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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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der bisherige Präsident. Professor Broch, Staatsrath und Chef des Marine.
Departements geworden ist. Diese Ernennung des Hauptes der norwegischen
Skandinavisten zum Regierungsmitgliede, welche während der letzten An¬
wesenheit König Karls XV. in Christiania erfolgt ist, zeigt immerhin aufs
neue, wohin die Sympathien und Tendenzen des schwedischen Königshauses
neigen. Professor Broch ist als norwegischer Bevollmächtigter auf der ersten
Weltmünzconferenz zu Paris im Frühsommer 1867 auch weiteren Kreisen
bekannt geworden, wie schon früher durch statistische Arbeiten. Lund und
seiner politischen Freunde Verhältniß zu der schwebenden Frage der schwedisch¬
norwegischen Unionsreformen hat übrigens die Skandinavistenpartet in Nor¬
wegen gespalten. Sie sind Manchen nicht specifisch-norwegisch und nicht de¬
mokratisch genug; Männer wie der Staatsproeurator Dunker und der be¬
kannte Dichter Björnstjerne - Björnson haben sich öffentlich von ihnen los>
gesagt, indem sie sie "Amalgamisten" schelten, und beschuldigen, Norwegens
innere Selbständigkeit der schwedischen Mehrheit auf einem künftigen Unions¬
parlament preisgeben zu wollen. Dunker und seine Anhänger gehen ihrerseits
so weit, von keiner wesentlichen Verfestigung der Unionsbande wissen zu wollen,
bevor Dänemark nicht der Dritte im Bunde ist und das schwedische Ueber¬
gewicht -- Schwedens Bevölkerung verhält sich zu derjenigen Norwegens
reichlich wie 8 zu 3 -- mildert; und wie man sich denken kann, werden sie
von Orla Lehmann und andern dänischen Gesinnungsgenossen darin unter-
stützt. Die Leiter der skandinavischen Gesellschaft hingegen meinen, jede Be¬
festigung der Union mit Schweden, welche die gemeinschaftliche Macht erhöhe,
sei ein Gewinn auch für das Zukunftsziel, Dänemark mit in den nordischen
Bund hereinzuziehen. Nach einer anderen Seite hatte Professor Broch im
Lauf des vorigen Jahres einmal seine Waffen zu kehren, als er von der sich
im Lande ausbreitenden pangermanischen Idee sprach, d. h. einer gewissen
noch ziemlich unklaren Neigung, sich Deutschland politisch anzuschließen, welche
aus den Erfolgen des Grafen Bismarck erwachsen zu sein scheint.

Zu dem ersten diesjährigen Heft der zu Lund erscheinenden skandinavi¬
schen "Nordisk Tidskrift" überschlug ein "älterer Beobachter" einmal die
Chancen des Skandinavismus in Norwegen. Seine Rechnung lief darauf
hinaus, daß Norwegen zur Verwirklichung dieser Idee niemals die Initiative
ergreifen, derselben aus eigenem Entschluß auch niemals große Opfer bringen,
daß es sich aber andererseits dem Anschluß an eine auf dieses Ziel gerichtete
Reichspolitik auch nicht leicht entziehen werde.

Aehnlich urtheilt ein in der Nordischen Gesellschaft zu Kopenhagen am
1. März abgestatteter Jahresbericht über Dänemark. Die Nordische Gesell¬
schaft, welche dort das Hauptquartier der Skandinavisten bildet, über 2100
Mitglieder zählt und hauptsächlich durch ihr in 1800 Exemplaren verbreitetes.


der bisherige Präsident. Professor Broch, Staatsrath und Chef des Marine.
Departements geworden ist. Diese Ernennung des Hauptes der norwegischen
Skandinavisten zum Regierungsmitgliede, welche während der letzten An¬
wesenheit König Karls XV. in Christiania erfolgt ist, zeigt immerhin aufs
neue, wohin die Sympathien und Tendenzen des schwedischen Königshauses
neigen. Professor Broch ist als norwegischer Bevollmächtigter auf der ersten
Weltmünzconferenz zu Paris im Frühsommer 1867 auch weiteren Kreisen
bekannt geworden, wie schon früher durch statistische Arbeiten. Lund und
seiner politischen Freunde Verhältniß zu der schwebenden Frage der schwedisch¬
norwegischen Unionsreformen hat übrigens die Skandinavistenpartet in Nor¬
wegen gespalten. Sie sind Manchen nicht specifisch-norwegisch und nicht de¬
mokratisch genug; Männer wie der Staatsproeurator Dunker und der be¬
kannte Dichter Björnstjerne - Björnson haben sich öffentlich von ihnen los>
gesagt, indem sie sie „Amalgamisten" schelten, und beschuldigen, Norwegens
innere Selbständigkeit der schwedischen Mehrheit auf einem künftigen Unions¬
parlament preisgeben zu wollen. Dunker und seine Anhänger gehen ihrerseits
so weit, von keiner wesentlichen Verfestigung der Unionsbande wissen zu wollen,
bevor Dänemark nicht der Dritte im Bunde ist und das schwedische Ueber¬
gewicht — Schwedens Bevölkerung verhält sich zu derjenigen Norwegens
reichlich wie 8 zu 3 — mildert; und wie man sich denken kann, werden sie
von Orla Lehmann und andern dänischen Gesinnungsgenossen darin unter-
stützt. Die Leiter der skandinavischen Gesellschaft hingegen meinen, jede Be¬
festigung der Union mit Schweden, welche die gemeinschaftliche Macht erhöhe,
sei ein Gewinn auch für das Zukunftsziel, Dänemark mit in den nordischen
Bund hereinzuziehen. Nach einer anderen Seite hatte Professor Broch im
Lauf des vorigen Jahres einmal seine Waffen zu kehren, als er von der sich
im Lande ausbreitenden pangermanischen Idee sprach, d. h. einer gewissen
noch ziemlich unklaren Neigung, sich Deutschland politisch anzuschließen, welche
aus den Erfolgen des Grafen Bismarck erwachsen zu sein scheint.

