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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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u. s. w, auf dem Fuß der meistbegünstigten Nation, d, h. der Gleichheit be-
handelt wurde. Der Zollverein umfaßte jetzt das ganze außeröstreichische
Deutschland mit Ausnahme Holstein-Lauenburgs, der Hansestädte und,
Mecklenburgs. Der Beitritt des ersteren wurde nach dem Wiener Frieden
von 1864 auch von Oestreich nicht mehr bestritten, die Ausnahmestellung der
Städte aber von Preußen selbst dahin anerkannt, daß die spätere norddeutsche
Bundesverfassung sie aufs neue sanctionirte. weil es im eigenen Vortheil
Deutschlands war, sich diese Weltmärkte an seinen Grenzen zu erhalten,
welche nur bei ungehinderter Freiheit der Bewegung bestehen konnten. Da¬
gegen rechtfertigte nichts die Fortdauer der Sonderstellung Mecklenburgs,
welche vielmehr allein in der Selbstsucht seiner privilegirten Classen begrün¬
det war; die Frage des Eintritts oder Nichteintritts in den Zollverein war
dort, wie Graf Bismarck sich einmal humoristisch ausdrückte, die Rothwein¬
frage. Mecklenburg umgab sich mit einem Grenzzoll und schloß mit Frank¬
reich jenen berüchtigten Vertrag ab, welcher durch die Begünstigung der fran¬
zösischen Weine später die Neugestaltung des Zollvereins so lang hemmte.

Wir haben hier dem Verfasser in seiner Darstellung der Ereignisse des
Jahres 1868 nicht zu folgen, können aber nicht in das unbedingte Lob ein¬
stimmen, welches er der preußischen Politik hinsichtlich der Reconstituirugn
des Zollvereins spendet. Gewiß verkennen wir nicht den großen und segens¬
reichen Fortschritt, der mit der Beseitigung des liberum vew der Vereins¬
staaten, der Herstellung eines Zollvereinsbundesraths und des Zollparlaments
gethan ist. Aber wir glauben, daß die preußische Regierung eine folgen¬
schwere Versäumniß begangen, indem sie nicht die Annahme eines reformirten
Tarifs zur Bedingung des Friedens und der Herstellung des Zollvereins ge¬
macht hat. Die Reform, welche der französische Vertrag brachte, war dan-
kenswerth. aber zu knapp bemessen, weil Preußen bei den Verhandlungen auf
die Forderungen jedes Einzelstaates Rücksicht nehmen mußte, um triftige
Gründe der Verwerfung zu vermeiden; 1866 aber waren die Staaten, von
denen bisher stets die Opposition ausgegangen war, nicht in der Lage, sich
zu sträuben, wenn Preußen die Annahme eines auf dem Princip einfacher
Finanzzölle basirten Tarifs zur Friedensbedingung gemacht hätte. Jetzt wird
ein solcher im Zollbundesrath ebenso schwer durchzusetzen sein, wie im Zoll¬
parlament, weil in beiden die Schutzzollinteressen stark vertreten sind. Und
doch wird die Forderung, mit dem Schutzzoll zu brechen, um so unabweis-
licher, als die finanziellen Anforderungen an den Bund steigen; eine Reihe
von Zöllen, z. B. die auf Baumwollenwaaren, wirken noch vollkommen
prohibitiv, also unproductiv für die Staatscasse, eine erhebliche Steigerung
der Einnahmen aus den indirecten Abgaben ist nothwendig, schon weil di-
recte Steuern für den Zollverein unthunlich, selbst für den Bund schwierig


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u. s. w, auf dem Fuß der meistbegünstigten Nation, d, h. der Gleichheit be-
handelt wurde. Der Zollverein umfaßte jetzt das ganze außeröstreichische
Deutschland mit Ausnahme Holstein-Lauenburgs, der Hansestädte und,
Mecklenburgs. Der Beitritt des ersteren wurde nach dem Wiener Frieden
von 1864 auch von Oestreich nicht mehr bestritten, die Ausnahmestellung der
Städte aber von Preußen selbst dahin anerkannt, daß die spätere norddeutsche
Bundesverfassung sie aufs neue sanctionirte. weil es im eigenen Vortheil
Deutschlands war, sich diese Weltmärkte an seinen Grenzen zu erhalten,
welche nur bei ungehinderter Freiheit der Bewegung bestehen konnten. Da¬
gegen rechtfertigte nichts die Fortdauer der Sonderstellung Mecklenburgs,
welche vielmehr allein in der Selbstsucht seiner privilegirten Classen begrün¬
det war; die Frage des Eintritts oder Nichteintritts in den Zollverein war
dort, wie Graf Bismarck sich einmal humoristisch ausdrückte, die Rothwein¬
frage. Mecklenburg umgab sich mit einem Grenzzoll und schloß mit Frank¬
reich jenen berüchtigten Vertrag ab, welcher durch die Begünstigung der fran¬
zösischen Weine später die Neugestaltung des Zollvereins so lang hemmte.

Wir haben hier dem Verfasser in seiner Darstellung der Ereignisse des
Jahres 1868 nicht zu folgen, können aber nicht in das unbedingte Lob ein¬
stimmen, welches er der preußischen Politik hinsichtlich der Reconstituirugn
des Zollvereins spendet. Gewiß verkennen wir nicht den großen und segens¬
reichen Fortschritt, der mit der Beseitigung des liberum vew der Vereins¬
staaten, der Herstellung eines Zollvereinsbundesraths und des Zollparlaments
gethan ist. Aber wir glauben, daß die preußische Regierung eine folgen¬
schwere Versäumniß begangen, indem sie nicht die Annahme eines reformirten
Tarifs zur Bedingung des Friedens und der Herstellung des Zollvereins ge¬
macht hat. Die Reform, welche der französische Vertrag brachte, war dan-
kenswerth. aber zu knapp bemessen, weil Preußen bei den Verhandlungen auf
die Forderungen jedes Einzelstaates Rücksicht nehmen mußte, um triftige
Gründe der Verwerfung zu vermeiden; 1866 aber waren die Staaten, von
denen bisher stets die Opposition ausgegangen war, nicht in der Lage, sich
zu sträuben, wenn Preußen die Annahme eines auf dem Princip einfacher
Finanzzölle basirten Tarifs zur Friedensbedingung gemacht hätte. Jetzt wird
ein solcher im Zollbundesrath ebenso schwer durchzusetzen sein, wie im Zoll¬
parlament, weil in beiden die Schutzzollinteressen stark vertreten sind. Und
doch wird die Forderung, mit dem Schutzzoll zu brechen, um so unabweis-
licher, als die finanziellen Anforderungen an den Bund steigen; eine Reihe
von Zöllen, z. B. die auf Baumwollenwaaren, wirken noch vollkommen
prohibitiv, also unproductiv für die Staatscasse, eine erhebliche Steigerung
der Einnahmen aus den indirecten Abgaben ist nothwendig, schon weil di-
recte Steuern für den Zollverein unthunlich, selbst für den Bund schwierig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/107>, abgerufen am 24.07.2024.