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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Hnzen Metternichs. eine Vormauer gegen das liberale Frankreich. Nichts
beweist mehr, welchen gewaltigen Eindruck die Zeiten der Republik und des
Kaiserreichs in der damaligen Generation zurückgelassen hatten, als daß die
unablässige Sorge der Staatsmänner darauf gerichtet war, die Wiederkehr
ähnlicher Ereignisse zu verhüten. Die Angst vor den Gefahren der Revolution
trieb die Regierenden aller Länder mit ZurückdrSngung aller anderer In¬
teressen in jene enge Solidarität, welche thatsächlich der Principal Metter¬
nichs war, und deren Bande nur erst England seit wenigen Jahren ge¬
löst hatte.

An Eifer für die Principien des Rechts und der Ordnung that es, wie
dies in den Traditionen des Herrscherhauses lag, Piemont allen anderen
Staaten voraus. Als die Julirevolution ausbrach, das Bürgerkönigthum
eingesetzt wurde, war der Turiner Hof der feindseligste von allen; er hätte
am liebsten sofort einen Kreuzzug für die Legitimität unternommen, und sein
Eifer mußte schließlich von Metternich selbst gezügelt werden. Vergebens
suchte die Regierung Louis Philipps den Turiner Hof für den Fall, daß es
Zum Kriege komme, zur strengen Neutralität zu bewegen, und vergebens
suchte Lord Palmerston in demselben Sinne einzuwirken. Karl Felix verrieth
diese Rathschläge an den Wiener Hof. und schloß mit diesem ein geheimes
Schutz- und Trutzbündniß ab. Daß unter diesen Umständen die Rathschläge
des Marchese d'Aglie, des Gesandten am Londoner Hof, bei Zeiten sich von
den unmöglich gewordenen Restaurationsideen abzuwenden, ungehört ver¬
hallten, verstand sich von selbst.

Karl Felix starb am 27. April 1831. In der Unruhe jener Zeit ging
die Thronbesteigung des Prinzen von Carignan, des "Verschwörers" und
"Verräthers" von 1821 weit anstandloser vor sich, als man erwarten konnte.
Oestreich hatte auch nach dem zweideutigen Benehmen des Herzogs von
Modena in der letzten Zeit keinen Grund mehr dessen Absichten zu be¬
günstigen. Von Seiten Karl Alberts war es überdies durch dessen förmliche
Verpflichtungen beruhigt. Es war ebenso im Interesse Oestreichs, daß der
Thron so rasch als möglich dauernd sich befestige, wie dies im Interesse Karl
Alberts lag. Dieser hatte längst gelernt seine ehrgeizigen Absichten zu ver¬
schließen und zurückzudrängen. Ganz aufgegeben waren sie zu keiner Zeit.
In Karl Albert war die Zwiespältigkeit, welche durch die ganze piemontesi.
sche Politik dieses Zeitalters ging, gleichsam personificirt. Die Widersprüche
dieser Politik waren die Widersprüche seines Charakters. Auf der einen
Seite das ausgeprägteste Gefühl der absoluten Herrschergewalt, die unbe¬
dingte Hingebung an die Interessen der Legitimität und der Kirche, aus der
anderen aber ein verzehrender Ehrgeiz, der feste Glaube an den Stern seines
Hauses, als dessen natürlichen Feind er Oestreich tödtlich haßte, und endlich


Hnzen Metternichs. eine Vormauer gegen das liberale Frankreich. Nichts
beweist mehr, welchen gewaltigen Eindruck die Zeiten der Republik und des
Kaiserreichs in der damaligen Generation zurückgelassen hatten, als daß die
unablässige Sorge der Staatsmänner darauf gerichtet war, die Wiederkehr
ähnlicher Ereignisse zu verhüten. Die Angst vor den Gefahren der Revolution
trieb die Regierenden aller Länder mit ZurückdrSngung aller anderer In¬
teressen in jene enge Solidarität, welche thatsächlich der Principal Metter¬
nichs war, und deren Bande nur erst England seit wenigen Jahren ge¬
löst hatte.

An Eifer für die Principien des Rechts und der Ordnung that es, wie
dies in den Traditionen des Herrscherhauses lag, Piemont allen anderen
Staaten voraus. Als die Julirevolution ausbrach, das Bürgerkönigthum
eingesetzt wurde, war der Turiner Hof der feindseligste von allen; er hätte
am liebsten sofort einen Kreuzzug für die Legitimität unternommen, und sein
Eifer mußte schließlich von Metternich selbst gezügelt werden. Vergebens
suchte die Regierung Louis Philipps den Turiner Hof für den Fall, daß es
Zum Kriege komme, zur strengen Neutralität zu bewegen, und vergebens
suchte Lord Palmerston in demselben Sinne einzuwirken. Karl Felix verrieth
diese Rathschläge an den Wiener Hof. und schloß mit diesem ein geheimes
Schutz- und Trutzbündniß ab. Daß unter diesen Umständen die Rathschläge
des Marchese d'Aglie, des Gesandten am Londoner Hof, bei Zeiten sich von
den unmöglich gewordenen Restaurationsideen abzuwenden, ungehört ver¬
hallten, verstand sich von selbst.

Karl Felix starb am 27. April 1831. In der Unruhe jener Zeit ging
die Thronbesteigung des Prinzen von Carignan, des „Verschwörers" und
»Verräthers" von 1821 weit anstandloser vor sich, als man erwarten konnte.
Oestreich hatte auch nach dem zweideutigen Benehmen des Herzogs von
Modena in der letzten Zeit keinen Grund mehr dessen Absichten zu be¬
günstigen. Von Seiten Karl Alberts war es überdies durch dessen förmliche
Verpflichtungen beruhigt. Es war ebenso im Interesse Oestreichs, daß der
Thron so rasch als möglich dauernd sich befestige, wie dies im Interesse Karl
Alberts lag. Dieser hatte längst gelernt seine ehrgeizigen Absichten zu ver¬
schließen und zurückzudrängen. Ganz aufgegeben waren sie zu keiner Zeit.
In Karl Albert war die Zwiespältigkeit, welche durch die ganze piemontesi.
sche Politik dieses Zeitalters ging, gleichsam personificirt. Die Widersprüche
dieser Politik waren die Widersprüche seines Charakters. Auf der einen
Seite das ausgeprägteste Gefühl der absoluten Herrschergewalt, die unbe¬
dingte Hingebung an die Interessen der Legitimität und der Kirche, aus der
anderen aber ein verzehrender Ehrgeiz, der feste Glaube an den Stern seines
Hauses, als dessen natürlichen Feind er Oestreich tödtlich haßte, und endlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/229>, abgerufen am 04.07.2024.