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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Es war der damalige Kriegsrath Müller, ein gelehrter stolzer Mann. Ich
machte ihm ein kurzes artiges Compliment -- von seinem Weinapparat
wurde kaum gekostet und wir gingen wieder zu unserer Armee.

Nach Beobachtung dieser Aufmerksamkeit gingen wir nun im langen
Zuge mit voller Musik, von guter Vocalmusik begleitet, zu dem Helden unsers
Stücks, zu Dr. Burscher. Leider wohnte er tief am schmälern Ende der
langen Gasse, der Brühl genannt -- auch war seine Wohnung nicht sehr
geräumig. Vor seiner Thüre machten wir Halt, schwenkten die Fahnen und
legten sie alle drei in seinem Vorhause schräg an die Wand. Nun gingen
die Anführer voran, präsentirten den Redner, den Kissenträger, den Stab
und ihre Begleiter -- ich winkte Herrn Lischke, der als Riese in der etwas
niedrigen Stube auftrat und seine Rede mit dem aufgerollten Papiere, wie
eine Donnerkeile Jupiters auf Herrn Burscher und aus den Fenstern so
herabschleuderte, daß solche einen großen Theil der Straße herabrollte. Da¬
rauf erschien Herr v. Exter und überreichte Gedicht und Kissen dem alten
Mentor, der kaum wußte, was der Emil mit ihm zu thun hatte. Die
Fahnenträger äußerten, daß sie ihre Ehrenzeichen bei ihm niedergelegt hätten
und empfahlen sich und die drei Nationen seiner fernern Liebe. -- Ich und
Mie sagten ihm mehr gerührt als gesucht, es wäre uns ein erfreulicher Tag,
ihm den Dank der Universität mit dieser äußerlichen Bezeugung der Achtung
und des Vorzugs, den seine Menschenliebe verdiente, zu beweisen.

Der alte Burscher war betroffen, bewegt und erschüttert: er drückte seine
Dankbarkeit aus der Fülle seines Herzens aus und schloß mit der Versiche¬
rung, die Handlungen dieses Tages würden in den Annalen Leipzigs ein
unvergeßliches Andenken zu unserm Ruhme sein.

Es wurden einige, doch nur wenige Gesundheiten getrunken; die Behau-
sung war enge und die Zeit verfloß: wir empfahlen uns und gingen zu
unseren Cameraden. Diese hatten sich bei ihrem Fackelschein wohl langweilen
mögen; wir fanden sie aber beredt. Einige einen Labetrunk aus eigener Flasche
nehmend. froh und guter Laune. Es ging mit Musik, doch ohne große
Parade, zum Se. Thomas-Platze. Hier wurde beschlossen, unsere Fackeln,
die nur etwas über die Hälfte abgebrannt waren, in einem Haufen vor der
Kirche verbrennen zu lassen. Diese jugendlich rasche, aber wohl gefähr¬
liche Idee ward auch sogleich ausgeführt und in einigen Minuten stieg eine
helle Flamme empor, die mit der Höhe des Kirchthurms zu wetteifern schien,
bald sich beugte und schwarzen Dampf in die Luft sandte, bald wieder Pracht-
und gluthvoll in die Höhe zog. Dieses erhabene Schauspiel brachte einige
wackere Sänger um die Flamme zusammen, welche ein Lied sangen, worin
die Strophe "unser Leben vergeht wie ein Rauch" oft vorkam. Die
Stimmen waren so wohlklingend und so rührend, daß man die feuchten Augen


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Es war der damalige Kriegsrath Müller, ein gelehrter stolzer Mann. Ich
machte ihm ein kurzes artiges Compliment — von seinem Weinapparat
wurde kaum gekostet und wir gingen wieder zu unserer Armee.

Nach Beobachtung dieser Aufmerksamkeit gingen wir nun im langen
Zuge mit voller Musik, von guter Vocalmusik begleitet, zu dem Helden unsers
Stücks, zu Dr. Burscher. Leider wohnte er tief am schmälern Ende der
langen Gasse, der Brühl genannt — auch war seine Wohnung nicht sehr
geräumig. Vor seiner Thüre machten wir Halt, schwenkten die Fahnen und
legten sie alle drei in seinem Vorhause schräg an die Wand. Nun gingen
die Anführer voran, präsentirten den Redner, den Kissenträger, den Stab
und ihre Begleiter — ich winkte Herrn Lischke, der als Riese in der etwas
niedrigen Stube auftrat und seine Rede mit dem aufgerollten Papiere, wie
eine Donnerkeile Jupiters auf Herrn Burscher und aus den Fenstern so
herabschleuderte, daß solche einen großen Theil der Straße herabrollte. Da¬
rauf erschien Herr v. Exter und überreichte Gedicht und Kissen dem alten
Mentor, der kaum wußte, was der Emil mit ihm zu thun hatte. Die
Fahnenträger äußerten, daß sie ihre Ehrenzeichen bei ihm niedergelegt hätten
und empfahlen sich und die drei Nationen seiner fernern Liebe. — Ich und
Mie sagten ihm mehr gerührt als gesucht, es wäre uns ein erfreulicher Tag,
ihm den Dank der Universität mit dieser äußerlichen Bezeugung der Achtung
und des Vorzugs, den seine Menschenliebe verdiente, zu beweisen.

Der alte Burscher war betroffen, bewegt und erschüttert: er drückte seine
Dankbarkeit aus der Fülle seines Herzens aus und schloß mit der Versiche¬
rung, die Handlungen dieses Tages würden in den Annalen Leipzigs ein
unvergeßliches Andenken zu unserm Ruhme sein.

Es wurden einige, doch nur wenige Gesundheiten getrunken; die Behau-
sung war enge und die Zeit verfloß: wir empfahlen uns und gingen zu
unseren Cameraden. Diese hatten sich bei ihrem Fackelschein wohl langweilen
mögen; wir fanden sie aber beredt. Einige einen Labetrunk aus eigener Flasche
nehmend. froh und guter Laune. Es ging mit Musik, doch ohne große
Parade, zum Se. Thomas-Platze. Hier wurde beschlossen, unsere Fackeln,
die nur etwas über die Hälfte abgebrannt waren, in einem Haufen vor der
Kirche verbrennen zu lassen. Diese jugendlich rasche, aber wohl gefähr¬
liche Idee ward auch sogleich ausgeführt und in einigen Minuten stieg eine
helle Flamme empor, die mit der Höhe des Kirchthurms zu wetteifern schien,
bald sich beugte und schwarzen Dampf in die Luft sandte, bald wieder Pracht-
und gluthvoll in die Höhe zog. Dieses erhabene Schauspiel brachte einige
wackere Sänger um die Flamme zusammen, welche ein Lied sangen, worin
die Strophe „unser Leben vergeht wie ein Rauch" oft vorkam. Die
Stimmen waren so wohlklingend und so rührend, daß man die feuchten Augen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/70>, abgerufen am 28.09.2024.