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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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der Bevölkerung betragen, rechnen. Was die Ultramontanen wünschen, ist
überall genug bekannt, und ihre Tactik läßt sich in wenigen Worten charak-
terisiren: Im Anfang verlangen sie Gleichberechtigung, dann Vorrechte und
zuletzt Alleinherrschaft. An ihrer Spitze stehen als Führer die Herren Dr.
Nutzens und Abt Brouwers. Vor einem Jahre reichte Herr Groen diesen
Herren die Hand zum gemeinschaftlichen Kampf gegen das Schulgesetz; der
Gedenktag der Schlacht bei Heiligerlee (1568) hat aber das Mißtrauen beider
Parteien gegeneinander erweckt und einen Streit ins Leben gerufen, der in
lehrreicher Weise zeigt, wie man in konfessionellen Schulen der Geschichte
Zwang anthun muß, wenn man nicht den verurtheilten Charakter der neu¬
tralen Schule annehmen will.

Herr Groen hat erst die Streichung des Wörtchens "christlich" und
Unterstützung der Sectenschulen vom Staate verlangt, sowohl direct durch
Zuschüsse in Geld, als auch indirect durch Vertheuerung des Unterrichtes
auf den Staatsschulen, abgesehen von anderen Forderungen seiner Partei¬
genossen, als Erleichterung der Examina für die Lehrer, oder Erlaubniß für
Hülfslehrer als Hauptlehrer an Privatschulen zu fungiren u. s. w. Jetzt will
Herr Groen Aenderung, resp. Streichung 5es §. 194 des Staatsgrund¬
gesetzes aus dem theoretisch richtigen, jedoch praktisch schlecht angebrachten
Princip, daß der Unterricht nicht Sache des Staates sei.

Mit welchen Waffen die Staatsschule bekämpft wird, kann man aus
der folgenden Argumentation der Christlich-nationalen ersehen. Es heißt
nämlich, das moderne Christenthum wolle von der Wahrheit der Dogmen
nichts wissen, lehre allgemeine christliche Tugenden und die Staatsschule lehre
ebenfalls keine Dogmen und nur christliche Tugenden: also sei die Staats¬
schule durchaus nicht neutral, sondern eine Confesfionsschule des modernen
Christenthums. Das zwischen Etwas nicht lehren, oder lehren, daß
Etwas nicht wahr sei, ein sehr großer Unterschied ist, kann Jeder ein¬
sehen, und dennoch haben sich unbegreiflicherweise sehr Viele irre leiten
lassen.

Gruppirt man nun das Volk, nach seiner Stellung zur Schulfrage, so steht
auf Seiten des Gesetzes der allergrößte Theil der gebildeten Classen, und auf
der entgegengesetzten Seite eine kleine, politisch und social ganz unbedeutende
Aristokratie im Bunde mit einem kleinen Theil der untern Bevölkerung und
den Katholiken. Der größte Theil des niedrigen Volkes, das nur hin und
wieder durch Parteigänger jeder Richtung in Bewegung gebracht werden
kann, verhält sich dagegen wesentlich theilnahmlos.

Das ungefähr wäre der Stand der Agitation gegen das Schulgesetz hier
zu Lande; Agitation sür dasselbe hat sich in der letzten Zeit ebenfalls ge¬
zeigt. Die Gesellschaft: N^tsedaxp^ tot nut van't al^sacer, die im ganzen


der Bevölkerung betragen, rechnen. Was die Ultramontanen wünschen, ist
überall genug bekannt, und ihre Tactik läßt sich in wenigen Worten charak-
terisiren: Im Anfang verlangen sie Gleichberechtigung, dann Vorrechte und
zuletzt Alleinherrschaft. An ihrer Spitze stehen als Führer die Herren Dr.
Nutzens und Abt Brouwers. Vor einem Jahre reichte Herr Groen diesen
Herren die Hand zum gemeinschaftlichen Kampf gegen das Schulgesetz; der
Gedenktag der Schlacht bei Heiligerlee (1568) hat aber das Mißtrauen beider
Parteien gegeneinander erweckt und einen Streit ins Leben gerufen, der in
lehrreicher Weise zeigt, wie man in konfessionellen Schulen der Geschichte
Zwang anthun muß, wenn man nicht den verurtheilten Charakter der neu¬
tralen Schule annehmen will.

Herr Groen hat erst die Streichung des Wörtchens „christlich" und
Unterstützung der Sectenschulen vom Staate verlangt, sowohl direct durch
Zuschüsse in Geld, als auch indirect durch Vertheuerung des Unterrichtes
auf den Staatsschulen, abgesehen von anderen Forderungen seiner Partei¬
genossen, als Erleichterung der Examina für die Lehrer, oder Erlaubniß für
Hülfslehrer als Hauptlehrer an Privatschulen zu fungiren u. s. w. Jetzt will
Herr Groen Aenderung, resp. Streichung 5es §. 194 des Staatsgrund¬
gesetzes aus dem theoretisch richtigen, jedoch praktisch schlecht angebrachten
Princip, daß der Unterricht nicht Sache des Staates sei.

