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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Frere-Orban erregen mußte. Der belgischen Regierung wurde die Anfrage
vorgelegt, der Osteompagnie werde doch wohl gestattet sein, eine directe Ver¬
bindung von Spaa an die Lüttich-Limburger Linie herzustellen, deren Direction
nicht abgeneigt sei. gleichfalls über einen Verkauf zu verhandeln. Es war
von den Franzosen darauf abgesehen, einst auf eigenen Schienen bis an das
Weichbild von Brüssel zu fahren und ein Netz über Belgien hinweg bis an
die großen holländischen Häfen zu spannen.

Daß über diesen Plan in Brüssel anders geurtheilt wurde wie in Paris,
versteht sich von selbst. Die erbetene Concession zur Herstellung der neuen
Verbindung von Spaa (das durch die Wilhelmsbahn bereits zu einem
Theil des französischen Netzes geworden war) an die Linie Limburg-Lüttich
wurde sofort verweigert und zugleich eine Maßregel ergriffen, welche die be¬
reits gesponnenen Fäden des Vertrags über die Arion-Brüsseler Bahn zer¬
schneiden und ähnlichen Zumuthungen ein für alle Mal eine Grenze setzen
sollte. An demselben Tage, an welchem Graf Bismarck in Veranlassung
der Sequestrationsangelegenheit seine bekannte Rede- über Preußens aus¬
wärtige Beziehungen und seine Stellung zu Frankreich hielt, votirte das
belgische Abgeordnetenhaus ein Gesetz, welches der Regierung das (übrigens
selbstverständliche) Recht zusprach, den Verkauf belgischer Bahnen an aus-
ländische Gesellschaften zu genehmigen oder nicht zu genehmigen, widerspenstige
Bahnen (edemins as ehr i-Lesleitraus) zu sequestriert und die betreffenden An¬
sprüche durch die Gerichte entscheiden zu lassen.

Das formelle Recht der Factoren belgischer Gesetzgebung steht so voll¬
ständig außer Frage, daß Niemand auch nur den Versuch gemacht hat, das"
selbe zu bestreiten. Nichtsdestoweniger erhob die officiöse Presse des zweiten
Kaiserreichs, sobald der belgische Kammerbeschluß bekannt wurde, ein Ge-
schrei, als sei die Ehre der französischen Nation ins Herz getroffen. Daß die
liberalen Blätter energisch widersprachen, daß die inspirirte Presse einen ziem¬
lich schlecht gedeckten Rückzug antreten mußte und die Organe Deutschlands.
Englands und der gesammten civilisirten Welt sür das unzweideutige Recht
Belgiens eintraten -- das Alles datirt um Wochen zurück und braucht nicht
genauer ausgeführt zu werden. In das Stadium eines Ereignisses von
wirklich politischer Bedeutung ist dieser Handel erst dadurch getreten, daß
Belgien sich bestimmen ließ, über denselben mit der französischen Regierung
in Verhandlung zu treten. Es war ein leidiger Trost für die Belgier, daß
Frankreich vor Beginn der Verhandlungen zusicherte, es werde sich keines¬
wegs blos um diese Eisenbahnfrage handeln, sondern um einen freundlichen
Meinungsaustausch über die materiellen Verhältnisse und gemeinsamen Wirth-
schaftlichen Interessen beider Staaten überhaupt.


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Frere-Orban erregen mußte. Der belgischen Regierung wurde die Anfrage
vorgelegt, der Osteompagnie werde doch wohl gestattet sein, eine directe Ver¬
bindung von Spaa an die Lüttich-Limburger Linie herzustellen, deren Direction
nicht abgeneigt sei. gleichfalls über einen Verkauf zu verhandeln. Es war
von den Franzosen darauf abgesehen, einst auf eigenen Schienen bis an das
Weichbild von Brüssel zu fahren und ein Netz über Belgien hinweg bis an
die großen holländischen Häfen zu spannen.

Daß über diesen Plan in Brüssel anders geurtheilt wurde wie in Paris,
versteht sich von selbst. Die erbetene Concession zur Herstellung der neuen
Verbindung von Spaa (das durch die Wilhelmsbahn bereits zu einem
Theil des französischen Netzes geworden war) an die Linie Limburg-Lüttich
wurde sofort verweigert und zugleich eine Maßregel ergriffen, welche die be¬
reits gesponnenen Fäden des Vertrags über die Arion-Brüsseler Bahn zer¬
schneiden und ähnlichen Zumuthungen ein für alle Mal eine Grenze setzen
sollte. An demselben Tage, an welchem Graf Bismarck in Veranlassung
der Sequestrationsangelegenheit seine bekannte Rede- über Preußens aus¬
wärtige Beziehungen und seine Stellung zu Frankreich hielt, votirte das
belgische Abgeordnetenhaus ein Gesetz, welches der Regierung das (übrigens
selbstverständliche) Recht zusprach, den Verkauf belgischer Bahnen an aus-
ländische Gesellschaften zu genehmigen oder nicht zu genehmigen, widerspenstige
Bahnen (edemins as ehr i-Lesleitraus) zu sequestriert und die betreffenden An¬
sprüche durch die Gerichte entscheiden zu lassen.

