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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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uns auf, die Flüchtlinge nicht aus unserem Gebiet, sondern nur aus unse¬
ren Häfen und von unseren Küsten zu entfernen. Unsere Weigerung schien
ihm um so außerordentlicher, als er nicht begreift, welchen Werth wir darauf
legen, ihm zuwider zu handeln. In der letzten Unterredung, die ich mit ihm
hatte, schien er beleidigt. Wenn man auf diesem Wege fortfährt, so werden
unsere freundschaftlichen Beziehungen zu England nicht mehr lange sich er¬
halten können." Im November 1837 hatte d'Aglie' wiederum von sehr
ernsten Vorstellungen Lord Palmerston's zu berichten, der am Ende seiner
Geduld schien, wenn Piemont noch länger auf einem Wege beharre, der
gänzlich von seiner alten Politik und gewohnten Klugheit abführe. Unter
diesen Umständen entschloß sich der Gesandte zu einem kühnen ungewöhn¬
lichen Schritt. Er sandte einen Courier nach Turin mit einem Schreiben
unmittelbar an den König selbst, worin er ihm mit respectvollem Freimuth
die bedenklichen Folgen der bisherigen Politik vorhielt. Margherita wußte
aber den Hieb zu Pariren; er stellte dem König vor, daß sein Gesandter sich
damit den Rathschlägen Lord Palmerston's allzu gefügig gezeigt und einen
indirecten Druck auf die Entschließungen seines Herrn habe versuchen wollen.
Und kurz darauf wurde d'Aglie', dessen politische Grundsätze schon lange im
Widerstreit mit den leitenden Ideen seiner Regierung gewesen waren, von
seinem Posten entfernt. Diese Dinge ließen nicht nur ein freundschaftliches
Verhältniß Karl Albert's zu den Westmächten nicht aufkommen, sondern
nährten auch die Mißstimmung des eigenen Landes gegen ihn. Die Libe¬
ralen waren für die Sache Jsabella's. Verdienten sich doch Officiere, wie
die beiden Durando, Cialdini u. A. ebendamals ihre Sporen im Kampf für
die Sache, deren leidenschaftlicher Gegner ihr König war.

Als im Jahre 1840 der Krieg über der orientalischen Frage auszu-
brechen drohte, suchten Oestreich wie Frankreich die Dispositionen des Tu¬
riner Hofes zu sondiren. Solaro della Margherita bemühte sich, beiden
Nachbaren gegenüber die Neutralität Sardiniens zu wahren. Wenn der
Krieg aufbreche, schrieb er an den Gesandten zu Wien, so sei es weder wegen
einer italienischen Frage, noch.wegen einer Principienfrage, wie das bei Don
Carlos der Fall gewesen, auch nicht wegen einer revolutionairen Bewegung.
Die orientalische Frage aber stehe Sardinien ferne und es beabsichtige nicht,
sich darein zu mischen. Auch habe es keinen Grund, die freundschaftlichen
Beziehungen mit Frankreich aufzugeben, das eines Tages für Nizza und
Savoyen gefährlich werden könnte. In einer späteren Depesche war vertraulich
beigefügt, daß Sardinien, wenn es zu den Waffen zu greifen genöthigt wäre, jeden¬
falls auf einer Aenderung des im Jahre 1530 mit Oestreich abgeschlossenen Bünd-
nißvertrags bestehen müßte, der in mehrfacher Beziehung für Sardinien lästig sei.

Nach Paris wurde der Graf Crotti abgesandt, um dort gleichfalls zu


uns auf, die Flüchtlinge nicht aus unserem Gebiet, sondern nur aus unse¬
ren Häfen und von unseren Küsten zu entfernen. Unsere Weigerung schien
ihm um so außerordentlicher, als er nicht begreift, welchen Werth wir darauf
legen, ihm zuwider zu handeln. In der letzten Unterredung, die ich mit ihm
hatte, schien er beleidigt. Wenn man auf diesem Wege fortfährt, so werden
unsere freundschaftlichen Beziehungen zu England nicht mehr lange sich er¬
halten können." Im November 1837 hatte d'Aglie' wiederum von sehr
ernsten Vorstellungen Lord Palmerston's zu berichten, der am Ende seiner
Geduld schien, wenn Piemont noch länger auf einem Wege beharre, der
gänzlich von seiner alten Politik und gewohnten Klugheit abführe. Unter
diesen Umständen entschloß sich der Gesandte zu einem kühnen ungewöhn¬
lichen Schritt. Er sandte einen Courier nach Turin mit einem Schreiben
unmittelbar an den König selbst, worin er ihm mit respectvollem Freimuth
die bedenklichen Folgen der bisherigen Politik vorhielt. Margherita wußte
aber den Hieb zu Pariren; er stellte dem König vor, daß sein Gesandter sich
damit den Rathschlägen Lord Palmerston's allzu gefügig gezeigt und einen
indirecten Druck auf die Entschließungen seines Herrn habe versuchen wollen.
Und kurz darauf wurde d'Aglie', dessen politische Grundsätze schon lange im
Widerstreit mit den leitenden Ideen seiner Regierung gewesen waren, von
seinem Posten entfernt. Diese Dinge ließen nicht nur ein freundschaftliches
Verhältniß Karl Albert's zu den Westmächten nicht aufkommen, sondern
nährten auch die Mißstimmung des eigenen Landes gegen ihn. Die Libe¬
ralen waren für die Sache Jsabella's. Verdienten sich doch Officiere, wie
die beiden Durando, Cialdini u. A. ebendamals ihre Sporen im Kampf für
die Sache, deren leidenschaftlicher Gegner ihr König war.

