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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Polemischer Wassergänge zwischen den Officiösen an der Donau und
Spree ist das Publicum zu gewöhnt, um sich durch dieselben in dem Ver¬
trauen auf den Frieden erschüttern zu lassen. Ueberdies ist man in Berlin
mit ganz anderen Dingen beschäftigt, als mit der Lectüre der Herzens-
ergießungen des schreib- und sprechlustigsten aller modernen Staatsmänner.
Es sind noch nicht vier Wochen, daß der norddeutsche Reichstag seine Ar¬
beiten wieder aufgenommen hat. und bereits liegt eine Fülle wichtiger
Beschlüsse und Verhandlungen vor. Obgleich die Discussion über das neue
Gewerbegesetz noch nicht zu Ende ist, und dasselbe sehr zahlreiche und wichtige
Abänderungen durch den Reichstag erfahren hat (zu diesen rechnen wir ganz
besonders die erhebliche Beschränkung, welche das wesentlich von der Polizei
abhängige Concessionswesen erlitten), kann die Annahme desselben nach
dem. was in den letzten Tagen bekannt geworden, doch schon als gesichert
angesehen werden und ist damit ein erfolgreicher Schritt auf der Bahn jener
Thätigkeit weiter gethan worden, welche der neue Bund zum Heil unserer
materiellen Interessen seit dem ersten Tage seiner Constituirung betreten hat.
Die Wahrheit des Buckle'schen Satzes, daß es die negativen und emancipa-
tiven Gesetze, d. h. die Beseitigungen veralteter Schranken der Wohlfahrt
seien, welche den raschesten und nachweisbarsten Nutzen trügen, hat sich
durch die bisherige Geschichte des norddeutschen Reichstags und seiner gesetz-
geberischen Thätigkeit mehr wie ein Mal bestätigt, und auch in diesem Sinne
muß die neue Gewerbeordnung als ein wichtiger Act begrüßt werden, der,
wenn er richtig benutzt wird, den im Jahre 1866 geschaffenen Verhältnissen
zahlreiche neue Freunde erwerben wird. Diese richtige Benutzung wird aber
nur möglich sein, wenn die Ausführung des neuen Gesetzes in Händen ruht,
welche ein Interesse daran daven. dieselbe gegen die entgegenstehenden Ge¬
walten energisch durchzusetzen. Es kann überhaupt kein neues organisches
Gesetz für den norddeutschen Bund gedacht werden, ohne daß wir an die
praktischen Motive erinnert werden, aus welchen der viel besprochene
Tochter-Münster'sche Antrag auf Einsetzung verantwortlicher Bundesminister
herausgewachsen ist.

Merkwürdig genug, daß diese in Wahrheit maßgebendsten Gründe für
jenen Antrag bei der Debatte über denselben in den Hintergrund gerückt wor¬
den sind. Unstreitig ist es diesem Umstände zuzuschreiben, daß die Verhand¬
lungen vom 16. April sich in einer Kette von Mißverständnissen bewegten,
deren Lösung ohne die Gewandtheit Laster's vielleicht noch heute auf sich warten
ließe. Nimmermehr hätte der Tochter - Münster'sche Antrag eine so reiche
Unterstützung aus beinahe allen Fraktionen des Hauses erhalten, wenn die
Empfindung von der Unzulänglichkeit der gegenwärtigen Ausführungsorgane
minder verbreitet gewesen wäre. Als' Laster das Wort ergriff, hatte die Dis-


Polemischer Wassergänge zwischen den Officiösen an der Donau und
Spree ist das Publicum zu gewöhnt, um sich durch dieselben in dem Ver¬
trauen auf den Frieden erschüttern zu lassen. Ueberdies ist man in Berlin
mit ganz anderen Dingen beschäftigt, als mit der Lectüre der Herzens-
ergießungen des schreib- und sprechlustigsten aller modernen Staatsmänner.
Es sind noch nicht vier Wochen, daß der norddeutsche Reichstag seine Ar¬
beiten wieder aufgenommen hat. und bereits liegt eine Fülle wichtiger
Beschlüsse und Verhandlungen vor. Obgleich die Discussion über das neue
Gewerbegesetz noch nicht zu Ende ist, und dasselbe sehr zahlreiche und wichtige
Abänderungen durch den Reichstag erfahren hat (zu diesen rechnen wir ganz
besonders die erhebliche Beschränkung, welche das wesentlich von der Polizei
abhängige Concessionswesen erlitten), kann die Annahme desselben nach
dem. was in den letzten Tagen bekannt geworden, doch schon als gesichert
angesehen werden und ist damit ein erfolgreicher Schritt auf der Bahn jener
Thätigkeit weiter gethan worden, welche der neue Bund zum Heil unserer
materiellen Interessen seit dem ersten Tage seiner Constituirung betreten hat.
Die Wahrheit des Buckle'schen Satzes, daß es die negativen und emancipa-
tiven Gesetze, d. h. die Beseitigungen veralteter Schranken der Wohlfahrt
seien, welche den raschesten und nachweisbarsten Nutzen trügen, hat sich
durch die bisherige Geschichte des norddeutschen Reichstags und seiner gesetz-
geberischen Thätigkeit mehr wie ein Mal bestätigt, und auch in diesem Sinne
muß die neue Gewerbeordnung als ein wichtiger Act begrüßt werden, der,
wenn er richtig benutzt wird, den im Jahre 1866 geschaffenen Verhältnissen
zahlreiche neue Freunde erwerben wird. Diese richtige Benutzung wird aber
nur möglich sein, wenn die Ausführung des neuen Gesetzes in Händen ruht,
welche ein Interesse daran daven. dieselbe gegen die entgegenstehenden Ge¬
walten energisch durchzusetzen. Es kann überhaupt kein neues organisches
Gesetz für den norddeutschen Bund gedacht werden, ohne daß wir an die
praktischen Motive erinnert werden, aus welchen der viel besprochene
Tochter-Münster'sche Antrag auf Einsetzung verantwortlicher Bundesminister
herausgewachsen ist.