Zu dem ersten diesjährigen Heft der zu Lund erscheinenden skandinavi¬
schen „Nordisk Tidskrift" überschlug ein „älterer Beobachter" einmal die
Chancen des Skandinavismus in Norwegen. Seine Rechnung lief darauf
hinaus, daß Norwegen zur Verwirklichung dieser Idee niemals die Initiative
ergreifen, derselben aus eigenem Entschluß auch niemals große Opfer bringen,
daß es sich aber andererseits dem Anschluß an eine auf dieses Ziel gerichtete
Reichspolitik auch nicht leicht entziehen werde.

Aehnlich urtheilt ein in der Nordischen Gesellschaft zu Kopenhagen am
1. März abgestatteter Jahresbericht über Dänemark. Die Nordische Gesell¬
schaft, welche dort das Hauptquartier der Skandinavisten bildet, über 2100
Mitglieder zählt und hauptsächlich durch ihr in 1800 Exemplaren verbreitetes.


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[0188] der bisherige Präsident. Professor Broch, Staatsrath und Chef des Marine. Departements geworden ist. Diese Ernennung des Hauptes der norwegischen Skandinavisten zum Regierungsmitgliede, welche während der letzten An¬ wesenheit König Karls XV. in Christiania erfolgt ist, zeigt immerhin aufs neue, wohin die Sympathien und Tendenzen des schwedischen Königshauses neigen. Professor Broch ist als norwegischer Bevollmächtigter auf der ersten Weltmünzconferenz zu Paris im Frühsommer 1867 auch weiteren Kreisen bekannt geworden, wie schon früher durch statistische Arbeiten. Lund und seiner politischen Freunde Verhältniß zu der schwebenden Frage der schwedisch¬ norwegischen Unionsreformen hat übrigens die Skandinavistenpartet in Nor¬ wegen gespalten. Sie sind Manchen nicht specifisch-norwegisch und nicht de¬ mokratisch genug; Männer wie der Staatsproeurator Dunker und der be¬ kannte Dichter Björnstjerne - Björnson haben sich öffentlich von ihnen los> gesagt, indem sie sie „Amalgamisten" schelten, und beschuldigen, Norwegens innere Selbständigkeit der schwedischen Mehrheit auf einem künftigen Unions¬ parlament preisgeben zu wollen. Dunker und seine Anhänger gehen ihrerseits so weit, von keiner wesentlichen Verfestigung der Unionsbande wissen zu wollen, bevor Dänemark nicht der Dritte im Bunde ist und das schwedische Ueber¬ gewicht — Schwedens Bevölkerung verhält sich zu derjenigen Norwegens reichlich wie 8 zu 3 — mildert; und wie man sich denken kann, werden sie von Orla Lehmann und andern dänischen Gesinnungsgenossen darin unter- stützt. Die Leiter der skandinavischen Gesellschaft hingegen meinen, jede Be¬ festigung der Union mit Schweden, welche die gemeinschaftliche Macht erhöhe, sei ein Gewinn auch für das Zukunftsziel, Dänemark mit in den nordischen Bund hereinzuziehen. Nach einer anderen Seite hatte Professor Broch im Lauf des vorigen Jahres einmal seine Waffen zu kehren, als er von der sich im Lande ausbreitenden pangermanischen Idee sprach, d. h. einer gewissen noch ziemlich unklaren Neigung, sich Deutschland politisch anzuschließen, welche aus den Erfolgen des Grafen Bismarck erwachsen zu sein scheint. Zu dem ersten diesjährigen Heft der zu Lund erscheinenden skandinavi¬ schen „Nordisk Tidskrift" überschlug ein „älterer Beobachter" einmal die Chancen des Skandinavismus in Norwegen. Seine Rechnung lief darauf hinaus, daß Norwegen zur Verwirklichung dieser Idee niemals die Initiative ergreifen, derselben aus eigenem Entschluß auch niemals große Opfer bringen, daß es sich aber andererseits dem Anschluß an eine auf dieses Ziel gerichtete Reichspolitik auch nicht leicht entziehen werde. Aehnlich urtheilt ein in der Nordischen Gesellschaft zu Kopenhagen am 1. März abgestatteter Jahresbericht über Dänemark. Die Nordische Gesell¬ schaft, welche dort das Hauptquartier der Skandinavisten bildet, über 2100 Mitglieder zählt und hauptsächlich durch ihr in 1800 Exemplaren verbreitetes.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/188>, abgerufen am 24.07.2024.