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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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das zwar zu allen thunltchen Ersparnissen beredt zu sein scheint, eine Aende¬
rung der Militairorganisation aber niemals zugeben kann, eine äußerst
schwierige werden wird. Dann dürfte aber auch die Gefahr nahe treten,
daß das Ruder der Regierung der unsichern und schwankenden Hand der
Liberalen, deren nationale Begeisterung so rasch erschöpft zu sein scheint,
entgleiten, und mit Hülfe von Persönlichkeiten, die den bisherigen Partei¬
kämpfen ferner stehen, ein neuer Versuch gemacht werde, ob auf dem Boden
der bestehenden Gesetzgebung eine Beschwichtigung der Gemüther und die
Aufrechthaltung der nationalen Verbindung mit den Norden in dem bisher
gewonnenen Umfange zu erreichen ist.




Eine Erinnerung an Dresdens iitcrarifthe Vergangenheit.

Obgleich mit Recht längst vergessen, hatten doch in der Zeit vor 1830
und noch einige Jahre nachher der sogenannte Dresdner Liederkreis und
das Organ desselben, die "Abendzeitung", eine jetzt kaum begreifliche
Bedeutung in Dresden selbst und in einem großen Theile Deutschlands.
Zwar hat von jeher in Dresden, dem Wallfahrtsort so vieler Fremder, die
eine behagliche und mäßige Zerstreuung suchen, die Mittelmäßigkeit sich brei¬
ter gemacht als irgendwo, aber niemals ist sie zu solchem Ansehen und Ein¬
fluß gekommen, wie damals hier in der schönen Literatur.

Schon vor der Besetzung Sachsens durch die Franzosen hatten Fr. Laun
und Theodor Hell ein ästhetisches Kränzchen gegründet. Aber erst nach Be¬
endigung des Kriegs kam es zu Kräften, wucherte in der nächsten Zeit üppig
während der schlaffen Reactionsperiode und blühte noch nach dem Jahre 1830
einige Zeit fort, bis das neue Leben allmälig auch die Dresdener Luft so
afficirte, daß jener Verein zu kränkeln begann und abstarb. Es war aller¬
dings ursprünglich eine ganz harmlose Beschäftigung, diese Thätigkeit für
Poesie und ästhetische Unterhaltung durch Dilettanten, die im bürgerlichen
Leben ganz achtbar waren. Da sie sich aber in gegenseitiger Lobhudelei
bald für bedeutende Dichter und Aesthetiker hielten, da sie mit ihrer oft sehr
geschmacklosen Toleranz auch in größeren Kreisen erschlaffend und verwirrend
wirkten und dem auftauchenden Besseren in der Heimath wie auswärts Jahre
lang mit Erfolg entgegenarbeiteten, so hat die Literaturgeschichte mit vollem
Rechte ein strenges Urtheil über ihr Treiben gefällt. Der eigentliche Her-


das zwar zu allen thunltchen Ersparnissen beredt zu sein scheint, eine Aende¬
rung der Militairorganisation aber niemals zugeben kann, eine äußerst
schwierige werden wird. Dann dürfte aber auch die Gefahr nahe treten,
daß das Ruder der Regierung der unsichern und schwankenden Hand der
Liberalen, deren nationale Begeisterung so rasch erschöpft zu sein scheint,
entgleiten, und mit Hülfe von Persönlichkeiten, die den bisherigen Partei¬
kämpfen ferner stehen, ein neuer Versuch gemacht werde, ob auf dem Boden
der bestehenden Gesetzgebung eine Beschwichtigung der Gemüther und die
Aufrechthaltung der nationalen Verbindung mit den Norden in dem bisher
gewonnenen Umfange zu erreichen ist.




Eine Erinnerung an Dresdens iitcrarifthe Vergangenheit.

Obgleich mit Recht längst vergessen, hatten doch in der Zeit vor 1830
und noch einige Jahre nachher der sogenannte Dresdner Liederkreis und
das Organ desselben, die „Abendzeitung", eine jetzt kaum begreifliche
Bedeutung in Dresden selbst und in einem großen Theile Deutschlands.
Zwar hat von jeher in Dresden, dem Wallfahrtsort so vieler Fremder, die
eine behagliche und mäßige Zerstreuung suchen, die Mittelmäßigkeit sich brei¬
ter gemacht als irgendwo, aber niemals ist sie zu solchem Ansehen und Ein¬
fluß gekommen, wie damals hier in der schönen Literatur.

Schon vor der Besetzung Sachsens durch die Franzosen hatten Fr. Laun
und Theodor Hell ein ästhetisches Kränzchen gegründet. Aber erst nach Be¬
endigung des Kriegs kam es zu Kräften, wucherte in der nächsten Zeit üppig
während der schlaffen Reactionsperiode und blühte noch nach dem Jahre 1830
einige Zeit fort, bis das neue Leben allmälig auch die Dresdener Luft so
afficirte, daß jener Verein zu kränkeln begann und abstarb. Es war aller¬
dings ursprünglich eine ganz harmlose Beschäftigung, diese Thätigkeit für
Poesie und ästhetische Unterhaltung durch Dilettanten, die im bürgerlichen
Leben ganz achtbar waren. Da sie sich aber in gegenseitiger Lobhudelei
bald für bedeutende Dichter und Aesthetiker hielten, da sie mit ihrer oft sehr
geschmacklosen Toleranz auch in größeren Kreisen erschlaffend und verwirrend
wirkten und dem auftauchenden Besseren in der Heimath wie auswärts Jahre
lang mit Erfolg entgegenarbeiteten, so hat die Literaturgeschichte mit vollem
Rechte ein strenges Urtheil über ihr Treiben gefällt. Der eigentliche Her-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/268>, abgerufen am 04.07.2024.