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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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wAis quoique! Aber es will uns fast scheinen. Herr Hesekiel habe mehr für
den märkischen Adel, als für das deutsche Volk geschrieben. Denn der Ver¬
sasser hat für den Adel eine ungemessene Vorliebe, schwärmt für alte Schlösser.
Wappen und Stammbäume, erzählt mit Behagen alte Geschlechts- und Erb¬
schaftsgeschichten. Er ereifert sich sich S. 31 sehr über Riedel. der die Mei¬
nung aufgestellt hat. die Vorfahren Bismarcks wären wohl eigentlich, da sie
der Gilde der Gewandschneider in Stendal angehört hätten , bürgerlichen
Standes gewesen; er nennt das Bestreben. Bismarck für den Bürgerstand
zu erobern, pueril und macht den unglücklichen Vergleich S. 32: Darum,
weil Blücher von der Schneidergilde in London zum Mitgliede aufgenommen
worden sei, könne man eben doch nicht den Geburtsadel absprechen! Er wird
es wohl auch "pueril" nennen, wenn seine Leser ihre Freude aussprechen,
daß Bismarck's Mutter eine Bürgerliche war. -- Auch den Adel früherer Zeit
in seinem mannhaften Trotze gegen die Uebergriffe des Landesherrn faßt
Hesekiel in beschränkter Weise auf, vom Standpunkte des heutigen Hofadels;
auch darum ist seine Geschichte der alten Bismarcke gänzlich kritik- und
werthlos. Die lange Abhandlung über das Bismarck'sche Wappen paßt
schwerlich in ein Volksbuch, so wie es durchaus nicht interessant ist. zu er¬
fahren, wie die pommerschen Güter in den Besitz der Familie gekommen sind.

Der politische Standpunkt des Verfassers ist also noch ganz der der
alten Kreuzzeitungspartei. Er macht allerdings hier und da. der Wandelung
seines Helden wegen, einige kleine Concessionen; aber er spricht doch mit
einer gewissen Andacht von dem "idealen Konservatismus Gerlach's", greift
(im Jahre 1869!) noch nachträglich die Opposition des Vereinigten Landtags
an. während es doch jetzt einem Blinden sonnenklar ist. daß, wenn man da¬
mals der Opposition gefolgt wäre, man wahrscheinlich die Revolution ver¬
mieden hätte. Zuweilen scheint es kaum glaublich, daß in unseren Tagen
noch dergleichen Unsinn gesagt wird; man vergleiche S. 129 u, folg. --
Herr Hesekiel spricht von dem edlen Patriotismus, der Manteuffel den schwe¬
ren Gang nach Ollmütz thun ließ (S. 170 eines Buches, das zum Preise
des Grafen Bismarck geschrieben ist!). Es ist nicht nur lustig, es ist auch
tief widerwärtig, durch den begünstigten Biographen des Grafen unablässig
daran erinnert zu werden, daß er der Partei des seligen Stahl angehört,
einer Partei, die bekanntlich Preußen nicht groß gemacht hat.

Er theilt auch einige Reden Bismarck's mit. die sehr interessant sind,
um den weiten Weg zu überschauen, den Bismarck zurücklegen mußte, ehe er
zu seinem jetzigen Standpunkte gelangte, die ihn aber bei der großen Zahl
der Leser, für die das Buch geschrieben ist, schwerlich populär machen wer¬
den. Man könnte bei manchen Anführungen von Bismarck's Worten aus
früherer Zeit fast glauben, ein Feind habe das Buch verfaßt, so schneidend


wAis quoique! Aber es will uns fast scheinen. Herr Hesekiel habe mehr für
den märkischen Adel, als für das deutsche Volk geschrieben. Denn der Ver¬
sasser hat für den Adel eine ungemessene Vorliebe, schwärmt für alte Schlösser.
Wappen und Stammbäume, erzählt mit Behagen alte Geschlechts- und Erb¬
schaftsgeschichten. Er ereifert sich sich S. 31 sehr über Riedel. der die Mei¬
nung aufgestellt hat. die Vorfahren Bismarcks wären wohl eigentlich, da sie
der Gilde der Gewandschneider in Stendal angehört hätten , bürgerlichen
Standes gewesen; er nennt das Bestreben. Bismarck für den Bürgerstand
zu erobern, pueril und macht den unglücklichen Vergleich S. 32: Darum,
weil Blücher von der Schneidergilde in London zum Mitgliede aufgenommen
worden sei, könne man eben doch nicht den Geburtsadel absprechen! Er wird
es wohl auch „pueril" nennen, wenn seine Leser ihre Freude aussprechen,
daß Bismarck's Mutter eine Bürgerliche war. — Auch den Adel früherer Zeit
in seinem mannhaften Trotze gegen die Uebergriffe des Landesherrn faßt
Hesekiel in beschränkter Weise auf, vom Standpunkte des heutigen Hofadels;
auch darum ist seine Geschichte der alten Bismarcke gänzlich kritik- und
werthlos. Die lange Abhandlung über das Bismarck'sche Wappen paßt
schwerlich in ein Volksbuch, so wie es durchaus nicht interessant ist. zu er¬
fahren, wie die pommerschen Güter in den Besitz der Familie gekommen sind.

Der politische Standpunkt des Verfassers ist also noch ganz der der
alten Kreuzzeitungspartei. Er macht allerdings hier und da. der Wandelung
seines Helden wegen, einige kleine Concessionen; aber er spricht doch mit
einer gewissen Andacht von dem „idealen Konservatismus Gerlach's", greift
(im Jahre 1869!) noch nachträglich die Opposition des Vereinigten Landtags
an. während es doch jetzt einem Blinden sonnenklar ist. daß, wenn man da¬
mals der Opposition gefolgt wäre, man wahrscheinlich die Revolution ver¬
mieden hätte. Zuweilen scheint es kaum glaublich, daß in unseren Tagen
noch dergleichen Unsinn gesagt wird; man vergleiche S. 129 u, folg. —
Herr Hesekiel spricht von dem edlen Patriotismus, der Manteuffel den schwe¬
ren Gang nach Ollmütz thun ließ (S. 170 eines Buches, das zum Preise
des Grafen Bismarck geschrieben ist!). Es ist nicht nur lustig, es ist auch
tief widerwärtig, durch den begünstigten Biographen des Grafen unablässig
daran erinnert zu werden, daß er der Partei des seligen Stahl angehört,
einer Partei, die bekanntlich Preußen nicht groß gemacht hat.

Er theilt auch einige Reden Bismarck's mit. die sehr interessant sind,
um den weiten Weg zu überschauen, den Bismarck zurücklegen mußte, ehe er
zu seinem jetzigen Standpunkte gelangte, die ihn aber bei der großen Zahl
der Leser, für die das Buch geschrieben ist, schwerlich populär machen wer¬
den. Man könnte bei manchen Anführungen von Bismarck's Worten aus
früherer Zeit fast glauben, ein Feind habe das Buch verfaßt, so schneidend


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/262>, abgerufen am 24.07.2024.