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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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den bisher aufgestellten Vermuthungen über die Urheber desselben. Die be¬
richteten Thatsachen sind, einige unwesentliche Details abgerechnet, genau
dieselben, welche Hauffer auf Grund der bisher bekannt gewordenen Quellen,
S. 230 ff., seiner deutschen Geschichte, Bd. 2, mittheilt, und was über die
Urheberschaft des Verbrechens vom Verfasser aufgestellt wird, ist ebenso un¬
bewiesen, als was bisher angenommen worden, nur noch viel weniger be¬
scheinigt.

Man hat bisher gewöhnlich angenommen, das am 28. April 1799 be¬
gangene Verbrechen sei im Auftrage der östreichischen Regierung und wahr¬
scheinlich unter Anstiftung oder Mitwissenschaft des Grafen Lehrbach ge¬
schehen. Herr Mendelssohn tritt gegen diese Annahme mit Entschiedenheit,
ja mit kaum verhaltener Bitterkeit in die Schranken und macht Hauffer einen
ernsten Vorwurf daraus, "sich zum Organ jener unbestimmten Vermuthung
gemacht zu haben", die vom Ritter von Lang und dem "unverbesserlichen
Lügner Hormayr" ausgeheckt und zufolge "des stolzen Schweigens", das der
Angeklagte beobachtet, für viele Leute zur Gewißheit geworden sei. Dann
wird angeführt, was Lehrbach selbst gelegentlich über diese Angelegenheit ge¬
sagt hat, und daraus der Schluß gezogen, jener östreichische Diplomat müsse
"ein hart gesottener Sünder" gewesen sein, wenn er "Effronterie genug" be¬
sessen, um "aus der Rolle des Angegriffenen keck zu der des Angreifers über¬
zugehen". Was damit gesagt sein soll, ist nicht abzusehen; wer Lehrbach der
intellectuellen Urheberschaft jenes Verbrechens bezüchtigt, wird weder Be¬
denken tragen, den Grafen für einen hart gesottenen Sünder zu halten, noch
irgend welches Gewicht auf seine eigene Aussagen legen. Wahr bleibt aller¬
dings, daß es an Beweisen für Lehrbach's Theilnahme an dem Gesandten¬
mord vollständig fehlt und die Gründe, die Herr Mendelssohn gegen die
Annahme geltend macht, die östreichische Regierung habe ein Verbrechen be¬
gangen, welches ihr schlechterdings keinen Vortheil bringen konnte, kann man
durch einen Gegenbeweis nicht widerlegen. Das ist aber auch Alles, und An¬
spruch auf Neuheit können die von dem Verfasser geltend gemachten Bedenken
nicht erheben, weil sie in der Natur der Sache liegen. Zum Schluß tritt derselbe
mit seiner Erklärung hervor: die Ermordung ist auf Anstiften und unter
Theilnahme französischer Emigranten geschehen, die einmal ihrem Haß gegen
die Minister der Republik Luft und zweitens den Bruch zwischen dieser und
dem Hause Oestreich unheilbar machen wollten.

Diese Lösung sucht Herr Mendelssohn auf doppelte Weise wahrscheinlich
zu machen: er leitet ihre Wahrscheinlichkeit aus verschiedenen die That be¬
gleitenden Umstände ab und er beruft sich auf die Aktenstücke, welche er in
Wien und Karlsruhe ausfindig gemacht hat. Prüfen wir beide Arten der Be¬
weisführung, ehe wir unsere Stellung zur Sache bezeichnen.


den bisher aufgestellten Vermuthungen über die Urheber desselben. Die be¬
richteten Thatsachen sind, einige unwesentliche Details abgerechnet, genau
dieselben, welche Hauffer auf Grund der bisher bekannt gewordenen Quellen,
S. 230 ff., seiner deutschen Geschichte, Bd. 2, mittheilt, und was über die
Urheberschaft des Verbrechens vom Verfasser aufgestellt wird, ist ebenso un¬
bewiesen, als was bisher angenommen worden, nur noch viel weniger be¬
scheinigt.

