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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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dem gegenseitigen Nichtvoneinderwissen entgegenstanden. Diese Läuterungs¬
und Stärkungsperiode macht die skandinavische Nationalität augenblicklich
durch. In jede der bereits bestehenden oder sich noch bildenden Wanderver¬
sammlungen von Fachgenossen fährt früher oder später die Tendenz, sich aus
einer schwedischen, norwegischen oder dänischen zu einer gesammtnordischen zu
erweitern; keineswegs weil ihre Leiter sämmtlich schon von dem stillen Feuer des
Skandinavismus ergriffen wären, sondern meist aus lediglich in der Sache
liegenden Beweggründen. Der Kreis von Berufsgenossen, welchen das einzelne
Land zusammenzubringen vermag, ist, selbst Schweden nicht ausgenommen,
verhältnißmäßig immer klein. Der Zufluß aus den beiden Nachbarländern
ist daher an sich wünschenswerth. und die Verschiedenheit der Sprache nicht
groß genug, um erheblich zu stören. Dazu kommt, daß man von Kopen¬
hagen und Christiania ebenso rasch oder rascher nach Stockholm gelangen
kann, als aus den südlichsten und den nördlichsten Theilen Schwedens selbst
-- Dank vor Allem wieder dem sich zusehends ausdehnenden und verdichten¬
den schwedischen Eisenbahnnetze.

Um den einmal vorhandenen, wenn auch geringen Unterschied des Schwe¬
dischen vom Dänisch-Norwegischen für das thatsächliche Verständniß noch
weiter abzuschwächen, tritt demnächst ein gemischter Ausschuß von sprach¬
gelehrten und Schriftstellern aller drei Länder zusammen, der eine neue, ge¬
meinsame Rechtschreibung entwerfen soll. Es gilt da namentlich, das Dänisch-
Norwegische von einem Ballast überflüssiger, weil in der Aussprache ver¬
schwindender Buchstaben zu säubern. Für Schweden ist weniger zu thun
übrig, dafür wird die Nothwendigkeit einer Besserung dort aber auch schwächer
empfunden und der Uebergang zu Neuem folglich schwieriger sein. Die Uni-
sitäten Upsala, Lund, Christiania und Kopenhagen sollen jede drei Vertreter
schicken; die meisten derselben sind bereits ernannt.

Die Idee zu diesem auch für uns Deutsche interessanten Unternehmen ist
aus einer anderen, älteren skandinavischen Veranstaltung entsprungen: der
wechselsweisen gegenseitigen Absendung von Lehrern der vier nordischen Uni¬
versitäten. In Stockholm hat der Reichstag dazu das Geld ausgeworfen;
in Christiania wollte der Storthing, dessen Bauernmehrheit den ihrem Stande
eigenen öffentlichen Geiz besitzt, von solcher Freigebigkeit für weitaussehende
Bildungszwecke nichts wissen, so daß dort, wie auch in Kopenhagen, Privat¬
mittel aufgebracht werden mußten. Eben in Kopenhagen war es nun, wo
Professor L. Daa von Christiania, als er im letzten Winter dort einen
Cyclus von Vorträgen hielt, jene Idee in Cours setzte und sofort auch ihre
Ausführung veranlaßte.

Professor Daa steht jetzt an der Spitze der skandinavischen Gesellschaft
in Christiania, der norwegischen Trägerin des Skandinavismus, nachdem


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dem gegenseitigen Nichtvoneinderwissen entgegenstanden. Diese Läuterungs¬
und Stärkungsperiode macht die skandinavische Nationalität augenblicklich
durch. In jede der bereits bestehenden oder sich noch bildenden Wanderver¬
sammlungen von Fachgenossen fährt früher oder später die Tendenz, sich aus
einer schwedischen, norwegischen oder dänischen zu einer gesammtnordischen zu
erweitern; keineswegs weil ihre Leiter sämmtlich schon von dem stillen Feuer des
Skandinavismus ergriffen wären, sondern meist aus lediglich in der Sache
liegenden Beweggründen. Der Kreis von Berufsgenossen, welchen das einzelne
Land zusammenzubringen vermag, ist, selbst Schweden nicht ausgenommen,
verhältnißmäßig immer klein. Der Zufluß aus den beiden Nachbarländern
ist daher an sich wünschenswerth. und die Verschiedenheit der Sprache nicht
groß genug, um erheblich zu stören. Dazu kommt, daß man von Kopen¬
hagen und Christiania ebenso rasch oder rascher nach Stockholm gelangen
kann, als aus den südlichsten und den nördlichsten Theilen Schwedens selbst
— Dank vor Allem wieder dem sich zusehends ausdehnenden und verdichten¬
den schwedischen Eisenbahnnetze.

