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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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erklären, daß der König neutral zu bleiben wünsche. Diese Neutralität könne
für Frankreich nur vortheilhaft sein, da es so von Seite Italiens keinen
feindlichen Einfall zu befürchten habe. Dagegen stellte Thiers dem Gesandten
in lebhaftester Weise die Gefahren der Neutralität eines Landes vor. das
zwischen zwei aufeinanderprallenden Staaten nicht Partei zu nehmen wage.
Dabei wußte er die Allianz mit Frankreich so vortheilhaft als möglich dar¬
zustellen. Frankreich werde nicht in die Irrthümer des Kaiserreichs zurück¬
fallen und niemals seine Grenzen jenseits der Alpen ausdehnen. Dagegen
würde die piemontefische Regierung, die gleichfalls nichts über den Alpen zu
suchen habe, Gelegenheit finden, auf der anderen Seite die Artischocke auf¬
zublättern. Worauf Crotti versicherte, daß der König keineswegs die Absicht
habe, der Aussicht auf Eroberungen den Frieden aufzuopfern. In einer spä¬
teren Unterredung zwischen Thiers und dem ordentlichen Gesandten Bri-
gnole (im October 1840) warf jener der sardinischen Politik ihr östreichi¬
sches Colorit vor. Die Neutralität Sardiniens wäre viel vortheilhafter für
Oestreich als für Frankreich. Aus die wiederholte Betheuerung des französi¬
schen Ministers, daß er Piemont wesentlich vergrößert wissen wolle, ent-
gegnete Brignole, daß es nicht so leicht sein möchte, Oberitalien gegen die
östreichische Herrschaft zu revolutioniren. Die Bevölkerung von Lombardo-
Venetien lebe im Allgemeinen glücklich und zufrieden, und wenn auch in den
Städten, besonders unter den Mittelclassen der liberale und nationale Geist
Viele Köpfe erhitze, wolle doch das kleine Volk, besonders auf dem Lande,
nichts von einer Veränderung seiner Lage wissen.

Uebrigens sah in kurzem La Margherita die Unmöglichkeit der Neutra¬
lität ein und stellte sich ganz auf die Seite Oestreichs, wozu auch Lord Pät"
merston dringend rieth. der zugleich für den Fall des Kriegs ernsthafte
Bürgschaften für den Territorialbestand des Königreichs zusagte, ohne sich
jedoch über die Aussicht einer Gebietserwerbung bestimmt auszusprechen.
Der Gesandte Pollone in London hatte freilich, als er diese Rathschläge
übermittelte, gleichzeitig ein vertrauliches Schreiben beigefügt, in welchem er
vor dem Bündniß mit Oestreich, das von "wildem Haß" gegen Piemont be¬
seelt sei, warnte und zur größten Vorsicht ermahnte. (27. Oct. 1840.)'

Pollone erwies sich damit als würdiger Nachfolger des Grafen dAglie,
der nie aufgehört hatte, an die ehrgeizigen Pläne und die unversöhnliche
Feindschaft Oestreichs zu erinnern, und der dem Grafen Solaro della Marghe¬
rita zu bedenken gab. daß seit alten Zeiten die Ueberlieferungen der Po¬
litik des Hauses Savoyen auf der Maxime ruhen, keine dauernde Allianz zu
haben, und ein gleiches Verhalten gegen den einen wie gegen den anderen
seiner beiden mächtigen Nachbaren zu bewahren." (9. Juli 1836.) Ueber¬
haupt waren solche Warnungen, welche an die alte Tradition Sardiniens


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erklären, daß der König neutral zu bleiben wünsche. Diese Neutralität könne
für Frankreich nur vortheilhaft sein, da es so von Seite Italiens keinen
feindlichen Einfall zu befürchten habe. Dagegen stellte Thiers dem Gesandten
in lebhaftester Weise die Gefahren der Neutralität eines Landes vor. das
zwischen zwei aufeinanderprallenden Staaten nicht Partei zu nehmen wage.
Dabei wußte er die Allianz mit Frankreich so vortheilhaft als möglich dar¬
zustellen. Frankreich werde nicht in die Irrthümer des Kaiserreichs zurück¬
fallen und niemals seine Grenzen jenseits der Alpen ausdehnen. Dagegen
würde die piemontefische Regierung, die gleichfalls nichts über den Alpen zu
suchen habe, Gelegenheit finden, auf der anderen Seite die Artischocke auf¬
zublättern. Worauf Crotti versicherte, daß der König keineswegs die Absicht
habe, der Aussicht auf Eroberungen den Frieden aufzuopfern. In einer spä¬
teren Unterredung zwischen Thiers und dem ordentlichen Gesandten Bri-
gnole (im October 1840) warf jener der sardinischen Politik ihr östreichi¬
sches Colorit vor. Die Neutralität Sardiniens wäre viel vortheilhafter für
Oestreich als für Frankreich. Aus die wiederholte Betheuerung des französi¬
schen Ministers, daß er Piemont wesentlich vergrößert wissen wolle, ent-
gegnete Brignole, daß es nicht so leicht sein möchte, Oberitalien gegen die
östreichische Herrschaft zu revolutioniren. Die Bevölkerung von Lombardo-
Venetien lebe im Allgemeinen glücklich und zufrieden, und wenn auch in den
Städten, besonders unter den Mittelclassen der liberale und nationale Geist
Viele Köpfe erhitze, wolle doch das kleine Volk, besonders auf dem Lande,
nichts von einer Veränderung seiner Lage wissen.

Uebrigens sah in kurzem La Margherita die Unmöglichkeit der Neutra¬
lität ein und stellte sich ganz auf die Seite Oestreichs, wozu auch Lord Pät«
merston dringend rieth. der zugleich für den Fall des Kriegs ernsthafte
Bürgschaften für den Territorialbestand des Königreichs zusagte, ohne sich
jedoch über die Aussicht einer Gebietserwerbung bestimmt auszusprechen.
Der Gesandte Pollone in London hatte freilich, als er diese Rathschläge
übermittelte, gleichzeitig ein vertrauliches Schreiben beigefügt, in welchem er
vor dem Bündniß mit Oestreich, das von „wildem Haß" gegen Piemont be¬
seelt sei, warnte und zur größten Vorsicht ermahnte. (27. Oct. 1840.)'

Pollone erwies sich damit als würdiger Nachfolger des Grafen dAglie,
der nie aufgehört hatte, an die ehrgeizigen Pläne und die unversöhnliche
Feindschaft Oestreichs zu erinnern, und der dem Grafen Solaro della Marghe¬
rita zu bedenken gab. daß seit alten Zeiten die Ueberlieferungen der Po¬
litik des Hauses Savoyen auf der Maxime ruhen, keine dauernde Allianz zu
haben, und ein gleiches Verhalten gegen den einen wie gegen den anderen
seiner beiden mächtigen Nachbaren zu bewahren." (9. Juli 1836.) Ueber¬
haupt waren solche Warnungen, welche an die alte Tradition Sardiniens


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/235>, abgerufen am 04.07.2024.