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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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nisse in den Weg.

Die von den bürgerlichen Gemeinden unterhaltenen Staatsschulen waren
überall für die ärmeren Classen und theilweise auch für die mittlere Bürger¬
classe unentgeltlich; sollten die Sectenschulen bevölkert werden, so mußte man
den Kindern der Armen ebenfalls unentgeldlichen Unterricht ertheilen. Bei den
Staatsschulen bezahlten durchschnittlich 55 Procent der Schüler kein Schul¬
geld, und konnten die Sectenschulen darum auf nicht mehr als höchstens die
Hälfte der zahlenden Kinder rechnen.

Die Unterhaltungskosten der Sectenschule konnten aber unmöglich ganz
dieser Hälfte aufgebürdet werden, da dieselbe nicht im Stande war sie zu
tragen. Die bemitteltere Classe der Bürgersandte schon früher und sendet noch
jetzt ihre Kinder in Privatschulen, die fast alle nach dem Schema der Staats¬
schulen eingerichtet sind und wo ein Schulgeld von dreißig bis zu hundert
Gulden jährlich und noch mehr bezahlt wird. Diese Bürger zeigten nun
aber nicht das geringste Bedürfniß, ihre Kinder in die Sectenschulen zu
schicken. Es blieb also für diese keine andere Wahl, als das nothwendiger¬
weise entstehende Deficit durch gesammelte milde Beiträge zu decken. Aber
eben diese flössen nicht reichlich genug ein, denn nur bei Wenigen fand man
die gewünschte Sympathie für die Sache des "christlich-nationalen" Unterrichts.

Herr Groen und seine Partei ließen sich dadurch nicht abschrecken, ob¬
gleich sie sich häufig genug beklagten. Sie hatten gehofft, kraft der ihnen zu
Gebote stehenden Freiheit die Vorzüge der Sectenschule gegenüber der neu¬
tralen Schule thatsächlich beweisen zu können, und sahen sich jetzt getäuscht.
Nicht allein, daß sie keine genügende Anzahl Schulen errichten konnten -- die
glücklich ins Leben gerufenen blieben gewöhnlich unter dem Niveau der
Staatsschulen. Die Ursache lag hauptsächlich im Geldmangel, da die bürger¬
lichen Gemeinden besser bezahlen und sich demnach die tüchtigsten Lehrkräfte
auswählen konnten.

Man sah. daß man der Staatshülfe nicht die Spitze bieten konnte, des¬
halb mußte ihr Concurrenz gemacht -- sie selbst -- wo möglich vernichtet
werden, und man wandte sich nun gegen das Schulgesetz. Man avvellirte
an die allgemein bekannte Religiosität des Volkes und bewies demselben mit
einer Terminologie, die im Deutschen genau dieselbe ist wie im Holländi¬
schen, daß die Staatsschule gottesdienstlos (religionslos -- irreligiös) sei.
Ein Mensch ohne Ehre ist ehrlos; der Staat ohne Gott ist gottlos; die
Schule ohne Gottesdienst ist gottesdienstlos. Letzteres ist jedoch ein neues
Wort, klingt ungefähr so wie gottlos, und bald hieß es: die Staatsschule ist
gottesdienstlos, das heißt: materialistisch. -- Aber diesem Beweise stand das
Wörtchen "christlich" im Schulgesetz gegenüber und die Anhänger desselben


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tigem Seelen - resp, der orthodox-protestantischen Schulen finanzielle Hinder¬
nisse in den Weg.

Die von den bürgerlichen Gemeinden unterhaltenen Staatsschulen waren
überall für die ärmeren Classen und theilweise auch für die mittlere Bürger¬
classe unentgeltlich; sollten die Sectenschulen bevölkert werden, so mußte man
den Kindern der Armen ebenfalls unentgeldlichen Unterricht ertheilen. Bei den
Staatsschulen bezahlten durchschnittlich 55 Procent der Schüler kein Schul¬
geld, und konnten die Sectenschulen darum auf nicht mehr als höchstens die
Hälfte der zahlenden Kinder rechnen.

Die Unterhaltungskosten der Sectenschule konnten aber unmöglich ganz
dieser Hälfte aufgebürdet werden, da dieselbe nicht im Stande war sie zu
tragen. Die bemitteltere Classe der Bürgersandte schon früher und sendet noch
jetzt ihre Kinder in Privatschulen, die fast alle nach dem Schema der Staats¬
schulen eingerichtet sind und wo ein Schulgeld von dreißig bis zu hundert
Gulden jährlich und noch mehr bezahlt wird. Diese Bürger zeigten nun
aber nicht das geringste Bedürfniß, ihre Kinder in die Sectenschulen zu
schicken. Es blieb also für diese keine andere Wahl, als das nothwendiger¬
weise entstehende Deficit durch gesammelte milde Beiträge zu decken. Aber
eben diese flössen nicht reichlich genug ein, denn nur bei Wenigen fand man
die gewünschte Sympathie für die Sache des „christlich-nationalen" Unterrichts.