Als im Jahre 1840 der Krieg über der orientalischen Frage auszu-
brechen drohte, suchten Oestreich wie Frankreich die Dispositionen des Tu¬
riner Hofes zu sondiren. Solaro della Margherita bemühte sich, beiden
Nachbaren gegenüber die Neutralität Sardiniens zu wahren. Wenn der
Krieg aufbreche, schrieb er an den Gesandten zu Wien, so sei es weder wegen
einer italienischen Frage, noch.wegen einer Principienfrage, wie das bei Don
Carlos der Fall gewesen, auch nicht wegen einer revolutionairen Bewegung.
Die orientalische Frage aber stehe Sardinien ferne und es beabsichtige nicht,
sich darein zu mischen. Auch habe es keinen Grund, die freundschaftlichen
Beziehungen mit Frankreich aufzugeben, das eines Tages für Nizza und
Savoyen gefährlich werden könnte. In einer späteren Depesche war vertraulich
beigefügt, daß Sardinien, wenn es zu den Waffen zu greifen genöthigt wäre, jeden¬
falls auf einer Aenderung des im Jahre 1530 mit Oestreich abgeschlossenen Bünd-
nißvertrags bestehen müßte, der in mehrfacher Beziehung für Sardinien lästig sei.

Nach Paris wurde der Graf Crotti abgesandt, um dort gleichfalls zu


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[0234] uns auf, die Flüchtlinge nicht aus unserem Gebiet, sondern nur aus unse¬ ren Häfen und von unseren Küsten zu entfernen. Unsere Weigerung schien ihm um so außerordentlicher, als er nicht begreift, welchen Werth wir darauf legen, ihm zuwider zu handeln. In der letzten Unterredung, die ich mit ihm hatte, schien er beleidigt. Wenn man auf diesem Wege fortfährt, so werden unsere freundschaftlichen Beziehungen zu England nicht mehr lange sich er¬ halten können." Im November 1837 hatte d'Aglie' wiederum von sehr ernsten Vorstellungen Lord Palmerston's zu berichten, der am Ende seiner Geduld schien, wenn Piemont noch länger auf einem Wege beharre, der gänzlich von seiner alten Politik und gewohnten Klugheit abführe. Unter diesen Umständen entschloß sich der Gesandte zu einem kühnen ungewöhn¬ lichen Schritt. Er sandte einen Courier nach Turin mit einem Schreiben unmittelbar an den König selbst, worin er ihm mit respectvollem Freimuth die bedenklichen Folgen der bisherigen Politik vorhielt. Margherita wußte aber den Hieb zu Pariren; er stellte dem König vor, daß sein Gesandter sich damit den Rathschlägen Lord Palmerston's allzu gefügig gezeigt und einen indirecten Druck auf die Entschließungen seines Herrn habe versuchen wollen. Und kurz darauf wurde d'Aglie', dessen politische Grundsätze schon lange im Widerstreit mit den leitenden Ideen seiner Regierung gewesen waren, von seinem Posten entfernt. Diese Dinge ließen nicht nur ein freundschaftliches Verhältniß Karl Albert's zu den Westmächten nicht aufkommen, sondern nährten auch die Mißstimmung des eigenen Landes gegen ihn. Die Libe¬ ralen waren für die Sache Jsabella's. Verdienten sich doch Officiere, wie die beiden Durando, Cialdini u. A. ebendamals ihre Sporen im Kampf für die Sache, deren leidenschaftlicher Gegner ihr König war. Als im Jahre 1840 der Krieg über der orientalischen Frage auszu- brechen drohte, suchten Oestreich wie Frankreich die Dispositionen des Tu¬ riner Hofes zu sondiren. Solaro della Margherita bemühte sich, beiden Nachbaren gegenüber die Neutralität Sardiniens zu wahren. Wenn der Krieg aufbreche, schrieb er an den Gesandten zu Wien, so sei es weder wegen einer italienischen Frage, noch.wegen einer Principienfrage, wie das bei Don Carlos der Fall gewesen, auch nicht wegen einer revolutionairen Bewegung. Die orientalische Frage aber stehe Sardinien ferne und es beabsichtige nicht, sich darein zu mischen. Auch habe es keinen Grund, die freundschaftlichen Beziehungen mit Frankreich aufzugeben, das eines Tages für Nizza und Savoyen gefährlich werden könnte. In einer späteren Depesche war vertraulich beigefügt, daß Sardinien, wenn es zu den Waffen zu greifen genöthigt wäre, jeden¬ falls auf einer Aenderung des im Jahre 1530 mit Oestreich abgeschlossenen Bünd- nißvertrags bestehen müßte, der in mehrfacher Beziehung für Sardinien lästig sei. Nach Paris wurde der Graf Crotti abgesandt, um dort gleichfalls zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/234>, abgerufen am 24.07.2024.