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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Die Civilere und der mecklenburgische Gberlnrchenrath.

Die norddeutsche Bundesverfassung war zu sehr auf die Lösung der nächst¬
liegenden Aufgabe gerichtet, die chaotisch zerrütteten politischen Verhältnisse
zu ordnen, als daß ihre Schöpfer darauf hätten bedacht sein können, über
diese hinaus zugleich das Verhältniß von Staat und Kirche zu regeln. Ob
es gelingen wird, die Verfassung auch in dieser Beziehung auszubauen, muß
die Zukunft lehren. Wie nothwendig es wäre, wenigstens in einzelnen Be¬
ziehungen des Staats zur Kirche einheitliche Normen für das Bundesgebiet
zu schaffen, zeigt ein Erlaß des mecklenburgischen Oberkirchenraths vom 7.
December v. I. über die Civilehe, der, zuerst in der Allg. co. tuts. Kirchen-
zettung veröffentlicht, jetzt die Runde durch die politischen Zeitungen macht
und gerechtes Aufsehen in den Kreisen ihrer Leser hervorruft. Wir halten den
Gegenstand für wichtig genug, um ihn in diesen Blättern zu erwähnen
und als ein Denkmal der Verirrung geistlicher Intoleranz zu kennzeichnen,
das seines Gleichen suchen dürfte in deutschen, zumal protestantischen Landen.

Mecklenburg, dessen orthodoxes Kirchenregiment seit den Zeiten der
Baumgarten'schen Affaire zu einer zweifelhaften Berühmtheit weit über die
Grenzen des Großherzogthums hinaus gelangte, kennt die Civilehe nicht.
Es hält fest an dem Erforderniß kirchlicher Eingehung der Ehe und fordert
neben der Consenserklärung das Zusammengehen durch den Geistlichen nach
vorgängigen Aufgebot. Unter dem 21. October 1811 erging in Anlaß der
in den angrenzenden damals französischen Provinzen eingeführten Civilehe aus
dem herzoglichen Cabinet an die Superintendenten eine Resolution des In¬
halts, daß für die im Lande zu schließenden Ehen die kirchliche Form bei¬
zubehalten und von den im Ausland bürgerlich getrauten Paaren, falls sie
sich in Meckenburg als Eheleute niederlassen wollten, die Nachholung der
kirchlichen Trauung zu fordern sei. Nach der Franzosenzeit scheint die Frage
über die Gesetzmäßigkeit civiler Eheschließungen in Mecklenburg lange Zeit
hindurch nicht aufgeworfen zu sein. Mit den Grundrechten wurde die Civil¬
ehe auch in Mecklenburg eingeführt, aber mit diesen und dem Staats¬
grundgesetz alsbald wieder aufgehoben. Von praktischer Wichtigkeit wurde
die Frage erst wieder, seit, wie der Oberkirchenrath sagt, "in Folge der
aus bekannten Veranlassungen eingetretenen größeren Beweglichkeit der deut¬
schen Bevölkerungen" (d. h. auf deutsch: seit Einführung der Freizügigkeit)
"es jetzt öfter vorkommt, daß Leute, die blos eiviliter copultrt sind, sich
dauernd in hiesigen Landen aufhalten und dann in irgend welcher Beziehung


Die Civilere und der mecklenburgische Gberlnrchenrath.

Die norddeutsche Bundesverfassung war zu sehr auf die Lösung der nächst¬
liegenden Aufgabe gerichtet, die chaotisch zerrütteten politischen Verhältnisse
zu ordnen, als daß ihre Schöpfer darauf hätten bedacht sein können, über
diese hinaus zugleich das Verhältniß von Staat und Kirche zu regeln. Ob
es gelingen wird, die Verfassung auch in dieser Beziehung auszubauen, muß
die Zukunft lehren. Wie nothwendig es wäre, wenigstens in einzelnen Be¬
ziehungen des Staats zur Kirche einheitliche Normen für das Bundesgebiet
zu schaffen, zeigt ein Erlaß des mecklenburgischen Oberkirchenraths vom 7.
December v. I. über die Civilehe, der, zuerst in der Allg. co. tuts. Kirchen-
zettung veröffentlicht, jetzt die Runde durch die politischen Zeitungen macht
und gerechtes Aufsehen in den Kreisen ihrer Leser hervorruft. Wir halten den
Gegenstand für wichtig genug, um ihn in diesen Blättern zu erwähnen
und als ein Denkmal der Verirrung geistlicher Intoleranz zu kennzeichnen,
das seines Gleichen suchen dürfte in deutschen, zumal protestantischen Landen.

Mecklenburg, dessen orthodoxes Kirchenregiment seit den Zeiten der
Baumgarten'schen Affaire zu einer zweifelhaften Berühmtheit weit über die
Grenzen des Großherzogthums hinaus gelangte, kennt die Civilehe nicht.
Es hält fest an dem Erforderniß kirchlicher Eingehung der Ehe und fordert
neben der Consenserklärung das Zusammengehen durch den Geistlichen nach
vorgängigen Aufgebot. Unter dem 21. October 1811 erging in Anlaß der
in den angrenzenden damals französischen Provinzen eingeführten Civilehe aus
dem herzoglichen Cabinet an die Superintendenten eine Resolution des In¬
halts, daß für die im Lande zu schließenden Ehen die kirchliche Form bei¬
zubehalten und von den im Ausland bürgerlich getrauten Paaren, falls sie
sich in Meckenburg als Eheleute niederlassen wollten, die Nachholung der
kirchlichen Trauung zu fordern sei. Nach der Franzosenzeit scheint die Frage
über die Gesetzmäßigkeit civiler Eheschließungen in Mecklenburg lange Zeit
hindurch nicht aufgeworfen zu sein. Mit den Grundrechten wurde die Civil¬
ehe auch in Mecklenburg eingeführt, aber mit diesen und dem Staats¬
grundgesetz alsbald wieder aufgehoben. Von praktischer Wichtigkeit wurde
die Frage erst wieder, seit, wie der Oberkirchenrath sagt, „in Folge der
aus bekannten Veranlassungen eingetretenen größeren Beweglichkeit der deut¬
schen Bevölkerungen" (d. h. auf deutsch: seit Einführung der Freizügigkeit)
„es jetzt öfter vorkommt, daß Leute, die blos eiviliter copultrt sind, sich
dauernd in hiesigen Landen aufhalten und dann in irgend welcher Beziehung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/22>, abgerufen am 04.07.2024.