Merkwürdig genug, daß diese in Wahrheit maßgebendsten Gründe für
jenen Antrag bei der Debatte über denselben in den Hintergrund gerückt wor¬
den sind. Unstreitig ist es diesem Umstände zuzuschreiben, daß die Verhand¬
lungen vom 16. April sich in einer Kette von Mißverständnissen bewegten,
deren Lösung ohne die Gewandtheit Laster's vielleicht noch heute auf sich warten
ließe. Nimmermehr hätte der Tochter - Münster'sche Antrag eine so reiche
Unterstützung aus beinahe allen Fraktionen des Hauses erhalten, wenn die
Empfindung von der Unzulänglichkeit der gegenwärtigen Ausführungsorgane
minder verbreitet gewesen wäre. Als' Laster das Wort ergriff, hatte die Dis-


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[0204] Polemischer Wassergänge zwischen den Officiösen an der Donau und Spree ist das Publicum zu gewöhnt, um sich durch dieselben in dem Ver¬ trauen auf den Frieden erschüttern zu lassen. Ueberdies ist man in Berlin mit ganz anderen Dingen beschäftigt, als mit der Lectüre der Herzens- ergießungen des schreib- und sprechlustigsten aller modernen Staatsmänner. Es sind noch nicht vier Wochen, daß der norddeutsche Reichstag seine Ar¬ beiten wieder aufgenommen hat. und bereits liegt eine Fülle wichtiger Beschlüsse und Verhandlungen vor. Obgleich die Discussion über das neue Gewerbegesetz noch nicht zu Ende ist, und dasselbe sehr zahlreiche und wichtige Abänderungen durch den Reichstag erfahren hat (zu diesen rechnen wir ganz besonders die erhebliche Beschränkung, welche das wesentlich von der Polizei abhängige Concessionswesen erlitten), kann die Annahme desselben nach dem. was in den letzten Tagen bekannt geworden, doch schon als gesichert angesehen werden und ist damit ein erfolgreicher Schritt auf der Bahn jener Thätigkeit weiter gethan worden, welche der neue Bund zum Heil unserer materiellen Interessen seit dem ersten Tage seiner Constituirung betreten hat. Die Wahrheit des Buckle'schen Satzes, daß es die negativen und emancipa- tiven Gesetze, d. h. die Beseitigungen veralteter Schranken der Wohlfahrt seien, welche den raschesten und nachweisbarsten Nutzen trügen, hat sich durch die bisherige Geschichte des norddeutschen Reichstags und seiner gesetz- geberischen Thätigkeit mehr wie ein Mal bestätigt, und auch in diesem Sinne muß die neue Gewerbeordnung als ein wichtiger Act begrüßt werden, der, wenn er richtig benutzt wird, den im Jahre 1866 geschaffenen Verhältnissen zahlreiche neue Freunde erwerben wird. Diese richtige Benutzung wird aber nur möglich sein, wenn die Ausführung des neuen Gesetzes in Händen ruht, welche ein Interesse daran daven. dieselbe gegen die entgegenstehenden Ge¬ walten energisch durchzusetzen. Es kann überhaupt kein neues organisches Gesetz für den norddeutschen Bund gedacht werden, ohne daß wir an die praktischen Motive erinnert werden, aus welchen der viel besprochene Tochter-Münster'sche Antrag auf Einsetzung verantwortlicher Bundesminister herausgewachsen ist. Merkwürdig genug, daß diese in Wahrheit maßgebendsten Gründe für jenen Antrag bei der Debatte über denselben in den Hintergrund gerückt wor¬ den sind. Unstreitig ist es diesem Umstände zuzuschreiben, daß die Verhand¬ lungen vom 16. April sich in einer Kette von Mißverständnissen bewegten, deren Lösung ohne die Gewandtheit Laster's vielleicht noch heute auf sich warten ließe. Nimmermehr hätte der Tochter - Münster'sche Antrag eine so reiche Unterstützung aus beinahe allen Fraktionen des Hauses erhalten, wenn die Empfindung von der Unzulänglichkeit der gegenwärtigen Ausführungsorgane minder verbreitet gewesen wäre. Als' Laster das Wort ergriff, hatte die Dis-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/204>, abgerufen am 24.07.2024.