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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Doch betrachten wir näher, was Herr Hesekiel selbst gemacht hat. Wir
denken uns, wenn Jemand die Feder ansetzt, ein Buch über Graf Bismarck
zu schreiben, wenn er unternimmt, mit dem reichsten Material in den Hän-
den, ein Bild seiner äußeren Schicksale, seiner inneren Entwickelung zu geben,
auch ein unbedeutender Schriftsteller müßte sich von dem großen Gegenstand
seiner Darstellung gehoben fühlen und von würdigen Dingen auch würdig
reden. Wie beginnt Herr Hesekiel? Wir schlagen die erste Seite auf und
trauen kaum unsern Augen, wenn wir lesen: "In Genthin verließen wir die
Eisenbahn".

Dieses geistreiche Eintreten lo insäiam rem erinnert uns an den Anfang
einer höchst trübseligen Novelle, die wir einst in vormärzlicher Zeit in einem
Journal fanden; dieselbe begann: "Clärchen hieß sie" -- ein Paukenschlag,
wie in der Oberon-Ouverture. Auf den Rang eines solchen obscurer No¬
vellisten müssen wir den Schriftsteller setzen, der es unternimmt, das Leben
des bekanntesten Staatsmannes der Gegenwart zu schreiben!

Es geht im gleichen Tone weiter; halb liest sich der Text wie eine No¬
velle, halb wie ein Reisebild, etwa aus der "Gartenlaube", oder sagen wir
lieber, da der conservative Versasser das übel deuten könnte, wie im "Da¬
heim". Nachdem uns versichert worden ist, daß die Plotho und die Gänse
zu Putlitz noch von den alten wendischen Fürsten abstammen, wird berichtet,
daß der Landrath v. Brauchitsch die älteste Tochter des Ministers v. Roon
zwei Tage vorher heimgeführt habe, nämlich vor dem historischen Tage, an
welchem Herr Hesekiel die Eisenbahn verließ. Dann wird ein lyrischer Ton
angeschlagen: "Juni-Nachmittag -- grünes Land -- Lindenblüthenduft --
Heugeruch". Auch die Romantik kommt nicht zu kurz: die Haide "trat an
unseren Weg." "Scheu und neugierig" schaute das Damwild herüber.
Noch einmal werden wir in die Gegenwart versetzt. "Abendgesellschaft in
Tangermünde mit frischen Damentoiletten und glänzenden Uniformen" (4. Es¬
cadron des westfälischen Dragonerregiments) u. f. w. u. f. w. Wir wollen
nicht ermüden mit langen Auszügen; sie sind auch nicht des Abschreibens
werth. Nur noch ein paar Proben, wie hier das Leben des Grafen Bis¬
marck erzählt wird, können wir den Lesern nicht vorenthalten: S. 17. "Frau
Inspectorin Bellin erquickte uns hier mit Erdbeeren, und es machte uns einen
fast historischen (!) Eindruck, Erdbeeren aus Bismarck's Garten in Bis-
marck's Bibliothekzimmer zu essen." S. 18 werden einige ziemlich harmlose
Spukgeschichten erzählt. "Uevrigens wäre Schönhausen gar kein rechter
altmärkischer Edelsitz. wenn es nicht seine gehörigen Spukgeschichten hätte."
Auch Bismarck habe einmal "etwas gehört". S. 84 wird berichtet, daß die
Freuden der Ferienzeit einen besonderen Reiz erhielten durch eine Art Käse¬
kuchen, der bei den Blankenburg in Zimmerhausen "in ganz hervorragender


Doch betrachten wir näher, was Herr Hesekiel selbst gemacht hat. Wir
denken uns, wenn Jemand die Feder ansetzt, ein Buch über Graf Bismarck
zu schreiben, wenn er unternimmt, mit dem reichsten Material in den Hän-
den, ein Bild seiner äußeren Schicksale, seiner inneren Entwickelung zu geben,
auch ein unbedeutender Schriftsteller müßte sich von dem großen Gegenstand
seiner Darstellung gehoben fühlen und von würdigen Dingen auch würdig
reden. Wie beginnt Herr Hesekiel? Wir schlagen die erste Seite auf und
trauen kaum unsern Augen, wenn wir lesen: „In Genthin verließen wir die
Eisenbahn".

Dieses geistreiche Eintreten lo insäiam rem erinnert uns an den Anfang
einer höchst trübseligen Novelle, die wir einst in vormärzlicher Zeit in einem
Journal fanden; dieselbe begann: „Clärchen hieß sie" — ein Paukenschlag,
wie in der Oberon-Ouverture. Auf den Rang eines solchen obscurer No¬
vellisten müssen wir den Schriftsteller setzen, der es unternimmt, das Leben
des bekanntesten Staatsmannes der Gegenwart zu schreiben!

Es geht im gleichen Tone weiter; halb liest sich der Text wie eine No¬
velle, halb wie ein Reisebild, etwa aus der „Gartenlaube", oder sagen wir
lieber, da der conservative Versasser das übel deuten könnte, wie im „Da¬
heim". Nachdem uns versichert worden ist, daß die Plotho und die Gänse
zu Putlitz noch von den alten wendischen Fürsten abstammen, wird berichtet,
daß der Landrath v. Brauchitsch die älteste Tochter des Ministers v. Roon
zwei Tage vorher heimgeführt habe, nämlich vor dem historischen Tage, an
welchem Herr Hesekiel die Eisenbahn verließ. Dann wird ein lyrischer Ton
angeschlagen: „Juni-Nachmittag — grünes Land — Lindenblüthenduft —
Heugeruch". Auch die Romantik kommt nicht zu kurz: die Haide „trat an
unseren Weg." „Scheu und neugierig" schaute das Damwild herüber.
Noch einmal werden wir in die Gegenwart versetzt. „Abendgesellschaft in
Tangermünde mit frischen Damentoiletten und glänzenden Uniformen" (4. Es¬
cadron des westfälischen Dragonerregiments) u. f. w. u. f. w. Wir wollen
nicht ermüden mit langen Auszügen; sie sind auch nicht des Abschreibens
werth. Nur noch ein paar Proben, wie hier das Leben des Grafen Bis¬
marck erzählt wird, können wir den Lesern nicht vorenthalten: S. 17. „Frau
Inspectorin Bellin erquickte uns hier mit Erdbeeren, und es machte uns einen
fast historischen (!) Eindruck, Erdbeeren aus Bismarck's Garten in Bis-
marck's Bibliothekzimmer zu essen." S. 18 werden einige ziemlich harmlose
Spukgeschichten erzählt. „Uevrigens wäre Schönhausen gar kein rechter
altmärkischer Edelsitz. wenn es nicht seine gehörigen Spukgeschichten hätte."
Auch Bismarck habe einmal „etwas gehört". S. 84 wird berichtet, daß die
Freuden der Ferienzeit einen besonderen Reiz erhielten durch eine Art Käse¬
kuchen, der bei den Blankenburg in Zimmerhausen „in ganz hervorragender


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/260>, abgerufen am 28.06.2024.