Mit welchen Waffen die Staatsschule bekämpft wird, kann man aus
der folgenden Argumentation der Christlich-nationalen ersehen. Es heißt
nämlich, das moderne Christenthum wolle von der Wahrheit der Dogmen
nichts wissen, lehre allgemeine christliche Tugenden und die Staatsschule lehre
ebenfalls keine Dogmen und nur christliche Tugenden: also sei die Staats¬
schule durchaus nicht neutral, sondern eine Confesfionsschule des modernen
Christenthums. Das zwischen Etwas nicht lehren, oder lehren, daß
Etwas nicht wahr sei, ein sehr großer Unterschied ist, kann Jeder ein¬
sehen, und dennoch haben sich unbegreiflicherweise sehr Viele irre leiten
lassen.

Gruppirt man nun das Volk, nach seiner Stellung zur Schulfrage, so steht
auf Seiten des Gesetzes der allergrößte Theil der gebildeten Classen, und auf
der entgegengesetzten Seite eine kleine, politisch und social ganz unbedeutende
Aristokratie im Bunde mit einem kleinen Theil der untern Bevölkerung und
den Katholiken. Der größte Theil des niedrigen Volkes, das nur hin und
wieder durch Parteigänger jeder Richtung in Bewegung gebracht werden
kann, verhält sich dagegen wesentlich theilnahmlos.

Das ungefähr wäre der Stand der Agitation gegen das Schulgesetz hier
zu Lande; Agitation sür dasselbe hat sich in der letzten Zeit ebenfalls ge¬
zeigt. Die Gesellschaft: N^tsedaxp^ tot nut van't al^sacer, die im ganzen


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[0184] der Bevölkerung betragen, rechnen. Was die Ultramontanen wünschen, ist überall genug bekannt, und ihre Tactik läßt sich in wenigen Worten charak- terisiren: Im Anfang verlangen sie Gleichberechtigung, dann Vorrechte und zuletzt Alleinherrschaft. An ihrer Spitze stehen als Führer die Herren Dr. Nutzens und Abt Brouwers. Vor einem Jahre reichte Herr Groen diesen Herren die Hand zum gemeinschaftlichen Kampf gegen das Schulgesetz; der Gedenktag der Schlacht bei Heiligerlee (1568) hat aber das Mißtrauen beider Parteien gegeneinander erweckt und einen Streit ins Leben gerufen, der in lehrreicher Weise zeigt, wie man in konfessionellen Schulen der Geschichte Zwang anthun muß, wenn man nicht den verurtheilten Charakter der neu¬ tralen Schule annehmen will. Herr Groen hat erst die Streichung des Wörtchens „christlich" und Unterstützung der Sectenschulen vom Staate verlangt, sowohl direct durch Zuschüsse in Geld, als auch indirect durch Vertheuerung des Unterrichtes auf den Staatsschulen, abgesehen von anderen Forderungen seiner Partei¬ genossen, als Erleichterung der Examina für die Lehrer, oder Erlaubniß für Hülfslehrer als Hauptlehrer an Privatschulen zu fungiren u. s. w. Jetzt will Herr Groen Aenderung, resp. Streichung 5es §. 194 des Staatsgrund¬ gesetzes aus dem theoretisch richtigen, jedoch praktisch schlecht angebrachten Princip, daß der Unterricht nicht Sache des Staates sei. Mit welchen Waffen die Staatsschule bekämpft wird, kann man aus der folgenden Argumentation der Christlich-nationalen ersehen. Es heißt nämlich, das moderne Christenthum wolle von der Wahrheit der Dogmen nichts wissen, lehre allgemeine christliche Tugenden und die Staatsschule lehre ebenfalls keine Dogmen und nur christliche Tugenden: also sei die Staats¬ schule durchaus nicht neutral, sondern eine Confesfionsschule des modernen Christenthums. Das zwischen Etwas nicht lehren, oder lehren, daß Etwas nicht wahr sei, ein sehr großer Unterschied ist, kann Jeder ein¬ sehen, und dennoch haben sich unbegreiflicherweise sehr Viele irre leiten lassen. Gruppirt man nun das Volk, nach seiner Stellung zur Schulfrage, so steht auf Seiten des Gesetzes der allergrößte Theil der gebildeten Classen, und auf der entgegengesetzten Seite eine kleine, politisch und social ganz unbedeutende Aristokratie im Bunde mit einem kleinen Theil der untern Bevölkerung und den Katholiken. Der größte Theil des niedrigen Volkes, das nur hin und wieder durch Parteigänger jeder Richtung in Bewegung gebracht werden kann, verhält sich dagegen wesentlich theilnahmlos. Das ungefähr wäre der Stand der Agitation gegen das Schulgesetz hier zu Lande; Agitation sür dasselbe hat sich in der letzten Zeit ebenfalls ge¬ zeigt. Die Gesellschaft: N^tsedaxp^ tot nut van't al^sacer, die im ganzen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/184>, abgerufen am 24.07.2024.