Herr Groen und seine Partei ließen sich dadurch nicht abschrecken, ob¬
gleich sie sich häufig genug beklagten. Sie hatten gehofft, kraft der ihnen zu
Gebote stehenden Freiheit die Vorzüge der Sectenschule gegenüber der neu¬
tralen Schule thatsächlich beweisen zu können, und sahen sich jetzt getäuscht.
Nicht allein, daß sie keine genügende Anzahl Schulen errichten konnten — die
glücklich ins Leben gerufenen blieben gewöhnlich unter dem Niveau der
Staatsschulen. Die Ursache lag hauptsächlich im Geldmangel, da die bürger¬
lichen Gemeinden besser bezahlen und sich demnach die tüchtigsten Lehrkräfte
auswählen konnten.

Man sah. daß man der Staatshülfe nicht die Spitze bieten konnte, des¬
halb mußte ihr Concurrenz gemacht — sie selbst — wo möglich vernichtet
werden, und man wandte sich nun gegen das Schulgesetz. Man avvellirte
an die allgemein bekannte Religiosität des Volkes und bewies demselben mit
einer Terminologie, die im Deutschen genau dieselbe ist wie im Holländi¬
schen, daß die Staatsschule gottesdienstlos (religionslos — irreligiös) sei.
Ein Mensch ohne Ehre ist ehrlos; der Staat ohne Gott ist gottlos; die
Schule ohne Gottesdienst ist gottesdienstlos. Letzteres ist jedoch ein neues
Wort, klingt ungefähr so wie gottlos, und bald hieß es: die Staatsschule ist
gottesdienstlos, das heißt: materialistisch. — Aber diesem Beweise stand das
Wörtchen „christlich" im Schulgesetz gegenüber und die Anhänger desselben


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[0179] tigem Seelen - resp, der orthodox-protestantischen Schulen finanzielle Hinder¬ nisse in den Weg. Die von den bürgerlichen Gemeinden unterhaltenen Staatsschulen waren überall für die ärmeren Classen und theilweise auch für die mittlere Bürger¬ classe unentgeltlich; sollten die Sectenschulen bevölkert werden, so mußte man den Kindern der Armen ebenfalls unentgeldlichen Unterricht ertheilen. Bei den Staatsschulen bezahlten durchschnittlich 55 Procent der Schüler kein Schul¬ geld, und konnten die Sectenschulen darum auf nicht mehr als höchstens die Hälfte der zahlenden Kinder rechnen. Die Unterhaltungskosten der Sectenschule konnten aber unmöglich ganz dieser Hälfte aufgebürdet werden, da dieselbe nicht im Stande war sie zu tragen. Die bemitteltere Classe der Bürgersandte schon früher und sendet noch jetzt ihre Kinder in Privatschulen, die fast alle nach dem Schema der Staats¬ schulen eingerichtet sind und wo ein Schulgeld von dreißig bis zu hundert Gulden jährlich und noch mehr bezahlt wird. Diese Bürger zeigten nun aber nicht das geringste Bedürfniß, ihre Kinder in die Sectenschulen zu schicken. Es blieb also für diese keine andere Wahl, als das nothwendiger¬ weise entstehende Deficit durch gesammelte milde Beiträge zu decken. Aber eben diese flössen nicht reichlich genug ein, denn nur bei Wenigen fand man die gewünschte Sympathie für die Sache des „christlich-nationalen" Unterrichts. Herr Groen und seine Partei ließen sich dadurch nicht abschrecken, ob¬ gleich sie sich häufig genug beklagten. Sie hatten gehofft, kraft der ihnen zu Gebote stehenden Freiheit die Vorzüge der Sectenschule gegenüber der neu¬ tralen Schule thatsächlich beweisen zu können, und sahen sich jetzt getäuscht. Nicht allein, daß sie keine genügende Anzahl Schulen errichten konnten — die glücklich ins Leben gerufenen blieben gewöhnlich unter dem Niveau der Staatsschulen. Die Ursache lag hauptsächlich im Geldmangel, da die bürger¬ lichen Gemeinden besser bezahlen und sich demnach die tüchtigsten Lehrkräfte auswählen konnten. Man sah. daß man der Staatshülfe nicht die Spitze bieten konnte, des¬ halb mußte ihr Concurrenz gemacht — sie selbst — wo möglich vernichtet werden, und man wandte sich nun gegen das Schulgesetz. Man avvellirte an die allgemein bekannte Religiosität des Volkes und bewies demselben mit einer Terminologie, die im Deutschen genau dieselbe ist wie im Holländi¬ schen, daß die Staatsschule gottesdienstlos (religionslos — irreligiös) sei. Ein Mensch ohne Ehre ist ehrlos; der Staat ohne Gott ist gottlos; die Schule ohne Gottesdienst ist gottesdienstlos. Letzteres ist jedoch ein neues Wort, klingt ungefähr so wie gottlos, und bald hieß es: die Staatsschule ist gottesdienstlos, das heißt: materialistisch. — Aber diesem Beweise stand das Wörtchen „christlich" im Schulgesetz gegenüber und die Anhänger desselben 22*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/179>, abgerufen am 24.07.2024.