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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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reichen goldenen Fransen besetzten rothsammtnen Kissen trug. Das Gedicht
war sauber auf Silber-Glace' gedruckt. Herr von Exter ließ sich ein schar-
lachnes feines Kleid mit Gold besetzt dazu machen und vergaß nicht, einen
etwas langen Degen dazu zu bestellen. Der Inhalt des aus der poetischen
Feder unsers Clodius geflossenem Emil war eine moralische Erzählung: wie
dieser Emil, durch jugendlichen Leichtsinn und Leidenschaft verführt, seinen
ihn warnenden Lehrer, einen Greis, mit dem bloßen Degen umbringen
wollte; -- dies war freilich etwas stark erfunden -- allein da der greise
Mentor sich nicht irre machen ließ, vielmehr für den Verirrten betete, so kam
dieser zur Reue und fiel seinem Lehrer weinend und büßend um den Hals.
Daraus hieß es am Schlüsse: So, Burscher, hast du für uns gebetet und ge-
wacht und so viel Gutes gethan, daß wir dir einmüthig ein Opfer des
Dankes und der Empfindung bringen. -- Der Emil selbst hätte meines Er-
achtens hiebei ganz zu Hause bleiben können, und hätte der genfer Philosoph
es erfahren, daß der Emil des Clodius sich so unartig gegen Greise be¬
nahm, so würde er dem seinigen wohl lieber einen anderen Namen gegeben
haben. -- Aber unser Emil war nun einmal nicht anders gerathen und
wurde dafür mit großem Pomp in Leipzig herumgetragen.

Endlich erschien der entscheidende Friedrichstag im November 1782. --
Nachmittags um 2 Uhr holten die 2 Adjutanten ihren Fahnenträger, zu
diesem gesellten sich die 24 Adjutanten der Colonne, und diese gingen in
Reih und Glied mit entblößten Degen zu ihrem Colonnenführer, der die
Ehre genoß sich so abgeholt zu sehen und in voller Uniform auf diese Ehren¬
männer wartend sie mit einem Glase Rheinwein empfing und sich an ihre
Spitze stellte, um sie aus den großen Musterungsplatz, wo alle versammelt
sein mußten, zu führen. Auf dem freien Platze bei der Thomaskirche ver¬
sammelte sich Alles: Studenten. Musikchöre. Fackeln, Redner, Marschälle
und der weitglänzende Kissenträger. Bis gegen sechs dauerten die Stellungen
und Eintheilungen der Masse, wozu die 24 Flügeladjutanten besonders nützlich
waren. Diese waren auch darzu bestimmt, mit bloßem Degen in der rechten
Hand, neben der Colonne. den Respect der Zuschauer zu erhalten und die
Zudringlichen abzuwehren; in der linken Hand auf die Schulter gelehnt
trug ein jeder dieser Adjutanten eine Wachs- und Pechfackel von sechs Fuß
Hohe. Noch muß angeführt werden. daß die bekannte gute Polizei Leipzigs
den Befehl erhalten hatte, überall behilflich und wachsam zu sein. Die Häscher
standen in gewissen Entfernungen; an allen Straßenecken waren große ge¬
füllte Wasserbehälter, und dem Zudrängen des Pöbels wurde von weitem
vorgebaut.

Nach geschehener Aufstellung begann der Zug. Ein Musikchor voran,
dann der Redner; ihm folgten 12 Marschälle. schwarz gekleidet, in Strümpfen


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reichen goldenen Fransen besetzten rothsammtnen Kissen trug. Das Gedicht
war sauber auf Silber-Glace' gedruckt. Herr von Exter ließ sich ein schar-
lachnes feines Kleid mit Gold besetzt dazu machen und vergaß nicht, einen
etwas langen Degen dazu zu bestellen. Der Inhalt des aus der poetischen
Feder unsers Clodius geflossenem Emil war eine moralische Erzählung: wie
dieser Emil, durch jugendlichen Leichtsinn und Leidenschaft verführt, seinen
ihn warnenden Lehrer, einen Greis, mit dem bloßen Degen umbringen
wollte; — dies war freilich etwas stark erfunden — allein da der greise
Mentor sich nicht irre machen ließ, vielmehr für den Verirrten betete, so kam
dieser zur Reue und fiel seinem Lehrer weinend und büßend um den Hals.
Daraus hieß es am Schlüsse: So, Burscher, hast du für uns gebetet und ge-
wacht und so viel Gutes gethan, daß wir dir einmüthig ein Opfer des
Dankes und der Empfindung bringen. — Der Emil selbst hätte meines Er-
achtens hiebei ganz zu Hause bleiben können, und hätte der genfer Philosoph
es erfahren, daß der Emil des Clodius sich so unartig gegen Greise be¬
nahm, so würde er dem seinigen wohl lieber einen anderen Namen gegeben
haben. — Aber unser Emil war nun einmal nicht anders gerathen und
wurde dafür mit großem Pomp in Leipzig herumgetragen.

Endlich erschien der entscheidende Friedrichstag im November 1782. —
Nachmittags um 2 Uhr holten die 2 Adjutanten ihren Fahnenträger, zu
diesem gesellten sich die 24 Adjutanten der Colonne, und diese gingen in
Reih und Glied mit entblößten Degen zu ihrem Colonnenführer, der die
Ehre genoß sich so abgeholt zu sehen und in voller Uniform auf diese Ehren¬
männer wartend sie mit einem Glase Rheinwein empfing und sich an ihre
Spitze stellte, um sie aus den großen Musterungsplatz, wo alle versammelt
sein mußten, zu führen. Auf dem freien Platze bei der Thomaskirche ver¬
sammelte sich Alles: Studenten. Musikchöre. Fackeln, Redner, Marschälle
und der weitglänzende Kissenträger. Bis gegen sechs dauerten die Stellungen
und Eintheilungen der Masse, wozu die 24 Flügeladjutanten besonders nützlich
waren. Diese waren auch darzu bestimmt, mit bloßem Degen in der rechten
Hand, neben der Colonne. den Respect der Zuschauer zu erhalten und die
Zudringlichen abzuwehren; in der linken Hand auf die Schulter gelehnt
trug ein jeder dieser Adjutanten eine Wachs- und Pechfackel von sechs Fuß
Hohe. Noch muß angeführt werden. daß die bekannte gute Polizei Leipzigs
den Befehl erhalten hatte, überall behilflich und wachsam zu sein. Die Häscher
standen in gewissen Entfernungen; an allen Straßenecken waren große ge¬
füllte Wasserbehälter, und dem Zudrängen des Pöbels wurde von weitem
vorgebaut.

Nach geschehener Aufstellung begann der Zug. Ein Musikchor voran,
dann der Redner; ihm folgten 12 Marschälle. schwarz gekleidet, in Strümpfen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/68>, abgerufen am 28.09.2024.