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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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gefunden, die weitere Verhandlung der Anklage abzuschneiden. Natürlich
hat im clericalen Lager diese Entscheidung großen Jubel erregt, wenn man
daselbst auch an dem günstigen Ausgang des Processes nie gezweifelt, und
im Voraus den höchsten Gerichtshof als den Felsen bezeichnet hatte, an dem
auch diese Anklage, wie im Laufe von zwei Jahren acht andere von der
Regierung eingeleitete Processe, scheitern werde. Die in diesen Processen
unter der Leitung des Oberhofrichters von Marschall, der plötzlich aus der
Mitte des weiland Bundestages an die Spitze des höchsten Gerichtshofes
berufen wurde, gefällten Urtheile konnten allerdings zu den kühnsten Hoff¬
nungen berechtigen, denn sit hatten u. A. festgestellt, daß die Regierung,
wenn sie auch das Recht habe ein angeblich unkatholisches Lesebuch in allen
Volksschulen des Landes einzuführen, doch nicht befugt sei, eine locale Schul¬
behörde zu der Einführung zu ermächtigen, sie hatten der katholischen Kirche
einen "privat-rechtlichen" Anspruch auf die Aufsicht über die Verwaltung
aller kirchlichen Stiftungen zugesprochen, andererseits in dem der zweiten
Kammer gemachten Vorwurf, durch Bewilligung erhöhter Steuern das Volk
in Wahrheit "vertreten" zu haben, nur eine injurig. Isvis, aber keine grobe
Schmähung erblickt, und die gegen die Regierung erhobene Beschuldigung
einer Gewaltthätigkeit benigng, indol-pretg-livre dahin ausgelegt, daß damit
wohl nur die Anwendung der Regierungsgewalt gemeint gewesen.

Diese freundlichen Sympathien zwischen Freiburg und Mannheim hatten
sich auch jetzt wieder so wirksam erwiesen, daß schon sechs Tage vor Eröff¬
nung des Erkenntnisses Herr Kübel Gratulationen wegen der glücklichen Er¬
ledigung der Anklage entgegen nehmen konnte. So fest begründet das An¬
sehen des Gerichtshofes hiernach bet der ultramontanen Partei sein mag,
so sind die Ansichten über seine Thätigkeit auf der entgegengesetzten Seite
um so unfreundlicher, zumal die Sorge für eine ungehemmte Wirksamkeit
der Presse gegen Angeklagte aus der demokratischen und liberalen Partei
sich keineswegs zu erkennen gab.

Die Abweisung der Anklage wird unter diesen Verhältnissen dem An¬
sehen der Regierung keinen erheblichen Abbruch thun, sie wird aber immer¬
hin der Agitation der ultramontanen Partei Vorschub leisten, da diese die
Straflosigkeit aller Ausschreitungen für gesichert ansieht und jede zurückge¬
wiesene Anklage als eine Bekräftigung der Beschuldigungen verwerthet, welche
sie gegen die Willkür und Parteilichkeit der Regierung täglich erhebt. Diese
Umtriebe finden aber -- und darüber vermag sich Niemand mehr zu täu¬
schen -- ein geneigtes Ohr in den weitesten Kreisen der Landbevölkerung,
unter welcher die Erhöhung der Steuern, die durch die Vermehrung des Armee¬
corps, die Besserstellung der Volksschullehrer und eine nicht sehr geschickt
ausgeführte Abwälzung des Aufwandes für den Straßenbau auf die Ge-


gefunden, die weitere Verhandlung der Anklage abzuschneiden. Natürlich
hat im clericalen Lager diese Entscheidung großen Jubel erregt, wenn man
daselbst auch an dem günstigen Ausgang des Processes nie gezweifelt, und
im Voraus den höchsten Gerichtshof als den Felsen bezeichnet hatte, an dem
auch diese Anklage, wie im Laufe von zwei Jahren acht andere von der
Regierung eingeleitete Processe, scheitern werde. Die in diesen Processen
unter der Leitung des Oberhofrichters von Marschall, der plötzlich aus der
Mitte des weiland Bundestages an die Spitze des höchsten Gerichtshofes
berufen wurde, gefällten Urtheile konnten allerdings zu den kühnsten Hoff¬
nungen berechtigen, denn sit hatten u. A. festgestellt, daß die Regierung,
wenn sie auch das Recht habe ein angeblich unkatholisches Lesebuch in allen
Volksschulen des Landes einzuführen, doch nicht befugt sei, eine locale Schul¬
behörde zu der Einführung zu ermächtigen, sie hatten der katholischen Kirche
einen „privat-rechtlichen" Anspruch auf die Aufsicht über die Verwaltung
aller kirchlichen Stiftungen zugesprochen, andererseits in dem der zweiten
Kammer gemachten Vorwurf, durch Bewilligung erhöhter Steuern das Volk
in Wahrheit „vertreten" zu haben, nur eine injurig. Isvis, aber keine grobe
Schmähung erblickt, und die gegen die Regierung erhobene Beschuldigung
einer Gewaltthätigkeit benigng, indol-pretg-livre dahin ausgelegt, daß damit
wohl nur die Anwendung der Regierungsgewalt gemeint gewesen.

Diese freundlichen Sympathien zwischen Freiburg und Mannheim hatten
sich auch jetzt wieder so wirksam erwiesen, daß schon sechs Tage vor Eröff¬
nung des Erkenntnisses Herr Kübel Gratulationen wegen der glücklichen Er¬
ledigung der Anklage entgegen nehmen konnte. So fest begründet das An¬
sehen des Gerichtshofes hiernach bet der ultramontanen Partei sein mag,
so sind die Ansichten über seine Thätigkeit auf der entgegengesetzten Seite
um so unfreundlicher, zumal die Sorge für eine ungehemmte Wirksamkeit
der Presse gegen Angeklagte aus der demokratischen und liberalen Partei
sich keineswegs zu erkennen gab.

Die Abweisung der Anklage wird unter diesen Verhältnissen dem An¬
sehen der Regierung keinen erheblichen Abbruch thun, sie wird aber immer¬
hin der Agitation der ultramontanen Partei Vorschub leisten, da diese die
Straflosigkeit aller Ausschreitungen für gesichert ansieht und jede zurückge¬
wiesene Anklage als eine Bekräftigung der Beschuldigungen verwerthet, welche
sie gegen die Willkür und Parteilichkeit der Regierung täglich erhebt. Diese
Umtriebe finden aber — und darüber vermag sich Niemand mehr zu täu¬
schen — ein geneigtes Ohr in den weitesten Kreisen der Landbevölkerung,
unter welcher die Erhöhung der Steuern, die durch die Vermehrung des Armee¬
corps, die Besserstellung der Volksschullehrer und eine nicht sehr geschickt
ausgeführte Abwälzung des Aufwandes für den Straßenbau auf die Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/266>, abgerufen am 04.07.2024.