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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Rolle in der Diplomatie oder im öffentlichen Leben spielen, werden von dem
Vicekönig mit nie ausbleibender Huld empfangen. Er stellt ihnen Dampf¬
schiffe für die Unreife zur Verfügung, behandelt sie auf der ganzen Reise als
Gäste, gibt ihnen wol auch Begleiter mit -- wer sollte da nicht mit guter
Meinung von den Absichten der Regierung und mit einer noch besseren von
der Liebenswürdigkeit, der Uneigennützigkeit und dem hohen Sinne des
Herrschers zurückkehren? Der gewöhnliche Reisende aber hat kaum Mittel,
sich genügend über die politisch-socialen Zustände eines Landes aufzuklären,
dessen wundersame Natur, großartige Alterthümer, dessen fremdartige und
seltsame Bevölkerung ihn völlig in Anspruch nehmen. Auch der im Lande
lebende Europäer widmet sehr selten seine Zeit einer eindringenden Betrachtung
des Landes, dessen Boden er fast immer nur betreten hat, um Vermögen zu
erwerben oder ein Amt zu übernehmen.

Anfang und Ende in Aegypten ist der Wille des Vicekönigs, des abso¬
lutesten aller Herrscher. Der Sultan hat in seinem Reiche aus eine Menge
verschiedenartiger Stämme Rücksicht zu nehmen, er hat an der überwiegend
griechischen Bevölkerung einen gefährlichen Gegner, mit dem er nicht ganz
nach Willkür verfahren darf. Der Vicekönig von Aegypten hat keinen inne¬
ren Widerstand zu befürchten. Die Bevölkerung ist eine einheitliche, von
seltener Harmlosigkeit und seit Jahrhunderten jeder Regung von Muth bar.
Seine Aegypter werden nur heimlich murren und wie ein zu Tode gejagtes
Wild schweigend verenden, wenn das Maß ihrer Kräfte erschöpft ist; aber
zu fürchten hat der Fürst dieses Volk nicht; auch seine Verzweiflung nicht.

Die ägyptische Regierung ist sich dieser Eigenthümlichkeit ihrer Unter¬
thanen vollständig bewußt. Sie scheut auch vor den äußersten Schritten nicht
zurück, und saugt die Bevölkerung aus bis aufs Blut. Denn nicht einmal
der Gedanke an die Nothwendigkeit, sich die Kräfte des Volks zu fernerer
Ausnutzung zu erhalten, setzt der Willkür eine Grenze; ganz im Geiste
jener kurzathmiger orientalischen Staatsweisheit, eher die Fundamente des
eigenen Hauses abzubrechen, als seine Bausteine zehn Schritte weiter zu suchen.

Dergleichen hatte eine gewisse Begveiflichkeit, so lange noch die ursprüng¬
liche muhamedanische Erbfolgeordnung bestand, nach welcher der Aelteste
der Familie succedirt. Der Vicekönig hat aber bekanntlich mit unge¬
heuern Opfern die Zustimmung der Pforte zur Umwandlung der orientali¬
schen in die europäische Nachfolge des ältesten Sohnes erkauft. Es läge
demnach doch in seinem eigensten Interesse, das Land nicht so auszusaugen.
daß seinem Sohne nur der Bankerott übrig bleiben kann. In seiner vor we¬
nigen Wochen gehaltenen Thronrede führt er wiederholt aus, wie günstig
die Lage des Landes, und wie sehr er für das Wohl dess^"'en besorgt sei.
In Wahrheit waren die Steuern noch zu keiner Zeit so über all.? Maß ge-


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Rolle in der Diplomatie oder im öffentlichen Leben spielen, werden von dem
Vicekönig mit nie ausbleibender Huld empfangen. Er stellt ihnen Dampf¬
schiffe für die Unreife zur Verfügung, behandelt sie auf der ganzen Reise als
Gäste, gibt ihnen wol auch Begleiter mit — wer sollte da nicht mit guter
Meinung von den Absichten der Regierung und mit einer noch besseren von
der Liebenswürdigkeit, der Uneigennützigkeit und dem hohen Sinne des
Herrschers zurückkehren? Der gewöhnliche Reisende aber hat kaum Mittel,
sich genügend über die politisch-socialen Zustände eines Landes aufzuklären,
dessen wundersame Natur, großartige Alterthümer, dessen fremdartige und
seltsame Bevölkerung ihn völlig in Anspruch nehmen. Auch der im Lande
lebende Europäer widmet sehr selten seine Zeit einer eindringenden Betrachtung
des Landes, dessen Boden er fast immer nur betreten hat, um Vermögen zu
erwerben oder ein Amt zu übernehmen.

Anfang und Ende in Aegypten ist der Wille des Vicekönigs, des abso¬
lutesten aller Herrscher. Der Sultan hat in seinem Reiche aus eine Menge
verschiedenartiger Stämme Rücksicht zu nehmen, er hat an der überwiegend
griechischen Bevölkerung einen gefährlichen Gegner, mit dem er nicht ganz
nach Willkür verfahren darf. Der Vicekönig von Aegypten hat keinen inne¬
ren Widerstand zu befürchten. Die Bevölkerung ist eine einheitliche, von
seltener Harmlosigkeit und seit Jahrhunderten jeder Regung von Muth bar.
Seine Aegypter werden nur heimlich murren und wie ein zu Tode gejagtes
Wild schweigend verenden, wenn das Maß ihrer Kräfte erschöpft ist; aber
zu fürchten hat der Fürst dieses Volk nicht; auch seine Verzweiflung nicht.

Die ägyptische Regierung ist sich dieser Eigenthümlichkeit ihrer Unter¬
thanen vollständig bewußt. Sie scheut auch vor den äußersten Schritten nicht
zurück, und saugt die Bevölkerung aus bis aufs Blut. Denn nicht einmal
der Gedanke an die Nothwendigkeit, sich die Kräfte des Volks zu fernerer
Ausnutzung zu erhalten, setzt der Willkür eine Grenze; ganz im Geiste
jener kurzathmiger orientalischen Staatsweisheit, eher die Fundamente des
eigenen Hauses abzubrechen, als seine Bausteine zehn Schritte weiter zu suchen.

Dergleichen hatte eine gewisse Begveiflichkeit, so lange noch die ursprüng¬
liche muhamedanische Erbfolgeordnung bestand, nach welcher der Aelteste
der Familie succedirt. Der Vicekönig hat aber bekanntlich mit unge¬
heuern Opfern die Zustimmung der Pforte zur Umwandlung der orientali¬
schen in die europäische Nachfolge des ältesten Sohnes erkauft. Es läge
demnach doch in seinem eigensten Interesse, das Land nicht so auszusaugen.
daß seinem Sohne nur der Bankerott übrig bleiben kann. In seiner vor we¬
nigen Wochen gehaltenen Thronrede führt er wiederholt aus, wie günstig
die Lage des Landes, und wie sehr er für das Wohl dess^"'en besorgt sei.
In Wahrheit waren die Steuern noch zu keiner Zeit so über all.? Maß ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/299>, abgerufen am 04.07.2024.