Das formelle Recht der Factoren belgischer Gesetzgebung steht so voll¬
ständig außer Frage, daß Niemand auch nur den Versuch gemacht hat, das»
selbe zu bestreiten. Nichtsdestoweniger erhob die officiöse Presse des zweiten
Kaiserreichs, sobald der belgische Kammerbeschluß bekannt wurde, ein Ge-
schrei, als sei die Ehre der französischen Nation ins Herz getroffen. Daß die
liberalen Blätter energisch widersprachen, daß die inspirirte Presse einen ziem¬
lich schlecht gedeckten Rückzug antreten mußte und die Organe Deutschlands.
Englands und der gesammten civilisirten Welt sür das unzweideutige Recht
Belgiens eintraten — das Alles datirt um Wochen zurück und braucht nicht
genauer ausgeführt zu werden. In das Stadium eines Ereignisses von
wirklich politischer Bedeutung ist dieser Handel erst dadurch getreten, daß
Belgien sich bestimmen ließ, über denselben mit der französischen Regierung
in Verhandlung zu treten. Es war ein leidiger Trost für die Belgier, daß
Frankreich vor Beginn der Verhandlungen zusicherte, es werde sich keines¬
wegs blos um diese Eisenbahnfrage handeln, sondern um einen freundlichen
Meinungsaustausch über die materiellen Verhältnisse und gemeinsamen Wirth-
schaftlichen Interessen beider Staaten überhaupt.


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[0193] Frere-Orban erregen mußte. Der belgischen Regierung wurde die Anfrage vorgelegt, der Osteompagnie werde doch wohl gestattet sein, eine directe Ver¬ bindung von Spaa an die Lüttich-Limburger Linie herzustellen, deren Direction nicht abgeneigt sei. gleichfalls über einen Verkauf zu verhandeln. Es war von den Franzosen darauf abgesehen, einst auf eigenen Schienen bis an das Weichbild von Brüssel zu fahren und ein Netz über Belgien hinweg bis an die großen holländischen Häfen zu spannen. Daß über diesen Plan in Brüssel anders geurtheilt wurde wie in Paris, versteht sich von selbst. Die erbetene Concession zur Herstellung der neuen Verbindung von Spaa (das durch die Wilhelmsbahn bereits zu einem Theil des französischen Netzes geworden war) an die Linie Limburg-Lüttich wurde sofort verweigert und zugleich eine Maßregel ergriffen, welche die be¬ reits gesponnenen Fäden des Vertrags über die Arion-Brüsseler Bahn zer¬ schneiden und ähnlichen Zumuthungen ein für alle Mal eine Grenze setzen sollte. An demselben Tage, an welchem Graf Bismarck in Veranlassung der Sequestrationsangelegenheit seine bekannte Rede- über Preußens aus¬ wärtige Beziehungen und seine Stellung zu Frankreich hielt, votirte das belgische Abgeordnetenhaus ein Gesetz, welches der Regierung das (übrigens selbstverständliche) Recht zusprach, den Verkauf belgischer Bahnen an aus- ländische Gesellschaften zu genehmigen oder nicht zu genehmigen, widerspenstige Bahnen (edemins as ehr i-Lesleitraus) zu sequestriert und die betreffenden An¬ sprüche durch die Gerichte entscheiden zu lassen. Das formelle Recht der Factoren belgischer Gesetzgebung steht so voll¬ ständig außer Frage, daß Niemand auch nur den Versuch gemacht hat, das» selbe zu bestreiten. Nichtsdestoweniger erhob die officiöse Presse des zweiten Kaiserreichs, sobald der belgische Kammerbeschluß bekannt wurde, ein Ge- schrei, als sei die Ehre der französischen Nation ins Herz getroffen. Daß die liberalen Blätter energisch widersprachen, daß die inspirirte Presse einen ziem¬ lich schlecht gedeckten Rückzug antreten mußte und die Organe Deutschlands. Englands und der gesammten civilisirten Welt sür das unzweideutige Recht Belgiens eintraten — das Alles datirt um Wochen zurück und braucht nicht genauer ausgeführt zu werden. In das Stadium eines Ereignisses von wirklich politischer Bedeutung ist dieser Handel erst dadurch getreten, daß Belgien sich bestimmen ließ, über denselben mit der französischen Regierung in Verhandlung zu treten. Es war ein leidiger Trost für die Belgier, daß Frankreich vor Beginn der Verhandlungen zusicherte, es werde sich keines¬ wegs blos um diese Eisenbahnfrage handeln, sondern um einen freundlichen Meinungsaustausch über die materiellen Verhältnisse und gemeinsamen Wirth- schaftlichen Interessen beider Staaten überhaupt. Grenzboten II. 18K9. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/193>, abgerufen am 24.07.2024.