Um den einmal vorhandenen, wenn auch geringen Unterschied des Schwe¬
dischen vom Dänisch-Norwegischen für das thatsächliche Verständniß noch
weiter abzuschwächen, tritt demnächst ein gemischter Ausschuß von sprach¬
gelehrten und Schriftstellern aller drei Länder zusammen, der eine neue, ge¬
meinsame Rechtschreibung entwerfen soll. Es gilt da namentlich, das Dänisch-
Norwegische von einem Ballast überflüssiger, weil in der Aussprache ver¬
schwindender Buchstaben zu säubern. Für Schweden ist weniger zu thun
übrig, dafür wird die Nothwendigkeit einer Besserung dort aber auch schwächer
empfunden und der Uebergang zu Neuem folglich schwieriger sein. Die Uni-
sitäten Upsala, Lund, Christiania und Kopenhagen sollen jede drei Vertreter
schicken; die meisten derselben sind bereits ernannt.

Die Idee zu diesem auch für uns Deutsche interessanten Unternehmen ist
aus einer anderen, älteren skandinavischen Veranstaltung entsprungen: der
wechselsweisen gegenseitigen Absendung von Lehrern der vier nordischen Uni¬
versitäten. In Stockholm hat der Reichstag dazu das Geld ausgeworfen;
in Christiania wollte der Storthing, dessen Bauernmehrheit den ihrem Stande
eigenen öffentlichen Geiz besitzt, von solcher Freigebigkeit für weitaussehende
Bildungszwecke nichts wissen, so daß dort, wie auch in Kopenhagen, Privat¬
mittel aufgebracht werden mußten. Eben in Kopenhagen war es nun, wo
Professor L. Daa von Christiania, als er im letzten Winter dort einen
Cyclus von Vorträgen hielt, jene Idee in Cours setzte und sofort auch ihre
Ausführung veranlaßte.

Professor Daa steht jetzt an der Spitze der skandinavischen Gesellschaft
in Christiania, der norwegischen Trägerin des Skandinavismus, nachdem


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[0187] dem gegenseitigen Nichtvoneinderwissen entgegenstanden. Diese Läuterungs¬ und Stärkungsperiode macht die skandinavische Nationalität augenblicklich durch. In jede der bereits bestehenden oder sich noch bildenden Wanderver¬ sammlungen von Fachgenossen fährt früher oder später die Tendenz, sich aus einer schwedischen, norwegischen oder dänischen zu einer gesammtnordischen zu erweitern; keineswegs weil ihre Leiter sämmtlich schon von dem stillen Feuer des Skandinavismus ergriffen wären, sondern meist aus lediglich in der Sache liegenden Beweggründen. Der Kreis von Berufsgenossen, welchen das einzelne Land zusammenzubringen vermag, ist, selbst Schweden nicht ausgenommen, verhältnißmäßig immer klein. Der Zufluß aus den beiden Nachbarländern ist daher an sich wünschenswerth. und die Verschiedenheit der Sprache nicht groß genug, um erheblich zu stören. Dazu kommt, daß man von Kopen¬ hagen und Christiania ebenso rasch oder rascher nach Stockholm gelangen kann, als aus den südlichsten und den nördlichsten Theilen Schwedens selbst — Dank vor Allem wieder dem sich zusehends ausdehnenden und verdichten¬ den schwedischen Eisenbahnnetze. Um den einmal vorhandenen, wenn auch geringen Unterschied des Schwe¬ dischen vom Dänisch-Norwegischen für das thatsächliche Verständniß noch weiter abzuschwächen, tritt demnächst ein gemischter Ausschuß von sprach¬ gelehrten und Schriftstellern aller drei Länder zusammen, der eine neue, ge¬ meinsame Rechtschreibung entwerfen soll. Es gilt da namentlich, das Dänisch- Norwegische von einem Ballast überflüssiger, weil in der Aussprache ver¬ schwindender Buchstaben zu säubern. Für Schweden ist weniger zu thun übrig, dafür wird die Nothwendigkeit einer Besserung dort aber auch schwächer empfunden und der Uebergang zu Neuem folglich schwieriger sein. Die Uni- sitäten Upsala, Lund, Christiania und Kopenhagen sollen jede drei Vertreter schicken; die meisten derselben sind bereits ernannt. Die Idee zu diesem auch für uns Deutsche interessanten Unternehmen ist aus einer anderen, älteren skandinavischen Veranstaltung entsprungen: der wechselsweisen gegenseitigen Absendung von Lehrern der vier nordischen Uni¬ versitäten. In Stockholm hat der Reichstag dazu das Geld ausgeworfen; in Christiania wollte der Storthing, dessen Bauernmehrheit den ihrem Stande eigenen öffentlichen Geiz besitzt, von solcher Freigebigkeit für weitaussehende Bildungszwecke nichts wissen, so daß dort, wie auch in Kopenhagen, Privat¬ mittel aufgebracht werden mußten. Eben in Kopenhagen war es nun, wo Professor L. Daa von Christiania, als er im letzten Winter dort einen Cyclus von Vorträgen hielt, jene Idee in Cours setzte und sofort auch ihre Ausführung veranlaßte. Professor Daa steht jetzt an der Spitze der skandinavischen Gesellschaft in Christiania, der norwegischen Trägerin des Skandinavismus, nachdem 23*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/187>, abgerufen am 24.07.2024.