebeneinanderbestehen feindli¬
cher, einander bekämpfender, in bestimmten Formen organisirter Interessen¬
gemeinschaften. Dem Staat fällt dabei eine complicirte Aufgabe zu; er hat
einerseits zu verhindern, daß nicht die Staatsgewalt durch den Eigennutz der
einen Gesellschaftsclasse gegen die andere ausgebeutet werde, aus welchem
Gesichtspunkt insbesondere die Theorie der Volksrepräsentation zu würdigen
ist, sowie ihm andererseits der Schutz des individuellen Freiheitszwecks obliegt,
der durch die den Gesellschaftsgruppen innewohnende Neigung, die einzelnen
Mitglieder für die gesellschaftlichen Sonderzwecke ausschließlich zu beherrschen,
und der allgemeinen staatlichen Lebensaufgabe zu entfremden, gefährdet wird.
Eine nähere Untersuchung führt den Verfasser zu einer Erörterung der kirch¬
lichen Verhältnisse, deren dem Culturzwecke entsprechende, durch den Staat
zu bewirkende Ordnung der Gesetzgebung als eine schwierige Aufgabe noch
vorbehalten ist. Während der Culturzweck auf die Gestaltung der wirth¬
schaftlichen Gesetzgebung den weitgehendsten Einfluß geübt hat, werden die
kirchlichen Gesellschaftsgruppen gegenwärtig nicht nur von denselben Streit¬
fragen bewegt wie vor Jahrhunderten, sondern sie sind auch in neuester Zeit
durch das schwankende Verhalten der Staatsgewalt vielfach in einen ver¬
schärften Gegensatz zu einander gebracht worden. Die Verpflichtung des Staats
zu erfolgreicher Ueberwindung der in der Gesellschaft hervortretenden Spal¬
tungen ist aber keineswegs dadurch erschöpft, daß der Staat seine Neutra¬
lität gegen den Eigennutz der mächtigeren Gesellschaftskörper wahre, durch
Aufrechterhaltung des inneren Friedens die natürliche Entwickelung sicher-
stelle und das Recht der Persönlichkeit gegen corporative Beeinträchtigung
vertheidige, sondern er hat dem Kampf der Interessen vor Allem auch positiv
entgegenzutreten durch Kräftigung des volkstümlichen Gemeinbewußtseins.
Dies geschieht am wirksamsten durch Pflege und Schaffung derjenigen Ein¬
richtungen, welche ohne einer bestimmten Gesellschaftsclasse Vorzugsrechte zu
gewähren, dem Gemeingebrauch Aller offen stehen, wobei vor Allem an eine
im Geist des Culturzwecks gehandhabte Pflege von Kunst, Wissenschaft und
Schule zu denken ist.

Schon die einheitliche Natur des Staats bedingt, daß die hier ent-


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[0033] schaften in wissenschaftlichen Korporationen und Akademien, die Glaubens¬ gemeinschaften, die materiellen Interessengemeinschaften (Grundbesitz. Capital, industrielle Arbeit), Die Gesellschaft repräsenttrt gewissermaßen das nega¬ tive Bild eines staatlich organisirten Volks. Die Summe der gesell¬ schaftlichen Interessengemeinschaften, die man unter der Bezeichnung der Gesellschaft zusammenfaßt, ist nämlich zugleich die Summe der (wirklichen oder vermeintlichen) Interessengegensätze. In dem positiven Bilde des Staates ist das Volk zunächst Einheit nach Außen gegen andere Völker, in dem negativen Bild der Gesellschaft: Nebeneinanderbestehen feindli¬ cher, einander bekämpfender, in bestimmten Formen organisirter Interessen¬ gemeinschaften. Dem Staat fällt dabei eine complicirte Aufgabe zu; er hat einerseits zu verhindern, daß nicht die Staatsgewalt durch den Eigennutz der einen Gesellschaftsclasse gegen die andere ausgebeutet werde, aus welchem Gesichtspunkt insbesondere die Theorie der Volksrepräsentation zu würdigen ist, sowie ihm andererseits der Schutz des individuellen Freiheitszwecks obliegt, der durch die den Gesellschaftsgruppen innewohnende Neigung, die einzelnen Mitglieder für die gesellschaftlichen Sonderzwecke ausschließlich zu beherrschen, und der allgemeinen staatlichen Lebensaufgabe zu entfremden, gefährdet wird. Eine nähere Untersuchung führt den Verfasser zu einer Erörterung der kirch¬ lichen Verhältnisse, deren dem Culturzwecke entsprechende, durch den Staat zu bewirkende Ordnung der Gesetzgebung als eine schwierige Aufgabe noch vorbehalten ist. Während der Culturzweck auf die Gestaltung der wirth¬ schaftlichen Gesetzgebung den weitgehendsten Einfluß geübt hat, werden die kirchlichen Gesellschaftsgruppen gegenwärtig nicht nur von denselben Streit¬ fragen bewegt wie vor Jahrhunderten, sondern sie sind auch in neuester Zeit durch das schwankende Verhalten der Staatsgewalt vielfach in einen ver¬ schärften Gegensatz zu einander gebracht worden. Die Verpflichtung des Staats zu erfolgreicher Ueberwindung der in der Gesellschaft hervortretenden Spal¬ tungen ist aber keineswegs dadurch erschöpft, daß der Staat seine Neutra¬ lität gegen den Eigennutz der mächtigeren Gesellschaftskörper wahre, durch Aufrechterhaltung des inneren Friedens die natürliche Entwickelung sicher- stelle und das Recht der Persönlichkeit gegen corporative Beeinträchtigung vertheidige, sondern er hat dem Kampf der Interessen vor Allem auch positiv entgegenzutreten durch Kräftigung des volkstümlichen Gemeinbewußtseins. Dies geschieht am wirksamsten durch Pflege und Schaffung derjenigen Ein¬ richtungen, welche ohne einer bestimmten Gesellschaftsclasse Vorzugsrechte zu gewähren, dem Gemeingebrauch Aller offen stehen, wobei vor Allem an eine im Geist des Culturzwecks gehandhabte Pflege von Kunst, Wissenschaft und Schule zu denken ist. Schon die einheitliche Natur des Staats bedingt, daß die hier ent- Grcnzbotcn II. 18V9. 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/33>, abgerufen am 24.07.2024.