Man hat bisher gewöhnlich angenommen, das am 28. April 1799 be¬
gangene Verbrechen sei im Auftrage der östreichischen Regierung und wahr¬
scheinlich unter Anstiftung oder Mitwissenschaft des Grafen Lehrbach ge¬
schehen. Herr Mendelssohn tritt gegen diese Annahme mit Entschiedenheit,
ja mit kaum verhaltener Bitterkeit in die Schranken und macht Hauffer einen
ernsten Vorwurf daraus, „sich zum Organ jener unbestimmten Vermuthung
gemacht zu haben", die vom Ritter von Lang und dem „unverbesserlichen
Lügner Hormayr" ausgeheckt und zufolge „des stolzen Schweigens", das der
Angeklagte beobachtet, für viele Leute zur Gewißheit geworden sei. Dann
wird angeführt, was Lehrbach selbst gelegentlich über diese Angelegenheit ge¬
sagt hat, und daraus der Schluß gezogen, jener östreichische Diplomat müsse
„ein hart gesottener Sünder" gewesen sein, wenn er „Effronterie genug" be¬
sessen, um „aus der Rolle des Angegriffenen keck zu der des Angreifers über¬
zugehen". Was damit gesagt sein soll, ist nicht abzusehen; wer Lehrbach der
intellectuellen Urheberschaft jenes Verbrechens bezüchtigt, wird weder Be¬
denken tragen, den Grafen für einen hart gesottenen Sünder zu halten, noch
irgend welches Gewicht auf seine eigene Aussagen legen. Wahr bleibt aller¬
dings, daß es an Beweisen für Lehrbach's Theilnahme an dem Gesandten¬
mord vollständig fehlt und die Gründe, die Herr Mendelssohn gegen die
Annahme geltend macht, die östreichische Regierung habe ein Verbrechen be¬
gangen, welches ihr schlechterdings keinen Vortheil bringen konnte, kann man
durch einen Gegenbeweis nicht widerlegen. Das ist aber auch Alles, und An¬
spruch auf Neuheit können die von dem Verfasser geltend gemachten Bedenken
nicht erheben, weil sie in der Natur der Sache liegen. Zum Schluß tritt derselbe
mit seiner Erklärung hervor: die Ermordung ist auf Anstiften und unter
Theilnahme französischer Emigranten geschehen, die einmal ihrem Haß gegen
die Minister der Republik Luft und zweitens den Bruch zwischen dieser und
dem Hause Oestreich unheilbar machen wollten.

Diese Lösung sucht Herr Mendelssohn auf doppelte Weise wahrscheinlich
zu machen: er leitet ihre Wahrscheinlichkeit aus verschiedenen die That be¬
gleitenden Umstände ab und er beruft sich auf die Aktenstücke, welche er in
Wien und Karlsruhe ausfindig gemacht hat. Prüfen wir beide Arten der Be¬
weisführung, ehe wir unsere Stellung zur Sache bezeichnen.


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[0464] den bisher aufgestellten Vermuthungen über die Urheber desselben. Die be¬ richteten Thatsachen sind, einige unwesentliche Details abgerechnet, genau dieselben, welche Hauffer auf Grund der bisher bekannt gewordenen Quellen, S. 230 ff., seiner deutschen Geschichte, Bd. 2, mittheilt, und was über die Urheberschaft des Verbrechens vom Verfasser aufgestellt wird, ist ebenso un¬ bewiesen, als was bisher angenommen worden, nur noch viel weniger be¬ scheinigt. Man hat bisher gewöhnlich angenommen, das am 28. April 1799 be¬ gangene Verbrechen sei im Auftrage der östreichischen Regierung und wahr¬ scheinlich unter Anstiftung oder Mitwissenschaft des Grafen Lehrbach ge¬ schehen. Herr Mendelssohn tritt gegen diese Annahme mit Entschiedenheit, ja mit kaum verhaltener Bitterkeit in die Schranken und macht Hauffer einen ernsten Vorwurf daraus, „sich zum Organ jener unbestimmten Vermuthung gemacht zu haben", die vom Ritter von Lang und dem „unverbesserlichen Lügner Hormayr" ausgeheckt und zufolge „des stolzen Schweigens", das der Angeklagte beobachtet, für viele Leute zur Gewißheit geworden sei. Dann wird angeführt, was Lehrbach selbst gelegentlich über diese Angelegenheit ge¬ sagt hat, und daraus der Schluß gezogen, jener östreichische Diplomat müsse „ein hart gesottener Sünder" gewesen sein, wenn er „Effronterie genug" be¬ sessen, um „aus der Rolle des Angegriffenen keck zu der des Angreifers über¬ zugehen". Was damit gesagt sein soll, ist nicht abzusehen; wer Lehrbach der intellectuellen Urheberschaft jenes Verbrechens bezüchtigt, wird weder Be¬ denken tragen, den Grafen für einen hart gesottenen Sünder zu halten, noch irgend welches Gewicht auf seine eigene Aussagen legen. Wahr bleibt aller¬ dings, daß es an Beweisen für Lehrbach's Theilnahme an dem Gesandten¬ mord vollständig fehlt und die Gründe, die Herr Mendelssohn gegen die Annahme geltend macht, die östreichische Regierung habe ein Verbrechen be¬ gangen, welches ihr schlechterdings keinen Vortheil bringen konnte, kann man durch einen Gegenbeweis nicht widerlegen. Das ist aber auch Alles, und An¬ spruch auf Neuheit können die von dem Verfasser geltend gemachten Bedenken nicht erheben, weil sie in der Natur der Sache liegen. Zum Schluß tritt derselbe mit seiner Erklärung hervor: die Ermordung ist auf Anstiften und unter Theilnahme französischer Emigranten geschehen, die einmal ihrem Haß gegen die Minister der Republik Luft und zweitens den Bruch zwischen dieser und dem Hause Oestreich unheilbar machen wollten. Diese Lösung sucht Herr Mendelssohn auf doppelte Weise wahrscheinlich zu machen: er leitet ihre Wahrscheinlichkeit aus verschiedenen die That be¬ gleitenden Umstände ab und er beruft sich auf die Aktenstücke, welche er in Wien und Karlsruhe ausfindig gemacht hat. Prüfen wir beide Arten der Be¬ weisführung, ehe wir unsere Stellung zur Sache bezeichnen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/464>, abgerufen am 28.09.2024.